Kabbalah Centre Berlin

Jüdische Mystik für jedermann

Ein Mann mit der jüdischen Kopfbedeckung Kippa sitzt am 07.05.2015 in Berlin beim Festakt zum zehnten Jahrestag der Übergabe des Denkmals für die ermordeten Juden Europas an die Öffentlichkeit.
"Es geht darum, ein besserer Mensch zu werden, nicht ein besserer Jude", sagt David Naor, Lehrer am "Kabbalah Centre". © dpa / picture alliance / Paul Zinken
Von Stefanie Oswalt · 02.10.2016
Traditionell war die Kabbala nur männlichen Juden über 40 zugänglich. Bis Philip "Rav" Berg und seine Frau Karen die Lehre öffneten - von Kritikern als "Hollywood-Kabbala" geschmäht. Auch in Berlin gibt es seit zehn Jahren ein solches "Kabbalah Centre".
Samstagvormittag im Kabbalah-Centre in Berlin Schöneberg. Die ehemalige Postkantine erstrahlt in festlichem Glanz: blütenweiße Wände, Deckenfresken, moderner Kronleuchter, dezente Möbel.
Gut frisierte Damen in Seidenkleidern umarmen sich zur Begrüßung, bevor sie sich in die rechte Hälfte des Raumes setzen. In der linken die Männer, ganz in Weiß, viele tragen eine Kippa auf dem Kopf und einen edel verzierten Tallit, den jüdischen Gebetsmantel, um die Schultern.

Gespannte Erwartung vor dem Besuch von Karen Berg

Hebräische Sprachfetzen sind zu hören, englische und deutsche. Die Atmosphäre ist freudig erregt, denn heute wird die Gründerin des Kabbalah-Centres erwartet, Karen Berg.
Eine zunächst etwas gebrechlich wirkende Dame betritt die Bühne. Beim Sprechen aber strahlt sie große Selbstgewissheit aus: Karen Berg spricht vom Licht, das die Kabbala bringe und von der Energie, die die Menschen aus dem Zohar, der im Mittelalter verfassten Hauptschrift der Kabbala, ziehen könnten.
Für Berlin sei das besonders wichtig, da auf der Stadt immer noch die Schatten der nationalsozialistischen Vergangenheit lägen. Seit dem Tod ihres Mannes Rav ist Karen Berg der spirituelle Kopf des Zentrums:
"Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann in den USA und gab den Job auf, um sieben Jahre lang zu studieren. Als er die Kabbala vollständig erforscht hatte, traf er mich. Ich habe zu ihm gesagt: Wenn ich das lernen kann – lass uns dieses Wissen der Welt schenken. Er sagte: Das wurde noch nie gemacht. Also sagte ich zu ihm: Vielleicht sind wir deshalb füreinander bestimmt... Als wir anfingen, hatte sich der Kosmos für diese Art der Lehre geöffnet."

Auf der Suche nach Spiritualität

Die Mission der Bergs: die Lehren der Kabbala für alle Menschen zu öffnen, ungeachtet ihres Geschlechts, ihres Alters oder ihrer Religion. Trotzdem trifft man an diesem Vormittag in Berlin auf etliche Kabbala-Schüler, die jüdische Wurzeln haben, wie die Journalistin Lia, den Konfliktberater Andreas oder die Rentnerin Irina:
Lia: "Ich warte auf die Kabbala, seit ich etwa 13 bin. Ich bin Jüdin und bin eher verbunden mit der Spiritualität des Judentums und nicht mit der Religion oder Tradition. Und die war aber nicht zugänglich."
Andreas: "Ich bin Jude und ich habe mich erst mal nicht so mit dem Judentum anfreunden können. Habe erst mal nach einem Weg gesucht, nach ganz anderen Religionen, World Religions angeguckt, also Buddhismus, Hinduismus, Taoismus, und irgendwann hab ich mich erinnert, dass ich eine Tradition hab... Und bin jetzt seit 4 Monaten hier auch in mehreren Kursen und merke, wie tief mich das berührt."
Irina: "Ich habe Spiritualität gesucht und habe verschiedene Sachen ausprobiert, zum Beispiel Eckankar, Art of Living… Dann zufällig bin ich auf Kabbala gestoßen und ich habe jüdische Wurzeln. Das ist ein Grund, aber nicht der Hauptgrund. Kabbala ist der Ursprung von allem."

Das Ziel: ein besserer Mensch werden

Auch die Lehrer der Kabbalah-Zentren sind in der Regel jüdisch. So wie David Naor. Geboren in Hannover, hat er in Israel und London die Kabbala studiert und unterrichtet jetzt am Berliner Zentrum.
"Es geht darum, ein besserer Mensch zu werden – nicht ein besserer Jude. Sondern wenn ich Christ bin, dann lerne ich, ein besserer Christ zu sein, und wenn ich ein Moslem bin, lerne ich ein besserer Moslem zu sein, weil es um diese Weisheit geht, nicht darum, einer Tradition zu folgen oder ein Ritual zu folgen, sondern es geht um den Inhalt, es geht um die Weisheit, und was es mit mir macht."
Weisheit bedeute, sich selbst zu beobachten, ohne Vorurteile auf den anderen und die Welt zuzugehen, das "Licht" wahrzunehmen und den Nächsten zu lieben. So knapp formulieren es die "13 Prinzipien der Kabbalah" in einer Publikation des Centres für Einsteiger.

Schriftzeichen kommunizieren mit der feinstofflichen Ebene

Die Schabbatfeier, die auf Karen Bergs Vortrag folgt, ist für Außenstehende nicht von einem jüdischen Gottesdienst zu unterscheiden. Männer im Tallit lesen abwechselnd aus der Tora vor. Viele der Anwesenden können Hebräisch weder sprechen noch lesen. Aber es geht auch gar nicht um das Verständnis der Texte, die hier vorgetragen und gleichzeitig mit einem Projektor an die Wand projiziert werden.
David Naor: "Wir lernen in der Kabbala, dass die hebräischen Schriftzeichen nicht Schriftzeichen sind, die zu einer bestimmten Nationalität oder Land gehören, sondern es sind Schriftzeichen, die in der Lage sind, zu kommunizieren mit der feinstofflichen Ebene, sprich sie kanalisieren diese Energie von der feinstofflichen Ebene, der spirituellen Ebene, in unsere Ebene."
Das geschehe durch das Meditieren über die Buchstaben, Naor nennt es "Scannen", des Zohar. So erfahre man Energie, Licht und Spiritualität.

Heftig kritisierte Kommerzialisierung

Solche Lehren stoßen immer wieder auf Kritik. Etwa bei Professor Christoph Schulte, der an der Universität Potsdam jüdische Philosophie unterrichtet und die Wirkungsgeschichte der Kabbala gründlich erforscht hat. Er nennt viele Lehren des Kabbalah Centres schlichtweg "Nonsens".
"Es ist nicht skandalös, was die machen, es ist einfach eine Kommerzialisierung, und die wird innerjüdisch zum Teil sehr heftig kritisiert. Es ist natürlich, wenn man so will, auch ein Ausverkauf der Kabbala, weil man das kabbalistische Wissen und Studium völlig entgrenzt. Da wird die Kabbala aus ihrem genuinen Kontext herausgenommen und wird zu einer New-Age-Religion, passend zu anderen religiösen Entwicklungen der 80er-Jahre in den USA umgewandelt."
David Naor weist den Vorwurf der Kommerzialisierung zurück: Viele Veranstaltungen seien kostenfrei, ein Grundkurs mit acht Unterrichtsstunden am Zentrum koste 49 Euro. Wer mittellos ist, erhalte ein Stipendium und schließlich zahle man auch an anderen Bildungseinrichtungen. Und was spreche gegen die Offenheit?
"Wir machen praktisch hier im Kabbalah Centre einen Basar auf und wir bieten Information an und Weisheit, die wir entnehmen aus dieser Linie der Kabbalisten. Und wir präsentieren es natürlich praktisch, das ist unser Hauptfokus. Jeder darf sich aus diesem Bazar nehmen, was einem gefällt und was zu einem passt. Wir schreiben da niemandem etwas vor."
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