Kabarett

Selbstironisch und fern von Ostalgie

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Der Kabarettist Nils Heinrich am Mikrofon. © Jörg Carstensen / dpa
Von Annette Weiß · 03.03.2014
Nils Heinrich war 18 Jahre alt, als die Mauer fiel, aufgewachsen ist er in Sachsen-Anhalt. In seinem Soloprogramm "Wir hatten nix, nur Umlaute - meine Kreisstadtjugend mit Systemwechsel" verarbeitet der Kabarettist seine Jugend.
Lässig sitzt Nils Heinrich auf dem Barhocker, in grünem Hemd und Turnschuhen mit roten Schnürsenkeln, nachdem er einen Witz über seine Gitarre – nur mit Rahmen, ohne Korpus – gemacht hat.
"Eine Laubsägearbeit. Da bin mal gefragt worden: Hä? Warst du auf Tour in Polen?"
Ein Blitzauftritt im Berliner Comedyclub Kookaburra, von drei Stunden Programm der Brauseboys bestreitet Nils Heinrich 10 Minuten – und sahnt den meisten Applaus ab. Die Brauseboys, so heißt die Lesebühne im Berliner Bezirk Wedding, die Nils Heinrich vor über 10 Jahren kurzerhand gegründet hat. Doch schon lange müssen Heiko Werning, Volker Surmann und die anderen Brauseboys ohne ihren Gründervater auskommen, weil er mit seiner Solokarriere durchstartet. Sind sie neidisch?
"Also ich würde es ums Verrecken nicht machen, was er macht, jeden Abend woanders aufzutreten. Man muss dazu geboren sein, dass man es durchsteht 120 Termine im Jahr. Heiko hat es mal ausgerechnet, dass Nils schon im ICE eingezogen ist."
Viele Stunden im Zug
Der ICE – in der Tat verbringt Nils Heinrich viele Stunden im Zug, auf dem Weg zu seinen Auftritten. Und das bietet Stoff für weitere Gags über seine Mitreisenden mit Handy und Laptop.
"Frage: Hast du meine Email bekommen. Das ist wichtig: Immer wenn Sie eine Email bekommen haben, rufen Sie an, ob sie auch angekommen ist. Pass auf, brauchste nicht aufmachen, ich sag dir, was drin ist."
Nils Heinrich wohnt mit seiner Frau und seinem einjährigen Sohn in Berlin-Friedenau in einem Mietshaus aus der Gründerzeit. Wo früher Günter Grass gelebt hat und Herta Müller heute noch wohnt. Keine spießige Reihenhausidylle wie in seinem Rap.
"Musik Meine kleine Straße draußen vor der Stadt Natur, Ruhe, Frieden satt
Kein Junk, kein Punk, keine Ratte, keine Maus- Einfahrt, Carport, Garage, Haus."
Sein Schreibtisch steht im Wohnzimmer, ein Laufgitter trennt Spielsachen und Bilderbücher von dem Arbeitsbereich mit Gitarren, CDs, Laptop, gesammelten Backstage-Ausweisen – und einem Megaphon.
"Ich habe das mal gewonnen bei einem Poetry-Slam hier in Kreuzberg, da war der erste Preis ein Megaphon. Warum nicht? Bei anderen Poetry Slams kriegst du immer nur ne Pulle Schnaps."
Auf der Bühne füllt Nils Heinrich den Raum, vis-à-vis ist er eher von kleiner Statur. Sein Regal zieren viele Preise von Kleinkunstwettbewerben aus den letzten Jahren, z.B. der Goldene Rostocker Koggenzieher, das Schwarze Schaf vom Niederrhein, der Salzburger Stier und - aus Frottee - der Hamburger Comedy-Pokal 2005
Klar seien sein Job und das Umherreisen auch anstrengend, dafür habe er wieder ein paar Tage am Stück, an denen er nur zu Hause ist. Und sich um seinen Sohn kümmern kann:
"Doch Breihunger – welchen mache ich warm? Wir haben keine Mikrowelle, weil wir keinen Platz haben in der Küche, bin ja nur ein armer kleiner Solokabarettist."
Abrechnung mit der DDR
Selbstironisch ist er, der 42-jährige Sachsen-Anhaltiner mit der Hornbrille, und fern von Ostalgie. Sein Buch und sein aktuelles Bühnenprogramm "Wir hatten nix, nur Umlaute – meine Kreiststadtjugend mit Systemwechsel" rechnet mit der DDR ab. Er schimpft über seine Lehre zum Konditor, zwei verschwendeten Jahre für ihn, über den verlogenen Geschichtsunterricht, über das immer gleiche Reiseziel im Harz. Seine Eltern waren kleine Leute, sein Vater reparierte Fernseher in der DDR, seine Mutter war Sachbearbeiterin – und verlor die Stelle nach der Wiedervereinigung. Und auch sein Ausbildungsbetrieb, die Konditorei, ging pleite.
"Letztendlich war ich dann arbeitslos ein paar Monate und meine Mutter hat gesagt: Verpiss dich. Du bist jetzt knapp 20 und wohnst noch bei uns zu Hause. Steh mal auf eigenen Beinen."
Also ging er nach Hannover und arbeitete als Konditor, dann als Radioreporter in Bayern, bei einer Nachrichtenagentur in Berlin, und schließlich stand er in Stuttgart das erste Mal als Solokünstler auf der Bühne. Wut sei ein guter Antrieb, meint er, aber man sollte nicht nur sinnlos schimpfen.
"Worüber reden wir denn heute, wir reden über ein Land, über das man nicht mehr so viel weiß, außer alle sind da pausenlos überwacht worden, kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen. (Lachen)"
An dem Abend im Quatsch-Comedy-Club ist er mit sich unzufrieden. Das Timing hätte nicht gestimmt, sagt er. Er arbeitet ohne Trainer, sein bester Trainer sei das Publikum.
"Hier, mein DDR-Reisepass. Als wir frei waren, haben wir alle endlich den Reisepass bekommen und auch gleich einen Stempel rein: ungültig."
Wie gut seine Pointen ankommen, hänge nicht davon ab, ob die Leute aus dem Westen oder Osten kommen.
"Es kommt eher darauf an, was man für eine Alterszusammenstellung hat. (also ich habe schon lustige Abende in München und Stuttgart gehabt und in Gera, die Stimmung war exzellent). Andererseits hat man Landstriche, wo man spürt, dieser Stadt geht es zu gut, und das Publikum das ist zu satt. Und denen kannst du nur schwer ein lautes, befreites Lachen entlocken."
Links im Internet:
Homepage von Nils Heinrich
Webauftritt der Brauseboys
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