Kabarett

Von der Spree auf die Bühne

Von Elmar Krämer · 09.01.2014
Tilman Birr ist studierter Historiker, heuerte nach dem Studium auf einem Berliner Ausflugdampfer an, wurde "Stadtbilderklärer" - bis er sich entschied, sein Hobby Kabarett zum Beruf zu machen.
"Tach, tritt durch, zum Glück grad keiner da, dann können wir uns auch gleich in die Küche setzen, und hoffen, dass auch keine kommt. Ich war eigentlich schon immer eher so ein musikalisch Komischer, das war auch in der Schule schon so."
1980 wird Tilman Birr in Frankfurt am Main geboren. Er hat einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester, wächst in behüteten Familienverhältnissen auf. Ab zehn bekommt er Klavier-Unterricht – Musik liegt ihm.
Mit 16 Jahren greift er autodidaktisch – erst zur E-, dann zur Akustik-Gitarre. Er geht aufs Gymnasium, spielt in der Schule Theater, macht sein Abitur – zu Hause fühlt er sich wohl:
"Es war eigentlich immer Betrieb bei uns zu Hause. Und ich hab bis heute auch kein einziges Mal allein gewohnt zum Beispiel. Ich glaube, das war etwas, was mich geprägt hat. Es wurde nicht darauf geachtet, dass wir zum Abendessen alle zu Hause sind, aber es wurde darauf geachtet, dass wir zum Frühstück alle am Tisch sitzen."
Nun sitzt Tilman Birr auf einem Sofa am Tisch in seiner WG-Küche in Berlin Friedrichshain. Über dem Kopf an der Wand ein Poster von Lemmy Kilmister von Motörhead.
An jeder Ecke Stoff für gute Geschichten
Mit 20 Jahren kommt Birr nach dem Abitur und dem Zivildienst nach Berlin – schon bald besucht er die ersten Lesebühnen und denkt an einen Tipp, den er einst in der Schule bekam:
"Es gab einen Deutschlehrer, der mir aus dem Nichts heraus, ohne, dass ich da irgendwelche Anstalten gemacht hätte, gesagt hat: Du wärst doch jemand, der ganz gut lustige Kurzgeschichten schreiben kann – mach das doch mal."
Gesagt getan – in Berlin gibt es an jeder Ecke Stoff für gute Geschichten.
"Ich stehe am Postschalter, die Frau am Schalter telefoniert. Als sie zu Ende telefoniert hat sieht sie mich an, ohne etwas zu sagen. Bin ich jetzt dran? Guten Tag, sage ich. Vielleicht sagen sie mir auch, was sie wollen – grüßt sie mich zurück. Ich warte auf ein Paket. Warum sind sie dann nicht zu Hause? Das sollte schon vor Tagen da sein sollen, das seltsame ist aber, dass das Tackingsystem im Internet sagt: Empfänger unbekannt. Da hat das Trackingsystem Recht, ich kenne sie nicht."
Tilman Birr studiert Geschichte, Anglistik und Soziologie an der Humboldt-Universität, liest auf Lesebühnen, gründet seine eigene Lesebühne in Frankfurt am Main und fährt ein Mal im Monat mit neuen Geschichten und Liedern, auch mal im Stil von Reinhard Mey, in seine alte Heimat.
Auf den Lesebühnen der Haupstadt für Aufsehen sorgen
2008 schreibt Tilman Birr seine Magisterarbeit über "Kabarett in der DDR" und beendet sein Studium. Von einen Bekannten hört er, dass auf den Berliner Ausflugsschiffen "Stadtführer" oder "Stadtbilderklärer" gesucht würden:
"Und da dacht ich, ach Mensch, das ist doch was ganz Gutes, Historiker bin ich sowieso, einen auswendig gelernten Text aufsagen kann ich auch und dann hab ich damit angefangen."
"Tut, Klick: Ja? Hallo, bin ich da bei Mathias? Na, wen haste denn angerufen? Also hier ist Tilman. Kenn ken Tilmann. Klick. Tut. Hallo, wir sind wohl grad unterbrochen worden. Nee sind wa nich, ick hab uffjelegt. Ick mach keine Umfrage mit und ick will och nüscht jewinnen. Warts doch mal ab, es geht um deine Arbeit auf dem Schiff. Bin ick jefeuert? Nein, der Thomas hat mir erzählt, dass du als Ansager auf so einem Spreedampfer arbeitest. Ditt heißt nicht Ansager, ditt heißt Stadtbilderklärer! Ist ja egal. Nee, ditt is übahaupt nich ejal, 'n Ansager der sagt watt an, der quatscht nur runter, ick erkläre – Mann ick studiere doch nicht umsonst!"
Mit den Geschichten, die der Hesse während seiner Studienzeit in Berlin schreibt, sorgt er nicht nur auf den Lesebühnen der Hauptstadt für Aufsehen.
Noch Luft nach oben
"Und dann kam es soweit, dass ich, als ich fertig studiert habe, festgestellt habe, naja, das, was ich sowieso auf Lesebühnen gemacht habe, kann ich ja einfach nehmen und daraus ein Soloprogram bauen, dann bin ich ja Kabarettist und so war es dann auch, das ging dann schneller als ich gedacht hätte."
Kleinkunstpreise, Auftritte überall im Land, Fernsehen, Radio, Buch-, Hörbuchveröffentlichungen, die Karriere von Tilman Birr läuft gut, auch wenn natürlich noch Luft nach oben ist. Er ist zufrieden mit seinem Leben und fühlt sich wohl in seiner WG. Er ist halt nicht gern allein und wenn er dann zum Beispiel aus der alten zurück in die neue Heimat kommt, dann ist die WG immer auch gut zum Erden.
"Wenn man in einer Wohngemeinschaft wohnt und alle anderen sind normal, dann ist man besser auch lieber mal normal, als auf dem Boden zu liegen und nichts zu tun."