Ich glaube, man kann sagen, sie waren dabei ziemlich vorsichtig.
"Just Stop Oil"-Aktion in der National Gallery
Protest 2.0: Demonstrierende von "Just Stop Oil" kleben ihre Hände auf den Rahmen von John Constables Werk "The Hay Wain". © picture alliance / empics / PA Wire / Kirsty O'Conno
Protest mit Plan
05:47 Minuten

Robert Rotifer im Gespräch mit Max Oppel · 05.07.2022
Zwei Unterstützer der britischen Klimaschutz-Gruppe „Just Stop Oil" haben ein Gemälde in der Londoner National Gallery überhängt und sich dann am Rahmen festgeklebt. Die Aktion fand viel Aufmerksamkeit – und steckt voller intelligenter Bezüge.
Es war ein Coup, der durch alle Medien ging. Zwei Unterstützer der britischen Klimaschutz-Gruppe „Just Stop Oil" haben vor wenigen Tagen ein Gemälde in der Londoner National Gallery überhängt und sich dann selbst am Rahmen festgeklebt. Kulturjournalist Robert Rotifer findet den Protest sehr intelligent und hebt die historischen Anschlüsse hervor, die die Umweltschützer herstellen.
Das fängt mit der Auswahl des Bildes an, das die Aktivisten mit einem eigenen Bild überhangen haben: John Constablers „The Hay Wain“. Es zeigt den Heuwagen, der das Flüsschens Stour direkt an der Mühle von Constablers Familie quert: „Es ist eine berühmte, idyllische Szene: die britische Natur, die Landschaft von ihrer schönsten Seite, gemalt 1821 – also in jener Zeit der industriellen Revolution, als schon eine Sehnsucht nach der unverdorbenen Natur begonnen hat.“
Dystopische Version eines Constabler-Gemäldes
Das Motiv, das die Protestierenden aufgehängt haben, ist eine dystopische Version des Motivs: „Das Flüsschen ist zuasphaltiert, zwei Flugzeugen hängen tief in der Luft, wahrscheinlich auf dem Anflug nach Gatwick, die Bäume sind verdorrt, ein Müllwagen hat seinen Inhalt der Landschaft ausgekippt, und so weiter.“
Rotifer geht davon aus, dass die Aktivisten das Original nicht beschädigen wollten, auch wenn sie sich am Rahmen festgeklebt haben:
Das Bild gilt als sehr beliebt – bei einer Wahl von BBC 4 wurde es einst zum zweitbeliebtesten Bild aller in einem britischen Museum ausgestellten Bilder gewählt.
Der Protest richtet sich sehr konkret gegen die Erweiterung der Öl- und Gasförderung in den Gasfeldern Großbritanniens, mit der die britische Regierung auf die derzeitige Versorgungskrise reagiert, erläutert Rotifer. Er richte sich nicht gegen Museen und Galerien.
Neues Gesetz behindert Versammlungen
Dass in einem Kunstmuseum demonstriert werde, liege an einem neuen Gesetz in Großbritannien, das als Reaktion auf Proteste wie die von "Extinction Rebellion" verabschiedet wurde: Es ermögliche der Polizei, "Versammlungen schon aufzulösen, bevor sie sich überhaupt formiert haben und ihren Effekt erreicht haben und bevor Beschwerden aus der Bevölkerung vorliegen“, erklärt Rotifer.
Die Polizei dürfe von sich aus die Wahrscheinlichkeit einer Belästigung der Öffentlichkeit beurteilen und gegebenenfalls im Vorhinein Aktivistinnen vorsorglich festnehmen, wenn sie sich zusammenfinden.
„Als Reaktion darauf werden wir jetzt genau solche kleinen, aber effektiven, öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Zukunft in Großbritannien sicher viel öfter sehen“, vermutet der Journalist.
Anschluss an die Suffragetten
Zudem schließt der Protest in seiner Form an einen in der britischen Öffentlichkeit stets sehr hoch geschätzte Bewegung an – an die der Suffragetten, die für das Frauenwahlrecht kämpften.
„Just Stop Oil“ hatte auch beim Formel-1-Rennen in Silverstone Anfang Juli gegen die weltweite Nutzung von Erdöl protestiert. Sechs Aktivisten waren beim Grand Prix von Großbritannien während der ersten Runde auf den schnellsten Teil der Strecke gelaufen – zu dem Zeitpunkt war das Rennen allerdings schon unterbrochen wegen eines Unfalls am Start – und hatten sich auf den Asphalt gesetzt. „Da versteht man den kausalen Zusammenhang klarer“, sagt Rotifer.
Er macht zugleich auf den historischen Code aufmerksam: „Emily Davison warf sich 1913 beim Pferderennen in Epsom vor die Pferde und kam dabei auch zu Tode“, erläutert Rotifer. Die Parallele zum Protest in Silverstone ist offensichtlich, zum Glück kam 2022 anders als 1913 niemand ums Leben.
Bewusste Anschlüsse
„Und die Suffragetten attackierten auch Galerien", erklärt Rotifer, "beginnend mit der Manchester Art Gallery Art im Jahr 1913, als sie Verglasungen von Gemälden zerschlugen und dabei einige Bilder von führenden und viktorianischen Malern zu Schaden gebracht haben.“
Sein Eindruck: Das sei kein Zufall. "Ich glaube, die sind recht klug. Ich glaube, die wissen, was sie tun."
(mfu)
(mfu)