"Junge Leute wünschen sich, dass die Parteien anders funktionieren"

Hannah Beitzer im Gespräch mit Marietta Schwarz · 13.08.2013
Junge Leute erwarteten heute andere Strukturen bei den etablierten Parteien, glaubt die Journalistin und Buchautorin Hannah Beitzer. Dazu gehöre es, lebhafte Diskussionen zuzulassen - und nicht um jeden Preis ein nach außen geschlossenes Bild abzugeben.
Marietta Schwarz: Sechs Wochen sind es noch bis zur Bundestagswahl. Die Plakate hängen, die Regierungsparteien werben vor allem mit dem Erhalt des Status quo, während die Opposition sich wahlweise soziale Gerechtigkeit, bezahlbare Mieten, Ernährung und Umweltpolitik auf die Fahnen schreibt. Im Internet, dem zentralen Medium der jüngeren Generation, passiert nicht allzu viel, da wird Wahlkampf sehr konventionell geführt, und so etwas wie Partizipation betreiben allenfalls die Piraten und die Grünen. Erreichen die Parteien überhaupt noch Jungwähler, also diejenigen, die die Geschicke in diesem Land in Zukunft bestimmen? – Die Journalistin Hannah Beitzer, Jahrgang 1982, hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Vor kurzem ist ihr Buch erschienen - "Wir wollen nicht unsere Eltern wählen. Warum Politik heute anders funktioniert", so der Titel. Hannah Beitzer, guten Morgen!

Hannah Beitzer: Guten Morgen!

Schwarz: Da stecken ja eigentlich gleich zwei Aussagen in dem Buchtitel. Bleiben wir mal bei letzterem. Wie funktioniert sie denn, die Politik?

Beitzer: Ich glaube, das wichtigste daran ist, dass für viele junge Leute eigentlich die Strukturen, mit denen Parteien arbeiten, nicht mehr so besonders attraktiv sind, und dass sie deswegen sich wünschen, dass es anders funktionieren könnte. Da hat man ja ganz deutlich gesehen, dass die Piratenpartei, die ja kurzfristig sehr erfolgreich war mit ihren Ideen, da sehr gut angekommen ist. Insofern denke ich, dass da den Parteien auch große Veränderungen bevorstehen.

Schwarz: Welche Strukturen sprechen Sie denn da an?

Beitzer: Es geht natürlich um Mitbestimmung, es geht auch um einen bestimmten Kommunikationsstil und vor allem, wo auch kommuniziert wird. Für die jungen Leute ist das Internet eigentlich der Raum für politische Diskussionen, für politische Aktionen, und von vielen alten wird das so noch gar nicht wahrgenommen, weil sie das in ihrer Lebenswelt nicht so integriert haben.

Schwarz: Das heißt, sie wollen mehr Revolte innerhalb der Parteien, die auch nach außen getragen wird, oder was erwarten sie?

Beitzer: Ja, Revolte ist vielleicht ein ganz guter Ausdruck dafür: mehr offene Diskussionen, vielleicht auch mehr Reibung oder mehr unterschiedliche Möglichkeiten, sich einzubringen, dass das nicht immer nur über den Stammtisch und den Ortsverein geht, sondern dass Diskussionen lebhafter geführt werden und man da auch nicht immer Angst haben muss, nach außen hin so ein geschlossenes Bild abzugeben.

Schwarz: Die Piraten haben Sie ja schon angesprochen. Die waren bei den vergangenen Wahlen ziemlich erfolgreich, indem sie ein Gegenbild zur herrschenden Politikkaste kreiert haben. Haben die Ihrer Meinung nach ihr Versprechen bislang eingelöst?

Beitzer: Ja das ist in der Tat ein Problem, dass sie das Versprechen, das sie gegeben haben, nicht eingelöst haben, nämlich bei uns können alle mitmachen, bei uns wird ein anderer Politikstil betrieben. Man hat gesehen, dass es da natürlich auch Hierarchien gibt, dass es da auch Machtkämpfe gibt, dass eben auch nur Menschen dahinter stecken mit all ihren Schwächen und dass das teilweise sogar noch krasser zum Vorschein getreten ist als bei etablierten Parteien, weil die Strukturen, die das wegmoderieren können, gefehlt haben. Insofern haben sie das Versprechen nicht eingehalten. Es ist natürlich die Frage, inwiefern man das überhaupt einhalten kann in so einem frühen Stadium, wenn man eine Partei neu gründet. Ein gewisses Chaos ist am Anfang vermutlich ganz normal.

Schwarz: Aber gibt sich denn ein kritischer Jungwähler – und dazu würden Sie sich ja sicher zählen – mit Themen wie Internet und Transparenz wirklich ab?

Beitzer: Ja ich denke schon, dass das wichtige Themen sind. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch wichtigere. Das ist ganz klar, dass die Wirtschaftskrise im Moment das Thema ist, das auch die Jungwähler am meisten beschäftigt, und dass Internet oder der digitale Wandel natürlich ein wichtiges Thema für unser Leben ist, aber vermutlich die Wirtschaftskrise doch wichtiger.

Schwarz: Und wo fühlen Sie sich denn dann nicht abgeholt politisch, wenn es um, wir nennen es mal, Betreuungsplätze für Kinder, Mindestlöhne, erneuerbare Energien, Wachstum geht? Das sind ja keine Larifari-Themen.

Beitzer: Nein, das sind überhaupt keine Larifari-Themen, und ich denke auch, dass die enorm wichtig sind. Das Problem ist eher, dass auch die Unterscheidbarkeit zwischen den Parteien eigentlich nicht mehr so wirklich gegeben ist. Man hat zwar in einzelnen Punkten noch so eine gewisse Unterscheidung, aber es hängt sich sehr an einzelnen Punkten auf und es fehlt vielleicht auch ein bisschen die Vision für die Zukunft.

Schwarz: Wer ist denn dieses "Wir", das Sie in Ihrem Buchtitel ansprechen? Beinhaltet das auch Nichtakademiker, Leute jenseits des Bildungsbürgertums?

Beitzer: Ich denke, dass es grundsätzlich alle betrifft, wobei mein Buch natürlich schon eher auf den politisch aktiven Teil der Bevölkerung abzielt, und das ist immer so eine Elitensache. Insofern stimmt das natürlich schon, dass, glaube ich, politisch aktiv nach wie vor eher die gebildetere Schicht ist, was aber nicht heißt, dass die Schicht, der es eben nicht so gut geht, sich von der Politik abgeholt fühlt, sondern ganz im Gegenteil. Da gibt es ja besonders viele Leute, die gar nicht mehr zur Wahl gehen und sich überhaupt nicht mehr vertreten fühlen.

Schwarz: Hannah Beitzer, Sie gehen aber schon wählen am 22. September, oder?

Beitzer: Ja natürlich.

Schwarz: Und Sie wissen auch schon wen?

Beitzer: Nein, in der Tat weiß ich das noch nicht so konkret.

Schwarz: Die Journalistin und Buchautorin Hannah Beitzer zu den Erwartungen der jungen an die Politiker und die Bundestagswahl, und ihr Buch "Wir wollen nicht unsere Eltern wählen." ist bei Rowohlt erschienen. Danke für das Gespräch.

Beitzer: Vielen Dank!


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