Die schwierige Rolle von Frauen in neuen Parteien

Carsten Koschmieder im Gespräch mit André Hatting · 16.04.2013
Frau sein - das ist in vielen Bereichen noch immer keine optimale Voraussetzung, um Einfluss zu nehmen und Schlüsselpositionen zu besetzen. Auch bei Neugründungen von Parteien spielen Frauen nur eine nachgeordnete Rolle. Parteienforscher Carsten Koschmieder erklärt, warum das so ist.
André Hatting: In weniger als einem halben Jahr können wir einen neuen Bundestag bestimmen. Auf dem Wahlzettel werden neben den etablierten Parteien auch wieder allerhand Exoten auftauchen. Die sammeln sich dann bei der Hochrechnung meistens unter "Andere" oder "Sonstige" in einem kleineren grauen Balken ganz rechts. – Meistens!

Die Piraten haben gezeigt, dass es auch anders geht, zumindest auf Landesebene. Und dass es im zweiten Anlauf für den Bundestag reicht, ist nicht ausgeschlossen. Und auch die Neugründung "Alternative für Deutschland" hat durchaus Chancen, im September über die Fünf-Prozent-Hürde in den Bundestag zu springen.

Auf den ersten Blick haben die jungen Netznerds der Piraten und die konservativen Euro-Gegner der Alternative nichts gemeinsam. Aber dann fällt auf: beide Parteien dominieren Männer. Bloß Zufall, oder interessieren sich Frauen weniger für Politik, oder engagieren sie sich nur anders? – Das möchte ich jetzt von Carsten Koschmieder wissen, er ist Parteienforscher an der Freien Universität Berlin. Guten Morgen, Herr Koschmieder.

Carsten Koschmieder: Guten Morgen!

Hatting: Warum spielen bei den beiden bekanntesten Parteineugründungen der letzten Jahre Frauen so gut wie keine Rolle?

Koschmieder: Neben den allgemeinen Gründen ist es erst mal bei den Piraten recht auffällig, dass die sich ja aus einer bestimmten Szene gegründet haben, dass es dort am Anfang um Internet-Themen, um Musik-Downloads ging, und das betrifft oder betraf zu der Zeit eben einfach hauptsächlich junge netzaffine Männer. Deswegen dominierten die am Anfang ganz massiv die Partei, und erst seit sich die Partei auch für andere Themen stärker geöffnet hat, strömen jetzt Frauen herein, und da gibt es auch in der Partei massive Konflikte um die Frage, ob man beispielsweise Piratin sagen darf oder nicht. Stichwort ist "Postgender".Da gibt es große Konflikte, die jetzt daraus resultieren, dass die Frauen mehr werden in der Piratenpartei.

Bei der AfD würde ich sagen: Erstens gilt Wirtschaft einfach als ein Männerthema. Das heißt, Frauen beschäftigen sich damit weniger. Auch die Professoren, die diese Partei gegründet haben, die ja hauptsächlich Wirtschaftsprofessoren sind, sind eben alles Männer.

Volkswirtschaftsprofessorinnen gibt es einfach noch sehr wenig. Und dann ist es auch so, dass Protestparteien – das sehen wir bei Wahlen – hauptsächlich die Stimmen von männlichen Wählern bekommen. Das heißt, diese Partei, die noch sehr stark als Protestpartei wahrgenommen wird, wird hauptsächlich noch von Männern unterstützt. Das kann sich aber ändern, wenn die Partei irgendwann als etabliert gilt oder zumindest nicht mehr als eine Protestpartei wahrgenommen wird.

Hatting: Lassen Sie uns noch kurz bei der AfD, also bei der Alternative für Deutschland bleiben. Sie haben die Professorenschaft der Gründungsmitglieder angesprochen. Dazu kann man natürlich auch sagen, dass es fast überwiegend ehemalige CDU-Mitglieder sind. Haben diese Wertkonservativen etwa ein Problem mit einer weiblichen Parteichefin? Ist das möglicherweise auch Antrieb gewesen in diesem Fall?

Koschmieder: Das würde ich weniger an der Person von Frau Merkel konkret festmachen als vielmehr an ihrem Programm. Angela Merkel wird ja viel vorgeworfen, dass sie die Union sozialdemokratisiert und nach links geschoben hat, und da geht es dann eher um die konkrete Politik, also dass Angela Merkel eben versucht, mit Reformen die CDU großstadttauglich, modern zu machen, und dass da zumindest einige konservative Themen, das konservative Tafelsilber sozusagen hinten runterfällt und dass deswegen die Leute unzufrieden sind. Ich denke nicht, dass es konkret etwas mit einer Frau zu tun hat – vielleicht in Einzelfällen, aber nicht generell.

Hatting: Herr Koschmieder, jetzt haben Sie schon die Protestwähler angesprochen. Nun kann man aber sagen, dass der Frust über etablierte Parteien ja nun kein männliches, kein rein männliches Phänomen ist. Aber trotzdem: Gerade bei Parteineugründungen, was nun die Initiative angeht, da hört man von Frauen so gut wie gar nichts. Warum?

Koschmieder: Abgesehen davon, dass sich Frauen sowieso generell in der Politik weniger engagieren und sich auch weniger für Politik interessieren, ist es tatsächlich einfach so, dass in noch nicht etablierten Parteien, also in Parteien oder auch in Partizipationsformen, die von der Gesellschaft weniger akzeptiert sind, sich Frauen noch mal deutlich mehr zurückhalten. Man könnte sagen, sie trauen sich nicht so richtig, beispielsweise in eine Partei zu gehen, die so ein bisschen noch schief angesehen wird.

Hatting: Sie haben gerade gesagt, dass sie sich auch generell weniger politisch engagieren. Woran liegt das?

Koschmieder: In der Politikwissenschaft gibt es eine ganze Reihe von Theorien. Die offensichtlichste ist zunächst die Sozialisation. Als Mädchen bekommen sie schon gesagt, Politik ist Männersache, das hat dich nicht zu interessieren, beschäftige dich damit nicht. Das nimmt zwar deutlich ab. Heute erziehen Eltern ihre Kinder nicht mehr so stark. Aber dieses Bild gibt es immer noch und deswegen beschäftigen sich dann Frauen, wenn sie älter sind, einfach nicht so stark mit Politik. Eine zweite Theorie ist, dass Frau sein, also das Geschlecht, nur eine Stellvertretervariable ist.

Hatting: Eine Stellvertretervariable? Was ist das?

Koschmieder: Wir wissen, dass sich Menschen dann stärker politisch engagieren, wenn sie beispielsweise ein hohes Einkommen haben, wenn sie eine hohe formale Bildung haben, wenn sie im Berufsleben eine gehobene Position einnehmen, und diese ganzen Variablen werden sozusagen stellvertretend - "Frau steht für geringere Bildung, geringeres Einkommen, geringere Position". Auch das ändert sich ja. Bei Bildungsabschlüssen gerade ist es ja so, dass Frauen aufholen. Aber das dauert natürlich, bis sich das auswirkt, und solange Frauen strukturell ein geringeres Einkommen haben, ist es nur logisch, dass sie sich dann auch weniger betätigen.

Und ein ganz wichtiger Punkt in dem Zusammenhang ist noch Zeit. Politische Beteiligung kostet ja einfach viel Zeit und man kann nicht auf der Nachtsitzung der Partei, des Ortsverbandes ewig bleiben, wenn man zuhause sich um die Familie kümmern muss, und es gibt ja doch noch sehr stark das traditionelle Familienbild, dass die Frau sich um die Familie kümmert, neben dem Beruf, oder um den Haushalt, und auch deswegen können sich Frauen weniger beteiligen.

Hatting: Ist das, was Sie angesprochen haben, vor allem in Deutschland so? Ist das ein spezifisch deutsches Phänomen?

Koschmieder: Nein. Das finden Sie in anderen westlichen Demokratien auch. Es hängt natürlich stark auch davon ab, wie Gleichberechtigung allgemein in der Gesellschaft gelebt wird. Wenn Sie beispielsweise in die skandinavischen Länder gucken, da gibt es dieses Sozialisationsmodell "Politik ist Männersache und das hat dich nicht zu interessieren" natürlich viel weniger, weil die Gesellschaft allgemein stärker gleichberechtigt ist.

Hatting: Der Parteienforscher Carsten Koschmieder über das zögerliche politische Engagement von Frauen. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Koschmieder.

Koschmieder: Gerne!


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