Bunt statt Burka
Die Zukunft Afghanistans ist jung und weiblich, das Durchschnittsalter liegt bei 18 Jahren. Auch die Frauen haben sich an der Parlamentswahl am 20. Oktober beteiligt. In der Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Leben in einer jungen Demokratie. Eine Illusion?
Ein Rooftop-Restaurant im Zentrum von Kabul: Solche hippen Plätze gibt es äußerst selten in Afghanistan. Mariam Solaimankhail fühlt sich hier sichtlich wohl:
"Das ist doch fantastisch hier. Solche Orte geben mir Hoffnung. Hier kommen junge Afghanen hin, die miteinander reden. Es ist eine Erholung von der Angst hier. Es sollte noch mehr solche Orte geben im Land, das ist das Ziel."
Zwischen Glitzer-Dress und Burka
Auf der Dachterrasse sitzen Männer und Frauen in glitzernden Klamotten gemeinsam am Tisch. So, wie es die US-Afghanin aus Kalifornien gewohnt ist. Es gibt zwar keinen Alkohol, aber ansonsten könnte dieses Lokal auch fast überall auf der Welt sein. Aber in Afghanistan sind solche Orte eine absolute Seltenheit. Nur auserlesene Mitglieder dürfen hier rein. Bevor die Gäste an den Tischen auf der achten Etage Platz nehmen können, haben sie unzählige Sicherheitschecks hinter sich. In afghanischen Familien sitzen Männer und Frauen eher selten zusammen in einem Zimmer. Und draußen laufen sie meist verhüllt über die Straße. Glitzer-Dress und Burka: Diese krassen Gegensätze will die US-Afghanin überwinden.
"Ich will hier nicht alles auf einmal ändern. Aber ich möchte schon, dass Frauen hier einen anderen Stellenwert bekommen. Ich will eine Brücke schlagen zwischen der total westlichen Frau und der Frau in der Burka. Da gibt es auf jeden Fall etwas dazwischen. Wenn wir die Frauen hier ausbilden, dann können wir eine Menge ändern im Land."
Vor sechs Jahren ist Mariam nach Afghanistan gereist, weil ein Verwandter gestorben war. Geboren und aufgewachsen ist sie an der Westküste der USA. Dort hätte sie eine Karriere als Managerin vor sich gehabt. Aber als sie in das Land ihrer Eltern kam, wurde ihr bewusst: Hier werde ich viel mehr gebraucht.
Frauenpower im Parlament
Mariam Solaimankhail ist mit dem Präsidenten Ashraf Ghani verwandt und hat ihm in seinem Wahlkampf bei seiner Social-Media Kampagne geholfen. Heute ist sie selbst eine Kandidatin und will ins Parlament einziehen.
Sie schwingt sich in einen gepanzerten schwarzen SUV, ihr folgen Bodyguards mit Kalaschnikows. Die 34-Jährige ist auf dem Weg nach Nangarhar. Das ist eine Provinz im Osten von Afghanistan, in der sich Extremisten bekämpfen: Die Taliban und der sogenannte Islamische Staat wüten hier.
"Ich habe keine Angst, ich bin stolz auf das, was ich hier tue", sagt sie selbstbewusst. Mariam ist eine Kutschi, sie gehört zu einem Nomadenstamm, einer Minderheit im Land. Für diesen wie auch für andere Volksgruppen sind Plätze im Parlament reserviert. Aber eigentlich sind die Männer aus ihrem Stamm, genau wie viele andere im Land, sehr konservativ.
Eine Sache, in der sich die meisten Kriegsfürsten und Taliban einig sind in Afghanistan, ist, dass Frauen zu Hause bleiben sollten. Aber die US-Afghanin sagt, sie bekomme viel Unterstützung von ihren Leuten, vor allem auch von den Stammesältesten, auf die es immer noch oft ankommt in Afghanistan:
"Es ist Wahnsinn, dass sie so hinter mir stehen. Wenn ich mit ihnen zusammen sitze, sagen sie, die Männer haben hier nichts verbessert. Und sie glauben nun, dass Frauen das schaffen könnten. Die hätten mehr Einfühlungsvermögen, seien nicht korrupt. Die Männer vertrauen mir."
Wenn sie durch die Städte und Dörfer zieht, ist die junge Frau umringt von bärtigen Männern. Sie sind neugierig und stellen ihr viele Fragen. Scheinbar glaubt nicht nur Mariam, dass ihr die Stammesältesten vertrauen. Das sagen die auch selbst – wie Said Khan:
"Wir werden sie wählen. Sie ist ehrlich und arbeitet hart. Der Abgeordnete, den ich beim letzten Mal gewählt habe, hat seine Versprechen gebrochen. Ein echter Gauner. Sie ist besser."
Ein Fernsehsender von Frauen für Frauen
Zan TV: Übersetzt heißt das: Frauensender. Seit fast eineinhalb Jahren ist dieser Kanal im afghanischen Fernsehen zu empfangen. Ein Sender von Frauen für Frauen. Setara Hassan ist hier die Geschäftsführerin. Die 35-Jährige ist in Afghanistan geboren, mit ihren Eltern im Krieg erst nach Pakistan geflohen, dann nach Dänemark. Dort hat sie ihre Schulausbildung gemacht und studiert. Jetzt lebt sie wieder in Kabul, gegen den Willen ihrer Eltern, die weiterhin in Europa leben.
"Sie können es sich ja sicher vorstellen, es ist nicht einfach hier in Afghanistan. Es gibt unzählige Herausforderungen. Nehmen wir allein die Sicherheit, die ganzen Anschläge in den letzten Monaten allein Kabul. Das schlägt sich natürlich auch auf unsere Arbeit hier nieder."
High Heels, enge schwarze Hose und Lippenstift. Setara Hassan fällt auf mit ihrem Outfit, sogar in ihrem Sender. Die Frauen, die hier vor und hinter der Kamera stehen, tragen meist Kopftuch. Es sei nicht gerade einfach, einen Frauensender in Afghanistan am Laufen zu halten, sagt Setara:
"Es geht darum, die Frauen ins Rampenlicht zu stellen, wenn sie es wollen. Obwohl das natürlich auch zugleich bedeutet, dass sie ein Risiko eingehen. Fast alle Frauen, die für uns arbeiten, sagen es höchstens ihrer engsten Familie. Wenn die anderen sie plötzlich on air sehen, dann haben sie eine Menge Probleme."
Politik, Erziehung und Kosmetik
Die Journalistinnen berichten über Politik, über Erziehung, häusliche Gewalt, aber auch über Kosmetik und Sport. Immer aus dem Blickwinkel von Frauen. Menschen aus dem ganzen Land rufen beim Sender an, manchmal auch nur, um sich ein Musikvideo zu wünschen.
Setara Hassan ist 34 Jahre alt und damit eine der ältesten Frauen, die hier arbeiten. Die meisten sind Anfang zwanzig, aus der Generation 9/11, die die Herrschaft der Taliban nicht wirklich miterlebt haben. Aufgewachsen in einem Land, in dem Zeit ihres Lebens westliche Soldaten kämpfen oder die afghanischen Truppen ausbilden. Und Nichtregierungsorganisationen Geld in viele Projekte stecken.
Afghanistan - immer noch ein konservatives Land
Einige Mädchen dieser Generation konnten zur Schule gehen und auf Universitäten. Dennoch leben sie auch heute noch in einem konservativen Land. Um sich selbst Mut zu machen, haben sie auf die Mauern des Senders Sprüche verewigt wie:
"Gewalt gegen Frauen ist eine Beleidung gegen die Menschheit" oder "Frauen zu stärken bedeutet eine bessere Zukunft."
Aber ihr Publikum ist nicht nur weiblich. Auch Männer aus Afghanistan schauen den Sender. Es sei vor allem eine Frage der Generation, wer solche aus afghanischer Sicht gewagten Experimente unterstütze, sagt die Geschäftsführerin Setara Hassan:
"Die junge und die alte Generation, die unterstützen uns. Die alte hat schon vor den Taliban gesehen, dass Frauen in und außerhalb von Kabul gearbeitet haben, gebildet waren und so Vorbilder für andere Frauen waren. Die sind offener, wenn es um Frauenrechte geht. Und dann ist da diese junge Generation, die in Sozialen Medien unterwegs ist, und die sind auch viel offener für die Gleichstellung von Männern und Frauen."
Der Frauensender hat viele Gegner
Unbestritten. Der Sender ZAN TV hat auch viele Gegner. Darunter Afghanen, die denken, dass Frauen nichts zu sagen hätten, außer in den eigenen vier Wänden. Dafür müssten sie weder zur Schule, noch studieren und schon gar nicht im Fernsehen auftreten. Für einige Menschen im Land sind Frauen keine eigenständigen Menschen. Sie sind die Frau des Ehemannes oder die Mutter des Sohnes. Selbst auf den Grabsteinen stehen ihre Namen nicht geschrieben:
"Da ist dann noch die mittlere Generation im Land, die unter den Taliban gelebt hat, als die hier geherrscht haben. Die sind mit der Idee groß geworden, dass Frauen sich unter der Burka verstecken müssen. Frauen sollten sich nicht außerhalb des Hauses aufhalten und wenn, dann nur mit männlicher Begleitung. Mit dieser Vorstellung sind sie groß geworden und das ist die schwerste Gruppe von Leuten in Afghanistan, mit der wir als Frauen in einem Frauensender zu tun haben."
Tägliche Drohanrufe und E-Mails
Drohanrufe und E-Mails erreichen die Redaktion fast jeden Tag. Deshalb arbeiten nun auch Männer an der Telefon-Hotline. Rund 50 Frauen sind bei Zan TV angestellt. Sie wissen selbst, dass sie eine Ausnahme sind in Afghanistan. Im ganzen Land, so schätzen Experten, können rund 80 Prozent der Afghaninnen weder lesen noch schreiben. Ein Drittel von ihnen wird verheiratet, bevor sie 18 Jahre alt sind.
In Afghanistan herrscht Krieg. Über Kabul kreisen ständig Hubschrauber, darin sitzen wichtige Politiker oder Soldaten, die kaum noch mit Fahrzeugen über die Straßen in der Hauptstadt fahren. Gefährdet sind aber auch Zivilisten, darunter Journalisten. Afghanistan ist eines der gefährlichsten Länder für diese Berufsgruppe. Bei Doppelanschlägen sind viele von ihnen in den letzten Jahren ums Leben gekommen.
Sozialer Druck auf Journalistinnen
Für Journalistinnen sei es ungleich schwerer, sagt Farida Nekzad. Sie hat im letzten Jahr ein Schutzzentrum für Reporterinnen gegründet:
"Wir haben in unseren Studien gesehen, dass immer mehr Frauen dem Journalismus den Rücken kehren. Sie werden diskriminiert und bekommen Probleme, weil der soziale Druck auf sie steigt, dass sie nicht in den Medien arbeiten sollen. Auch wegen der vielen Explosionen, deswegen haben die Familien Angst um ihre Töchter. Aber wir müssen arbeiten, also brauchen die jungen Frauen Befürworter und Training."
Und genau das gibt ihnen Farid Nekzad in ihrem Schutzzentrum. Mitten im Zentrum von Kabul, in einer Gegend, in der Entführungen in den letzten Jahren stark zugenommen haben. Farida Nekzad ist in Afghanistan geboren und setzt sich seit Jahren für Frauen im Land ein. Sie hat selbst für viele internationale und nationale Medien gearbeitet, nun will sie ihr Wissen weiter geben. Mit Stipendien ist sie nach Deutschland und in die USA gereist. Sie hätte dort bleiben können, aber sie will ihr Wissen und ihre Erfahrung den Afghanen im Land weiter geben.
Die Tochter wacht nachts auf und schreit
Zweifel kommen ihr nur, wenn sie an ihre neunjährige Tochter denkt:
"Es gibt viele Anschläge hier in der Stadt, auch in der Nähe von unserem Haus, oder auf dem Weg zur Arbeit. Als ich gerade meine Tochter an der Schule anmelden wollte, haben wir eine Explosion gehört, die war sehr nah. Alle um mich herum sind verletzt worden, vor allem wegen der Glassplitter. Wir konnten davonlaufen, aber der Knall hat uns lange begleitet. Sie wacht immer noch nachts auf und schreit."
Wieder kreist ein Hubschrauber über das Schutzzentrum für Journalistinnen. Farida Nekzad nimmt dieses Geräusch gar nicht mehr wahr. Es gehört zu ihrem Alltag in Kabul mit dazu. Sie scheint sich jeden Tag aufs Neue selbst Mut zu zusprechen, dass es richtig ist, in Kabul zu leben und zu arbeiten:
"Wie versuchen einen positiven Wandel in das Land zu bringen. Vielleicht sehen wir diesen Wandel eines Tages auch hier, vor allem bei den Frauen."
Wie werden die Taliban jetzt mit den Frauen umgehen?
Aber es gibt auch viele im Land, die befürchten, dass genau das Gegenteil eintreten könnte. Die Taliban üben in fast 70 Prozent des Landes wieder großen Einfluss aus. Als sie Ende der 90er-Jahre in Afghanistan die Macht hatten, wurde Frauen verboten zu arbeiten oder unterrichtet zu werden. Wurden sie auf Schulen entdeckt, drohte ihnen die Todesstrafe. Weil die Islamisten aber wieder so stark geworden sind, werden nun Gespräche über einen möglichen Frieden mit ihnen geführt. Die Parlamentskandidatin Mariam Solaimankhail glaubt und hofft, dass die Taliban heute schon offener gegenüber Frauen seien, die Ämter innehaben:
"Ich glaube, es ist schon ein großer Schritt, dass Frauen an den Friedensgesprächen beteiligt sind. Und nach allem, was ich höre, haben die Taliban akzeptiert, dass Frauen auch in der Regierung bleiben sollten."
Das hoffen vor allem die gebildeten Frauen im Land. Derzeit sitzen 250 Menschen im afghanischen Parlament, 68 Plätze sind für Frauen reserviert. Unter den Taliban durfte keine einzige Frau mitregieren.