Afghanistan nach der Wahl

Eine Demokratie in Kinderschuhen

Eine junge Frau wirft am 21.10.2018 bei den afghanischen Parlamentswahlen in einem Wahllokal in der Hauptstadt Kabul einen Umschlag in eine Wahlurne.
Eine junge Frau bei der Stimmabgabe in Kabul: Die Menschen wollten nicht mehr, dass alte Männer ihren Alltag und ihr Leben bestimmten, so Emran Feroz. © imago / Xinhua
Beobachtungen von Emran Feroz · 29.10.2018
Blutvergießen, Tote und Verletzte: Trotz aller Gewalt zeigten die afghanischen Parlamentswahlen auch Positives, kommentiert der Journalist Emran Feroz. Vor allem junge Menschen wünschten einen Wandel - und hoffen auf die Demokratie.
Jüngste Szenen aus Kabul erinnerten an das Jahr 2014. Als damals Präsidentschaftswahlen stattfanden, standen zahlreiche Menschen vor den Wahllokalen, um ihre Stimmen abzugeben. Frauen, alte Männer, Studenten. Ähnliches war es vor gut einer Woche der Fall, als die Afghanen endlich – nach fast dreijähriger Verspätung – ein neues Parlament wählen sollten.
Über 2500 Kandidaten hatten sich zur Wahl aufstellen lassen, darunter 418 Frauen. Fast ein Drittel von ihnen – insgesamt 804 Personen – ließ sich in der Hauptstadt, die von Wahlplakaten überschwemmt wurde, finden. Vertreter von Minderheiten, darunter etwa Sikhs, Hindus oder Nomaden, gab es ebenfalls.

Wahlablauf mit Problemen – und Toten

Wie zu erwarten, verlief nicht alles reibungslos. Während in den Großstädten, etwa in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, die Wahlkampagnen vorangingen, war dies in vielen ländlichen Regionen nicht der Fall. Kein Wunder, denn mit den Taliban herrscht vielerorts praktisch eine Parallelregierung. Die Extremisten hatten die Wahl zum Ziel erklärt.
In den Tagen und Wochen vor der Wahl wurden zehn Parlamentskandidaten durch Anschläge getötet. Hinzu kam, dass die derzeitige afghanische Politik – allen voran ethnische Konflikte sowie das Mitmischen von Warlords – die Wahldebatte teils dominierte.

Eine junge Gesellschaft will nach vorn

Nichtsdestotrotz gibt es im Kontext der Parlamentswahlen auch positive Entwicklungen zu beobachten. Afghanistans Gesellschaft ist extrem jung, was sich auch anhand der Kandidaten widerspiegelt. Sie haben es satt, dass alte Männer aus vergangenen Zeiten ihr Leben und ihren Alltag bestimmen.
Im Gegensatz zu vielen machthungrigen Politkern, wissen das zum Glück auch viele betagte Afghanen. Viele von ihnen schritten am Wahltag sehr früh am Morgen zu den Wahlurnen und harrten dort stundenlang aus, um ihre Stimme abzugeben. Sie wissen nämlich sehr wohl, um was es hier geht.
Natürlich wurden viele dieser enthusiastischen Wähler abermals enttäuscht. 2014 war es der Streit zwischen den damaligen Hauptkandidaten, Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, der nicht von den Afghanen sondern vom damaligen US-Außenminister John Kerry "gelöst" wurde. Für viele Afghanen war dies ein einprägsames Erlebnis – und Grund genug, den Glauben an die Demokratie zu verlieren. In Zukunft, etwa bei den Präsidentschaftswahlen 2019, sollten derartige Szenarien vermieden werden.

Trotz Gewalt: Wille zur Demokratie

Bei dieser Wahl waren es vor allem organisatorische Schwierigkeiten, technische Probleme und die Tatsache, dass die Regierung tagtäglich immer mehr Kontrolle verliert und nicht einmal den Schutz derartiger Wahlen garantieren kann. Landesweit fanden Angriffe auf Wahlstellen statt. Es gab mehrere Tote und Verletzte. Laut Beobachtern wählte nur ein Drittel der afghanischen Wahlberechtigten.
In Kandahar, im Süden des Landes, wurden die Wahlen um eine Woche verschoben. Lange war unklar, ob die landesweite Wahl überhaupt stattfinden wird. Endgültige Ergebnisse werden lange auf sich warten lassen.
Von einem vollständigen Versagen kann allerdings nicht die Rede sein: Die Ansätze der afghanischen Demokratie sind jung, sie stecken noch in Kinderschuhen. Viele Afghanen haben allerdings deutlich gemacht, dass sie für Demokratie bereit sind und so bald wie möglich aus diesen Schuhen hinauswachsen wollen.

In Frieden statt in Krieg investieren

Ohne Rückhalt fällt ein solcher Schritt allerdings nicht leicht. In dieser Frage ist auch die internationale Gemeinschaft – allen voran Washington – gefragt. Es wäre nämlich gewiss klüger, nicht permanent in den Krieg zu investieren, sondern auch und: vor allem in einen nachhaltigen Frieden.
Die Verhandlungen mit den Taliban sind in dieser Hinsicht ein Schritt in die richtige Richtung. Denn nur unter friedlichen Umständen können demokratische Institutionen wachsen und gedeihen. Alles andere ist Wunschdenken.

Emran Feroz ist freier Journalist mit afghanischen Wurzeln. Er hat in Tübingen Politologie und Philosophie studiert. Regelmäßig berichtet er über die politische Lage im Nahen Osten und Zentralasien in deutsch- und englischsprachigen Medien. Im Oktober 2017 veröffentlichte er sein erstes Buch "Tod per Knopfdruck: Das wahre Ausmaß des US-Drohnen Terrors oder Wie Mord zum Alltag werden konnte".

Porträtaufnahme von Emran Feroz , der an einer Säule lehnt.
© picture alliance / Frank May
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