Julien Baker: "Little Oblivions" 

Eine starke musikalische Beichte

05:55 Minuten
Singer/Songwriterin Julien Baker
Julien Baker singt auf "Little Oblivions" über Alkohol- und Drogenmissbrauch © Matador Records / Alysse Gafkjen
Von Christoph Reimann · 25.02.2021
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"Confessional" wurden lange Zeit hämisch Songs benannt, die von großer Offenheit geprägt sind. Sängerin Julien Baker sieht ihre Musik aber als genau das an: eine Beichte. Und die hat es auf ihrem Album „Little Oblivions“ ziemlich in sich.
Zwei Alben hat die Musikerin Julien Baker bisher veröffentlicht, auf denen sie mitunter hart mit sich selbst ins Gericht geht. Und auch das dritte Album "Little Oblivions", das am Freitag erscheint, ist keine Ausnahme. In seinem Zentrum stehen Alkohol- und Drogenmissbrauch.
"Das ist alles autobiografisch, so sehr ich mir auch manchmal wünschte, es wäre anders. Auf dem Album geht es überwiegend darum, wie es mir im Jahr 2019 ging", sagt Julien Baker.
Die Geschichten, die Julien Baker auf dem Album "Little Oblivions" erzählt, sind eine einzige Beichte. "Confessional", das englische Wort dafür, haben Männer in den 1970er-Jahren zunächst Joni Mitchell und ihren tagebuchartigen Songs verpasst, und dann immer wieder Frauen, die nichts beschönigen.
Eine Frau muss beichten, ein Mann prahlt mit seinen Sünden. Aber es ist 2021, in der Offenheit liegt eine große Stärke, die Dinge ändern sich. Oder?
"Meine Musik ist ganz buchstäblich eine Beichte und ich finde es schlimm, dass dieses Wort immer noch eine negative Konnotation hat. Männer sind da privilegiert: Ein Mann kann ein sensibler Künstler sein, ohne dass er gleich abgestempelt wird.
Aber wenn einem etwas passiert, dann fühlt es sich gut an, mit jemandem darüber zu sprechen. Nicht weil man sich dazu verpflichtet fühlt, sondern weil man verstanden werden will. Und diesen Zweck erfüllt für mich die Musik: Sie ist mein Kommunikationsmittel, mein Mittel, um gesehen zu werden."

Dichter Sound, leider ohne zweite Ebene

Julien Baker ist 25 Jahre alt und gehört zu den besten Songwriterinnen ihrer Generation. Zusammen mit Phoebe Bridgers und Lucy Dacus hat sie als "Boygenius" Musik aufgenommen. Schon der Name kritisiert den Kult um das vermeintliche männliche Genie
Alleine hat Baker zwei sparsam instrumentierte Alben aufgenommen, getragen von ihrer Gitarre und ihrer Stimme. "Little Oblivions" ist hingegen viel dichter produziert. Und da beginnt das Problem.
Die verhallten Gitarren, das matschige Schlagzeug, das melancholisch geklimperte Klavier. Der Sound macht die rührenden Momente des Albums rührselig. Damit kann man bedeutungsschwere Rückblenden in Netflixserien untermalen. Aber den Songs selbst verhilft der Sound zu keiner zweiten Ebene. Alles klingt mehr oder weniger gleich.
Baker hat fast alle Instrumente selbst eingespielt und das Album auch selbst produziert. Sie kann es, keine Frage. Nur lässt sie musikalisch keinen Raum für Zwischentöne, die die reflektierten Texte geradezu einfordern.

Mit Zuversicht und Zuspruch in eine cleane Zukunft

Julien Baker schwört den Lastern ab, dann Rückfall, dann schluckt sie Kohletabletten gegen das Gift im Körper. Sie fügt sich Schmerzen zu, bis sie blutet. Entzieht sich eine Platte mit derart aufrichtigen und persönlichen Texten einer Wertung? Vielleicht liegt der Verdienst so eines Albums in dem, was es Menschen in ähnlichen Umständen gibt: Zuspruch und Zuversicht.
Baker erzählt von vielen emotionalen Reaktionen, die sie auf ihre Musik bekommt. Vielleicht war das Album aber auch in erster Linie wichtig für die Künstlerin selbst: um abzuschließen und um jetzt, nüchtern und clean, in die Zukunft zu gehen.
"Ich fühle mich jetzt viel stabiler. Musik zu machen und sie auf eine Weise zu machen, die mir gefällt, hilft mir auch, körperlich und psychisch gesund zu bleiben."
"Niemand verdient eine zweite Chance, aber ich bekomme immer wieder eine", singt Julien Baker im Song "Ringside". Es schwingt Selbsthass mit. Aber dann öffnet sie eine Hintertür: "Niemand verdient eine zweite Chance, aber, Liebling, ich vergebe selbst andauernd welche."
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