Julie Völk: „Drachenregentage“
© Gerstenberg Verlag
Ein Drache muss mal
07:06 Minuten

Julie Völk
DrachenregentageGerstenberg, Hildesheim 202248 Seiten
18,00 Euro
Von Sylvia Schwab · 16.08.2022
Alle müssen mal aufs Klo - auch ein Drache. Aber was, wenn weit und breit kein passendes in Sicht ist? Julie Völk erzählt eine fantasievolle Geschichte über seltsame Begegnungen und über die großen und kleinen Eigenheiten des Lebens.
Drachen sind angesagt in der Kinderliteratur. Als mythologische Tiere mit einer langen literarischen Tradition bieten sie eine breite Projektionsfläche für die Fantasie. Drachen sind riesig, stark, geheimnisvoll, oft böse, dann auch wieder freundlich, sie können fliegen und Feuer spucken, Angst machen oder auch – als niedlicher „Drache Kokosnuss“– ein guter Freund sein.
In Julie Völks „Drachenregentagen“ ist es allerdings - mal wieder - ganz anders: Ihr Drache ist weder ein feuerspeiendes Ungeheuer noch ein rotes oder grünes Minimonster, sondern ein lustig-luftig auf dem Hausdach tänzelndes Schuppentier mit rotem Regenschirm.
Würstchen, Kaffee und ein Klo
Die Ich-Erzählerin ist ein kleines Mädchen, das es sich zu Hause beim Regen gemütlich machen möchte und ganz unerwartet von seinem Freund Fred gestört wird. Fred, der ebenso riesige wie kindliche Drache, klingelt aufdringlich und will Würstchen und Kaffee. Und dann muss Fred aufs Klo.
Doch das Klo ist – natürlich – zu klein für Fred und die beiden machen sich auf die Suche nach einem passenden Örtchen. In den städtischen Brunnen machen? An einen Baum pinkeln? Dafür ist Fred zu fein.
Ein Drache wie Du und ich
Und so fliegt er mit dem Mädchen auf dem Rücken übers Meer in ein fernes Inselreich mit vielen zauberhaft-zarten pagodenartigen Teehäusern, die von Drachen bewohnt werden.
Dort gibt es auch für Fred das passende Örtchen: keine Höhle, sondern einen edlen kleinen Zentralbau mit Minikuppel, aus dem oben sein langer Kopf und unten sein noch längerer Schwanz herauslugt.
Was die reine Nacherzählung nicht deutlich genug macht: Julie Völks „Drachenregentage“ sind sehr sparsam im Text und total amüsant, weil sie ihr Thema köstlich verfremden.
Weil der Drache nicht klischeehaft böse, kindlich lustig oder eine tragische Figur ist, sondern nur ein normaler, allerdings überdimensionierter Freund. Weil er so wenig drachenmäßig aussieht mit seinen Kinderhänden, den Fächerflügelchen, den verdruckst nach innen gestellten Beinchen und dem geschwungenen Schnurrbart auf dem langen Maul. Und weil er jemand ist wie Du und ich, der auch mal müssen muss.
Zeichnungen mit vielen Details
Zum Reiz dieser ironischen Brechungen kommt der Zauber von Julie Völks grazilen Buntstift-Zeichnungen, die sie mit zart schimmernder Aquarelltechnik kombiniert. Die 1985 geborene Österreicherin liebt kleine Details, Gläser und Gräser, Lampen und Vasen, Blumen und Kannen.
Völk schwelgt in grafischen Linien, in ziselierten Fassaden oder graziösen Bauten im Drachen-Inselreich. Und die städtische Bilderbuch-Idylle mit ihren Geschäften, Bäumen, Vögeln und Mülleimern wird immer wieder augenzwinkernd aufgemischt mit einer pinkelnden Brunnenfigur und witzigen Plakaten.
Bei jedem Durchblättern entdeckt man weitere humorvolle Situationen, Figuren oder Anspielungen. Die Lust der Bilderbuchmacherin Julie Völk am Zeichnen, Erfinden und Entdecken überträgt sich unmittelbar auf den Leser und Betrachter.
Und so setzt man sich mit diesem schönen Bilderbuch aufs Sofa und blättert staunend hin und her. So wie das kleine Mädchen, als es endlich wieder zu Hause ist.