Julie Delpy über "Lolo - Drei ist einer zu viel"

"Kinder zu erziehen, ist beängstigend"

Die französisch-amerikanische Schauspielerin Julie Delpy
Die französisch-amerikanische Schauspielerin Julie Delpy © picture alliance / dpa / Hubert Boesl
Moderation: Susanne Burg · 12.03.2016
In Julie Delpys neuem Film "Lolo" geht es einmal mehr auf witzige Art um Sex und alltägliche Versagensängste. Im Interview outet sich die Schauspielerin als Hypochonder und erklärt, warum es für die Kindererziehung kein Rezept gibt.
Susanne Burg: Ihr Film beginnt mit zwei Freundinnen, Ariane und Violette, die in Biarritz im Urlaub sind und in einem Whirlpool sitzen und sich ziemlich ausführlich über Männer und Sex unterhalten, sehr plastisch. Welchen Ton wollten Sie schon am Anfang des Films setzen.
Julie Delpy: Es ist schon etwas ungewöhnlich. Es sind Freundinnen, die sich seit 20 Jahren kennen und sehr direkt mit dem Thema umgehen. Violette lebt ihr Leben als Frau nicht wirklich, und Ariane macht sich Sorgen um eine Freundin. Sie ist einerseits freundschaftlich besorgt, redet aber sehr schonungslos darüber.
Burg: Das Ganze geht dann im Zug auch weiter. Da unterhalten sie sich auch noch über Sex. Ariane sagt dann auch, Mutter sein ist zum Kotzen. Es ist sehr komisch alles. Wie sehr setzen Sie in der Komödie auf die Mittel auch der Grenzüberschreitung, was Rollenerwartungen an Frauen angeht?
Delpy: Ich wollte diese Frauen nicht zu "Männern" werden lassen. Ich glaube auch nicht, dass Männer so über Frauen reden. Ich wollte eine ganz bestimmte Sorte Frau zeigen, der inzwischen alles egal ist. Nicht nur der Sex, auch die Art und Weise, wie sie über das Muttersein redet, wenn sie sagt "ach, es ist so scheiße, Mutter zu sein". Sie sagt Dinge, die Leute manchmal fühlen, aber sich nie zu sagen trauen. In dem Film ist sie die Mutter eines Teenagers, der ihr das Leben zur Hölle macht. Darum sagt sie, Mutter zu sein nervt. Das trifft nicht auf jeden zu, aber auf sie schon. Violette sieht das anders. Für sie ist es normal, dass das Kind einem das Leben schwer macht, sie sieht ihre Rolle als die der Mutter, die gibt und gibt und gibt, bis sie nicht mehr kann. Aber Ariane fühlt das Gegenteil, sie hat die Nase voll von ihrer Tochter.

Vom dummen Witz bis zu politischen Anspielungen

Burg: Dieser Humor – "Lulu" steht in der Tradition in gewisser Weise von Screwball-Komödien. Es geht sehr viel um Beziehungen, es sind sehr schnelle Dialoge. Was reizt Sie an diesem Humor?
Delpy: Ich mochte schon immer ganz unterschiedliche Arten von Humor, die ich dann gerne mische, Dialoge, Situationen, manchmal ein Witz, der sich über eine ganze Weile hinzieht, wie die Sache mit dem gebrochenen Arm. Schräger Humor, unbequemer Humor, wenn sich Leute in einer Situation unwohl fühlen – ich mag alle möglichen Varianten des Humors. In einem Film befasse ich mich gerne mit verschiedenen Genres, vom dummen Witz zum intellektuellen, oder zu politischen Anspielungen, ich mische gern alles.
Burg: Wie gehen Sie dabei vor, weil was an ihren Filmen häufig auffällt, ist die Natürlichkeit der Dialoge, auch bei den Linklater-Filmen, an denen Sie das Drehbuch mitgeschrieben haben, also "Before Sunrise", "Before Sunset" und "Before Midnight", auch da ist diese gewisse Natürlichkeit in den Dialogen.
Delpy: Ich versuche immer, auch für Komödien, Dialoge zu schreiben, die authentisch klingen. Wenn der Dialog geschrieben ist, geht es darum, so mit den Schauspielern zu arbeiten, dass es wie im echten Leben wirkt. Von Kindheit an sehe ich Filme und denke ganz oft: "Oh, hier sieht man, dass sie schauspielern", und das mag ich nicht. Gut ist, wenn man praktisch vergisst, dass die Leute auf der Leinwand Schauspieler sind, wenn so hyperrealistisch, naturalistisch gespielt wird, dass man glaubt, einem Leben zuzusehen. Bei Komödien ist das schwieriger, weil Komödien Komödien sind, und Realismus Realismus. Ken Loach zum Beispiel macht realistische Filme, nicht wirklich Komödien, bis auf eine oder zwei. Science-Fiction-Filme haben auch nicht diese realistische Spielweise. Aber ich liebe das Realistische so sehr, dass ich es auch in der Komödie haben möchte, es gefällt mir einfach besser, wenn es echt klingt. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich die Tochter von zwei Schauspielern bin. Es stört mich einfach, wenn Leute zu offensichtlich etwas darstellen – ich mag es, wenn sie etwas sind. Dazu versuche ich meine Schauspieler zu bringen. Ich weiß nicht, vielleicht ergibt das auch keinen Sinn?
Burg: Doch, das macht sehr viel Sinn. Ich stelle mir das nur besonders bei Komödien tatsächlich sehr schwierig vor. Kann Komödie, weil Sie sagen, Realismus, in gewisser Weise vielleicht sogar besser das reale Leben darstellen als ein ernster Film?
Delpy: Ich glaube, es gibt einen bestimmten Aspekt des Lebens, der lustig ist, vielleicht nicht für jeden lustig. Was die Protagonisten durchmachen, ist für sie selber nicht lustig, aber für uns schon. So als wenn man einen Stummfilm sieht, in dem Charlie Chaplin auf den Kopf gehauen wird. Dann tut ihm das weh – aber es ist lustig. Und so ist das auch hier: im echten Leben tut es weh, aber in Filmen kann man das so zeigen, dass es witzig ist. Filmen kann man den Tonfall geben, den man haben will. Ich könnte den Film auch als Thriller drehen, wie dieses Kind die Familie zerstört, alles sehr dunkel und verworren darstellen. Aber ich habe mich für die Komödie entschieden, und das einzige, was anders ist, ist die Art und Weise, wie es gefilmt wird: In hellen Farben, alles ist ausgeleuchtet, mit lustigen Dialogen. Alles hängt auch von der Erzählweise ab. Beim Schneiden des Films habe ich gemerkt, dass es beängstigender wurde, wenn wir weniger von Lolos machiavellistischer Seite mit diesem kleinen Lächeln gezeigt haben. Das Lächeln wieder reinzuschneiden, macht den Film lustiger. Dann denkt man, oh, er wird ihnen weh tun, und es wird spannend. Es ist interessant, was Details ausrichten können. Dieser Film könnte ohne einige der lustigen Details recht gruselig sein. Es ist ja nicht immer sehr angenehm, was da passiert.

Soziopathen funktionieren in der Gesellschaft

Burg: Ja, weil Lolo ist ja eigentlich ein Psychopath. Er guckt im Darknet nach Plutonium und würde am liebsten –
Delpy: Manche Leute wissen nicht, was Plutonium ist. Es ist das, was diesen Mann in London innerhalb von zwei Wochen getötet hat, eine der grausamsten Methoden, jemanden umzubringen, und eine der teuersten. Lolo könnte sich das also gar nicht leisten. Er kauft dann stattdessen Juckpulver.
Burg: Diese Figur von Lolo – er will ja verhindern, dass Jean-Renés und Violettes Beziehung überhaupt eine Chance hat, und denkt sich eben alle möglichen Sachen aus, um das zu verhindern. Wie gesagt, er ist eigentlich ein Psychopath. Er ist arrogant, überheblich, selbstgefällig. Wie unsympathisch sollte er sein, und wie eigentlich auch psychisch krank wollten Sie ihn darstellen?
Delpy: Es ist ja immer noch eine Komödie. Einerseits möchte man diesen Jungen erwürgen, andererseits ist er sehr charmant. Ich würde ihn eher als Soziopathen denn als Psychopathen bezeichnen. Diese Leute funktionieren in der Gesellschaft, viele sind sogar sehr erfolgreich und genießen Ansehen, also viele Firmenchefs sind Soziopathen. Nicht alle Chefs, aber einige. Leute, die keine Schuldgefühle haben, wenn sie Konkurrenten ausschalten, sehr skrupellose Menschen. Bestimmt sind auch viele Schauspielerinnen, die es an die Spitze geschafft haben, Soziopathinnen. Ich hab auch ein paar Regisseure getroffen – ziemlich viele im Filmbusiness sind Soziopathen. Für mich war es lustig, diesen grässlichen Charakter zu erforschen. Es hat Spaß gemacht zu sehen, was er als nächstes Schreckliches machen würde. Er lässt ja nichts unversucht, um diesen Mann zu zerstören, sein Liebesleben, sein Berufsleben, im Grunde alles. Jean-René versucht schließlich, sich zu wehren und gewinnt letztendlich auch, weil die Mutter merkt, was da passiert. Aber bis es so weit ist, kommt Lolo mit einigem durch.
Burg: Sie haben eben gesagt, auch viele Regisseure sind Soziopathen. Wie würden Sie sich selbst beschreiben als Regisseurin? Frauen müssen am Set ja häufig um ihre Autorität kämpfen? Wie ergeht es Ihnen am Set?
Delpy: Als Regisseur muss man autoritär sein. Vielleicht fällt das bei Frauen eher auf, weil man bei ihnen nicht damit rechnet. Ich persönlich bin als Regisseurin sehr ruhig. Ich weiß genau, was ich will, ich bin nie laut. Nicht nur, weil die Leute mich sonst nicht mehr mögen würden, sondern weil ich nicht gerne in einer Situation von Angst und Druck arbeite. Auch wenn ich selbst vielleicht nervös bin, möchte ich nicht, dass die Leute das zu spüren bekommen. Wenn ich Zweifel habe, versuche ich das nicht zu zeigen. Die Rolle des Regisseurs besteht darin, die Fassung zu bewahren. Wenn es mit dem Regisseur durchginge, würde alles Schaden nehmen. Bei Schauspielern geht man schon davon aus, dass sie verletzlicher sind, aber als Regisseur kann man sich solche Verletzlichkeit nicht leisten. Ich glaube also nicht, dass ich am Set autoritär bin. Eigentlich bin ich ziemlich entspannt.

Nervös und obsessiv

Burg: Ich frage auch, weil Carine Villard, die Ariane spielt, über Sie gesagt hat, Sie seien sehr obsessiv und hypochondrisch, aber belasten damit nicht die Schauspieler, sondern ermutigen Sie sogar, darüber Witze zu machen.
Delpy: Ich bin ein sehr nervöser und obsessiver Mensch, was sich wohl auch in meiner Arbeit zeigt: Ich drehe viele Takes, bevor ich zufrieden bin, passe genau auf, dass alles dabei ist, was ich für den Schnitt brauche. Aber ich versuche, die anderen von dieser Nervosität zu verschonen, ich versuche freundlich zu allen zu sein. Es gibt ja auch keinen Grund, nicht freundlich zu sein. Wenn ich nicht gerade angegriffen werde, bin ich normalerweise ein sehr netter Mensch, aber wenn mich jemand angreift, werde ich wirklich garstig. Sonst gibt es aber keinen Grund, aggressiv zu werden. Wenn jemand grob oder aggressiv wird zu mir oder zu meinem Sohn, was beim Film noch nicht passiert ist, dann werde ich zur Bestie, dann könnte ich töten, wenn ich müsste. Aber ja, es stimmt, ich bin nervös und obsessiv und eine Hypochonderin, aber ich versuche damit umzugehen, so gut es geht.

"Es ist einfach eine unfaire Welt"

Burg: Mich würde noch interessieren die Figur von Violette. Die ist ja eben auch die Mutter von diesem Soziopathen Lulu. Inwieweit steht Violettes Erziehung für Sie auch stellvertretend für eine Generation von Eltern, die sich immer sehr stark um ihre Karriere gekümmert hat, die aber auch den Kindern nie Grenzen gesetzt hat?
Delpy: Ja, ich denke, sie hat immer zu allem Ja gesagt. Aus Liebe zum Kind hat sie ihm alles gegeben, was sie konnte. Die Ironie des Films besteht auch darin, dass sie am Ende als Ergebnis all dieser Liebe jemanden bekommt, dem es nicht gut geht, was so traurig ist. Stellen Sie sich vor, Sie erziehen Ihr Kind mit aller Liebe, Sie geben ihm alles, Sie sagen zu allem Ja, Sie sagen ihm immer wieder, dass es großartig ist. Und am Ende haben Sie jemanden, der destruktiv ist, was unfair ist, aber manchmal passiert. Ich habe Freunde, die ihren Kindern alles gegeben haben, die beste Ausbildung, bla bla bla – und am Ende sind die Kinder extrem undankbar und sehr frech zu ihren Eltern. Da fragt man sich: Was haben sie falsch gemacht? Sie haben nichts falsch gemacht, es ist einfach eine unfaire Welt. Dann gibt es andere, die ihren Kindern nicht viel geben. Dennoch finden die Kinder ihren Weg und machen etwas aus ihrem Leben. Das ist schon merkwürdig. Kinder zu erziehen ist beängstigend, weil man nie weiß, was man richtig oder falsch macht – ich habe da auch keine Antwort.
Burg: July Delpy, vielen Dank! Thank you very much!
Delpy: Thank you very much!
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