Julie Delpy über ihren Film "My Zoe"

"Was, wenn Klonen gar nicht so schrecklich wäre?"

11:44 Minuten
Julie Delpy steht in "My Zoe" gemeinsam mit ihrer Filmtochter vor einem Aquarium mit Quallen.
In "My Zoe" versuchen zwei getrennte Eltern mit dem gemeinsamen Kind umzugehen - und ziehen dafür unkonventionelle Möglichkeiten in Betracht. © Warner Bros.
Moderation: Susanne Burg · 09.11.2019
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Julie Delpy hat ihren neuen Film "My Zoe" fast im Alleingang realisiert: Von ihr ist das Drehbuch, sie hat Regie geführt und spielt auch noch die Hauptrolle. Das Eltern-Drama mit Richard Armitage und Daniel Brühl lotet ethische Grenzbereiche aus.
Susanne Burg: Filmemachen ist ein kollaborativer Prozess, als Regisseurin oder Schauspielerin hat man immer viele Leute um sich herum. Drehbuchschreiben dagegen ist eher eine einsame Tätigkeit.
Julie Delpy: Wenn man alleine schreibt, ja. Aber ich habe auch schon Drehbücher mit Freunden zusammen geschrieben und war bei einigen Co-Autorin, und dann wird das zu einer Art Party.

Schreiben als emotionale Reise

Burg: Das wollte ich grade fragen: Sie haben mit Richard Linklater angefangen zu schreiben, und dann haben Sie angefangen Regie zu führen …
Delpy: Ich habe schon lange vor der Arbeit mit Richard Linklater geschrieben. Mein erstes Drehbuch habe ich mit 15 verfasst. Aber es stimmt, mein Schreiben, aus dem dann wirklich ein Film geworden ist, begann mit "Before Sunrise". Da habe ich mit Ethan Hawke das Skript geschrieben – was übrigens damals nirgends erwähnt worden ist. Unsere Namen erschienen nicht im Abspann, obwohl wir den größten Teil geschrieben hatten. Aber egal, ich würde sagen, es kommt auf das jeweilige Drehbuch an. Wenn man alleine schreibt, ist das eine emotionale Reise, man geht in sich, wenn man mit anderen zusammen schreibt, dann geht man aus sich heraus, also irgendwie der entgegengesetzte Prozess.
Burg: Wie hat es bei diesem Drehbuch zu "My Zoe" funktioniert? Erste Ideen hatten Sie ja wohl schon vor längerer Zeit. Wie haben Sie an diesem Skript gearbeitet und wie hat es sich im Laufe der Zeit entwickelt?
Delpy: Vor 25 Jahren hatte ich eine vage Idee davon, was ich tun wollte. Ich wollte etwas schreiben, aber das war nicht wirklich das, was jetzt herausgekommen ist. Es ging um Schicksal und wie man dagegen angeht. Es war nur ein Konzept. Dann habe ich meinen Sohn bekommen und die Vorstellung davon, was es bedeutet, Mutter zu sein, wurde zur Realität. Die Sorge, die sich mit dem Elternsein einstellt, war ebenfalls Teil davon, die Angst der Eltern darüber, wie einzigartig und zerbrechlich so ein Kind ist.

Menschen, die sich bis aufs Blut bekämpfen

Burg: Im ersten Teil des Films geht es um zwei getrennte Eltern, die nach einem Weg suchen, mit ihrem gemeinsamen Kind Zoe umzugehen. Sie schwanken dazwischen, über Anwälte zu kommunizieren oder es einfach alleine zu versuchen miteinander klarzukommen. Die beiden kennen sich sehr gut, wissen, wie sie den anderen verletzen, wie sie ihn unter Druck setzen und wie sie ihre Macht zeigen können. Weil wir grade über den Schreibprozess gesprochen haben – wie schwierig ist es, diese Szenen zu schreiben, wo Menschen sich bekämpfen, wo man sieht, dass sie eine gemeinsame Geschichte haben, die aber nicht erzählt wird?
Delpy: Dafür muss man sich innerlich an diesen Ort begeben. Menschen sind manchmal so grausam, wenn sie sich trennen. Dazu kommen die verletzten Egos. Statt sich darauf zu konzentrieren, die Umstände zu verbessern, wollen sie manchmal alles irgendwie noch schlechter machen. Da sieht man dann die hässliche Seite der Menschen.
Vor dieser hässlichen Seite wollte ich nicht zurückschrecken. Ich wollte die beiden Eltern nicht niedlich erscheinen lassen. Manchmal vergessen sie beinahe das Kind, weil sie so wütend aufeinander sind. Deshalb gibt es diese Szene, in der sie sich streiten, nachdem Zoe bereits im Krankenhaus ist, als sie noch nicht wissen, wie schlecht es ihr eigentlich geht.
Ich habe sie da so grausam werden lassen, weil ich zeigen wollte, wie ihre Wut aufeinander sie fast vergessen lässt, was wirklich wichtig ist. Es ist interessant, wie selten man das in Filmen sieht. Da lassen sich dann Leute scheiden, aber es ist immer so, als wären sie einander ja noch so wichtig und nur die Anwälte sind böse. Ganz rührend und herzig im Vergleich zu dem, was ich sonst erlebt habe – diese Düsternis, in die sich Leute manchmal begeben, wenn sie sich trennen.

Es geht immer um Paare

Burg: Sie haben gesagt, dass solche Trennungen nur sehr selten in Filmen auftauchen. Wie sehr interessieren Sie sich in Ihren Filmen für Beziehungen allgemein? Wenn ich mir Ihre Filme ansehe, geht es immer um Beziehungen, nicht immer um Trennungen, aber um Menschen, die versuchen, miteinander umzugehen, zu kommunizieren, zusammenzukommen, es geht um ihre Grenzen.
Delpy: Das ist auf jeden Fall ein Thema, das mich interessiert. Bis jetzt geht es in meinen Filmen viel um Beziehungen, weil das etwas ist, was mein Leben berührt. Ich weiß, worum es geht und Beziehungen sind einfach interessant, diese Dynamiken. Wenn man sich überlegt, dass unsere Gesellschaft vollkommen auf menschlichen Beziehungen aufbaut.
Präsidenten, Politiker, wen man auch ansieht, es geht immer um Individualität in Bezug zu einer anderen Person. Es geht weniger um Gruppen als um Paare. Man redet über die First Lady, über die Frau von Prinz Harry - es geht immer um die bessere Hälfte. Die Vorstellung des Paares ist in unserer Gesellschaft so wichtig und grundlegend.
Burg: Wir haben über die erste Hälfte des Films gesprochen, über die zweite Hälfte zu sprechen, wird jetzt schwieriger, weil wir ja nicht zu viel verraten möchten …
Delpy: Für mich ist der Film ein intimes Drama mit einer heftigen Kehrtwende, die ungewöhnlich ist. Also machen Sie sich auf etwas gefasst, dass Sie in einem Drama so nicht erwarten würden.
Burg: Wie würden Sie den zweiten Akt beschreiben?
Delpy: Ich glaube es wird zu einem Drama der Vorahnung, ein Drama mit einem Vorgeschmack auf die Zukunft. Was wäre, wenn? Was würde man als Elternteil machen? Da blickt der Film ganz tief hinein, in diese Vorstellung. Ich habe sehr viel zu dem Thema gelesen. In Wissenschaftsmagazinen sieht man, dass alle Wissenschaftler Angst davor haben, dass wir kurz vor der Realisierung dieser Möglichkeiten stehen. Dennoch setzen wir uns ethisch nicht ausreichend damit auseinander. Unser Hirn scheint es nicht fassen zu können, dass es bereits Realität ist. Es ist zu verrückt. Es ist einerseits Science Fiction, andererseits auch nicht.

Auf der emotionalen Ebene reden

Burg: Dürfen wir es beim Namen nennen?
Delpy: Klonen. Ja, das ist okay, weil ich denke, dass es eine Reise ist. Und es steckt ja auch voller Überraschungen, der Film ist nicht aufgebaut wie ein Drama, da passiert mehr.
Burg: In welchem Ausmaß muss sich die Wissenschaft damit befassen, ob es moralisch ist, zu klonen? Und befasst sie sich genug damit?
Delpy: Ja, oder anders gefragt, befasst sie sich auf die richtige Art und Weise damit? Was wäre denn, wenn Klonen gar nicht so schrecklich wäre? Bisher liegt der Fehler meines Erachtens darin, dass wir nur über Ethik reden und nicht über menschliches Leben.
Wenn wir anfangen, auf emotionaler Ebene darüber zu sprechen, dann erst gibt es wirklich eine Auseinandersetzung damit. Das versuche ich, mit dem Film zu sagen. Es ist unsere Wissenschaft, und wo diese hingeht, ist durchaus emotional. Es mag ethisch falsch sein, aber was bedeutet das auf der emotionalen Ebene? Irgendwann müssen wir auf den emotionalen Aspekt zu sprechen kommen, denn schließlich sind wir emotionale Wesen.

"Ich sage nicht, dass ich für Klonen bin"

Burg: Aber die Frage ist ja immer, wenn die Büchse der Pandora einmal geöffnet ist, was macht man dann? Wenn die Wissenschaft so weit ist, wie können wir dann sicherstellen, dass wir weiter darüber sprechen werden?
Delpy: Man kann sich bei der Wissenschaft nie sicher sein. Niemals. Die Forschung zum Thema Fortpflanzung zum Beispiel hat dazu geführt, dass nun Frauen Kinder bekommen können, die das früher nicht konnten, das ist ja nichts Böses. Glauben Sie, dass In-Vitro-Befruchtung böse ist? Nein, das ist es nicht.
Eine Zeitlang haben die Menschen gedacht, es sei etwas Schlechtes. Das Klonen ist ein weiterer Schritt. Es ist viel verrückter. Aber nehmen wir die Genom-Editierung – wenn man weiß, dass man ein Kind haben kann, das aber mit einer schrecklichen Krankheit geboren werden würde, die es sein Leben lang leiden lassen würde, würden Sie dann nicht sagen, ja, lass uns etwas dagegen tun?
Ich weiß nicht. Dann kommt es darauf an, wo man sich positioniert. Wenn man die Wissenschaft ablehnt, lehnt man sie ab. Wenn man für die Wissenschaft ist, muss man nicht zwangsläufig für alle Varianten der Wissenschaft sein, aber wir müssen verstehen, dass die Wissenschaft mit unseren Gefühlen verbunden ist.
Ich sage nicht, dass ich für das Klonen bin. Wahrscheinlich habe ich mehr Zweifel daran als die meisten anderen Menschen. Darum hinterfrage ich es ja auch. Aber ich finde, dass wir es uns auf emotionaler Ebene näher ansehen sollten, nicht nur auf ethischer und wissenschaftlicher.

Frauen über 50 - und ihr Text in Filmen

Burg: Im Film ist die Mutter die Aktive, sie leidet zwar, aber sie handelt, sie hat eine Mission, und lässt sich durch nichts aufhalten. Normalerweise übernehmen in Filmen Männer diese Rolle der Figur, die bereit ist, alles zu riskieren. War es eine bewusste Entscheidung, diese Rollen umzudrehen?
Delpy: Ja. Es scheint mir so, als sei Frauen nie die Möglichkeit gegeben, diejenigen zu sein, die die Entscheidungen treffen, auch wenn es die falschen Entscheidungen sind. Besonders, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben, sind Frauen immer diejenigen, die sagen: 'Nein, mach das nicht. Tu das nicht.' Das ist dein Text im Film als Frau über fünfzig: 'Geh da nicht hin. Bitte, mach das nicht.'
Damit wende ich mich gegen die Vorstellung davon, dass Frauen, besonders solche mittleren Alters, nicht aktiv werden und keine bahnbrechenden Entscheidungen treffen. Frauen über 45 sind in unserer Welt noch immer stigmatisiert. So, als sollten wir uns besser verstecken. Das finde ich interessant. Ich schreibe da gerade eine Serie drüber, in der Frauen über 45 diejenigen sind, die alles anführen. Es ist schon seltsam, dass Männer die Freiheit haben, zu sein wie sie wollen, bis sie hundert Jahre alt sind. Frauen dagegen haben angeblich eine Art Verfallsdatum. Das ist ziemlich frustrierend.

Übersetzt von Marei Ahmia

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