Jürgen Domian: "Dämonen. Hansens Geschichte"

"Ich habe in so viele Abgründe gucken müssen"

Der Moderator Jürgen Domian
Der Moderator Jürgen Domian © dpa picture alliance/ Henning Kaiser
Jürgen Domian im Gespräch mit Ute Welty · 30.10.2017
Seit langem setzt sich der Autor und Radiomoderator Jürgen Domian für eine Enttabuisierung der Selbsttötung ein. Gibt es einen Zwang zu leben, nur weil man lebt? Darf man nicht einfach lebensmüde sein? Das ist auch das Thema von Domians neuem Roman
Muss man leben, nur weil man lebt? Diese Frage hat sich Radiomoderator Jürgen Domian immer wieder gestellt, wenn in seinen WDR-Talksendungen Menschen anriefen, die einfach lebensmüde waren.
Immer wieder hätten Talkgäste diesen Wunsch geäußert, sagte Domian im Deutschlandfunk Kultur. Natürlich stecke hinter solchen Wünschen oftmals eine Depression oder andere Erkrankung. "Aber es gibt eben auch den Punkt, und an dem stand ich einige Male während der Sendung, in der Live-Situation, wo ich merkte, diese Person hat das alles wirklich klar durchdacht", so der Radiomoderator. "Und ich kam mir dann beinah übergriffig vor, diese Person noch weiter vom Leben überzeugen zu wollen und habe dann, was sehr ungewöhnlich ist und was sicher auch polarisierend ist, gesagt, ja, wenn du das so siehst und du mit dir im Reinen bist, dann ist das dein Weg."

In der Abgeschiedenheit kommen die Dämonen ans Licht

Nach Selbsttötung strebt auch Hansen, die Hauptfigur aus Domians gerade erschienenem Roman "Dämonen. Hansens Geschichte". Er ist weder krank noch depressiv, sondern hat einfach genug. Sein Plan: Er will sich in einer Winternacht in Lappland nackt in den Schnee legen und sterben. Bereits im Sommer bricht er auf, um sich in Ruhe und Abgeschiedenheit vom Leben verabschieden zu können.
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Coverabbildung: Jürgen Domian, Dämonen© Foto: imago, Cover: Gütersloher Verlagshaus
"Ich begleite ihn dann von Juni bis Dezember und begleite ihn auch dabei, wie er gegen die Dämonen seines Lebens zu kämpfen hat: die Dämonen des Bösen, der Schuld, der Versuchung, der Trägheit und so weiter." Denn all das komme an die Oberfläche, wenn man allein sei:
"Wenn man überhaupt nicht abgelenkt ist, so wie wir hier alle in unserem Alltag ständig abgelenkt werden, bricht alles aus einem hervor, aber wirklich alles: All die Verletzungen, die man erlebt hat, aber auch all das, was man anderen Menschen angetan hat, und man hat es vor Augen, vor den inneren Augen und muss sich damit auseinandersetzen."

Wo die Parallelen zwischen Domian und seiner Hauptfigur enden

Wie seine Hauptfigur fährt auch Domian gern und oft in den hohen Norden, er hat seinem Helden sein Alter und sogar seinen Geburtstag verpasst. Muss man sich jetzt Sorgen um ihn machen? Nein, meint Domian. Er habe durchaus vor, seinen 60. Geburtstag zu überleben. "Wobei ich schon natürlich zugeben muss, dass gravierende Erfahrungen, die ich in Lappland in den letzten Jahren gesammelt habe – ich reise sehr gerne und sehr oft dorthin –, natürlich in das Buch miteinfließen", sagt er. "Ich mache das auch immer so, dass ich mich zurückziehe tief in die Wildnis, miete mir irgendwo eine Hütte und bin dann mehrere Wochen ganz allein, aber wirklich ganz allein, ich schweige, kein Handy, kein Internet, gar nichts, ich schlafe und wandere –, und das sind am Anfang immer sehr schwere Zeiten."
(uko)

Jürgen Domian: "Dämonen. Hansens Geschichte"
Gütersloher Verlagshaus 2017
192 Seiten, 18.99 Euro


Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Heute ist ein besonderer Tag für Jürgen Domian, denn heute erscheint das neue Buch des Mannes, der als Radiotalker bundesweit bekannt geworden ist. Mehr als 20.000 Interviews hat er zwischen 1995 und 2016 für seine Sendung "Domian" geführt. Mehr als 20.000 Leben, Schicksale und Geschichten. Jetzt konzentriert er sich vor allem auf ein Leben, und zwar auf das von Hansen. Die Titelfigur des Romans will an ihrem 60. Geburtstag sich nackt in den lappländischen Schnee legen und sterben. Guten Morgen, Herr Domian!
Jürgen Domian: Schönen guten Morgen!
Welty: Hansen hat am 21. Dezember Geburtstag. Sie haben am 21. Dezember Geburtstag. Er wird 60, Sie werden 60, und wie Hansen fahren auch Sie gerne und oft in den hohen Norden. Jetzt sagen Sie mir nicht, das ist alles Zufall.
Domian: Nein, aber Sie brauchen sich keine Sorgen machen, –
Welty: Gut!
Domian: – dass ich dasselbe plane. Nein. Wobei ich schon natürlich zugeben muss, dass gravierende Erfahrungen, die ich in Lappland in den letzten Jahren gesammelt habe – ich reise sehr gerne und sehr oft dorthin –, natürlich in das Buch miteinfließen, so wie niemals ein Werk oder ein Roman zu trennen ist von seinem Schreiber.

Wir haben alle mit Dämonen zu kämpfen

Welty: Der volle Titel des Romans lautet "Dämonen: Hansens Geschichte". Woher kommen Hansens Dämonen?
Domian: Na ja, ich glaube, dass wir alle mit unseren Dämonen zu kämpfen haben. Der Hansen fährt dann schon sehr früh nach Lappland, und ich begleite ihn dann von Juni bis Dezember und begleite ihn auch dabei, wie er gegen die Dämonen seines Lebens zu kämpfen hat: die Dämonen des Bösen, der Schuld, der Versuchung, der Trägheit und so weiter. All das tragen wir ja in uns herum. Wenn ich beispielsweise alleine in Lappland bin – ich mache das auch immer so, dass ich mich zurückziehe tief in die Wildnis, miete mir irgendwo eine Hütte und bin dann mehrere Wochen ganz allein, aber wirklich ganz allein, ich schweige, kein Handy, kein Internet, gar nichts, ich schlafe und wandere –, und das sind am Anfang immer sehr schwere Zeiten, weil wenn man überhaupt nicht abgelenkt ist, so wie wir hier alle in unserem Alltag ständig abgelenkt werden, bricht alles aus einem hervor, aber wirklich alles: All die Verletzungen, die man erlebt hat, aber auch all das, was man anderen Menschen angetan hat, und man hat es vor Augen, vor den inneren Augen und muss sich damit auseinandersetzen.
Welty: Was mich jetzt überrascht ist, dass dieses Jahrzehnt Talkradio dabei offenbar kaum eine Rolle spielt. Dabei haben Sie doch nächtelang die Zeit verbracht mit eher unglücklichen als mit glücklichen Menschen.
Domian: Was meinen Sie, von wie viel Dämonen mir erzählt worden ist –
Welty: Eben.
Domian: – in all den Jahren. Ja, das fließt natürlich alles in das Buch mit rein.
Welty: Weil Sie das so gerade sehr persönlich erzählten.
Domian: Ja. Ich erzähle es persönlich, weil ich das eben auch so erlebt habe, aber ich habe in so viele Abgründe zwangsläufig gucken müssen, dass ich natürlich damit auch konfrontiert worden bin, was bei den anderen Menschen ist.

"Ich glaube, dass selbstbestimmtes Sterben richtig ist"

Welty: Inwieweit glauben Sie daran, dass es Menschen glücklicher oder vielleicht zufriedener macht, wenn sie den Zeitpunkt ihres Todes in der Hand haben?
Domian: Das ist ein großes Thema. Ich glaube, dass die Selbsttötung eines unserer größten Tabus in Deutschland oder in unserer westlichen Gesellschaft, christlich geprägten Gesellschaft ist. Damit beschäftigt sich das Buch ja am Anfang auch, und Hansen stellt sich die Frage, muss man leben, nur weil man lebt. Ich glaube, dass ein selbstbestimmtes Sterben immer gut und immer richtig ist. Wir hatten voriges Jahr die große gesellschaftliche Debatte über die Sterbehilfe, und ich bin seit Jahren ein Werber für die Sterbehilfe beziehungsweise für den assistierten Suizid, und wir haben da gemerkt bei den Diskussionen, während der Auseinandersetzungen, wie schwierig es ist, zu überzeugen. Das Resultat war ja, dass wir jetzt ein Gesetz haben, das letztendlich noch schwieriger und restriktiver ist als vorher. Selbst in diesem Fall bereitet es große Probleme, eine Akzeptanz der Selbsttötung zu finden, geschweige denn, wenn jemand wie Hansen weder körperlich noch geistig erkrankt ist, sondern einfach an einen Punkt geraten ist in seinem Leben, wo er sagt, ich habe ausgelebt, ich möchte nicht mehr.
Welty: Aber der Punkt ist ja oder der große Unterschied zwischen der Selbsttötung, so wie sie Ihre Romanfigur plant, und der Sterbehilfe, dass eben Zweiter und Dritte nicht unbedingt damit hineingezogen werden, also zumindest nicht in den Vorgang an sich.
Domian: Insofern könnte man eigentlich intuitiv sagen, dass die Variante, die Hansen wählt, moralisch vielleicht eher legitim ist, ist es aber nicht. Dieses liegt wiederum daran, dass wir 2000 Jahre christliche Geschichte hinter uns haben, und in der christlichen Lehre, in der christlichen Ideologie, die Selbsttötung immer stigmatisiert wurde. Meine alte Mutter erzählt noch von Beerdigungen von sogenannten Selbstmördern, die haben nicht mal eine ordentliche Totenfeier bekommen und wurden dann am Rande des Gottesackers verscharrt. Das ist alles noch gar nicht so sehr lange her. Da sind die Menschen durch diese christliche Anschauung in ungeheure Gewissenskonflikte gestürzt worden, die dann einen solchen Schritt unternehmen wollen. Dabei – ich hatte selbst eine sehr intensive christliche Zeit und Glaubensphase, habe ich hinter mir – gibt es in der Bibel nicht eine einzige Stelle, die die Selbsttötung explizit verbietet.

"Beinahe übergriffig, diese Person vom Leben überzeugen zu wollen"

Welty: Eine Selbsttötung löst ja vor allem im Umfeld meist eine so heftige Erschütterung aus, weil auch der Gedanke sofort folgt, was hätte ich tun können, hätte ich retten können. Was ist so falsch an diesem Gedanken?
Domian: Da ist ja erst mal gar nichts falsch dran. Letztendlich ist dieses Buch auch inspiriert durch meine Sendung, weil ich immer wieder Gäste hatte, die genau diesen Wunsch geäußert haben, und natürlich ist es richtig, dass man sich Gedanken macht, und natürlich muss man sich auch erst mal Gedanken machen, denn oftmals stecken ja wirklich Probleme seelischer Art dahinter, eine Depression, irgendwelche anderen Dingen, aber es gibt eben auch den Punkt, und an dem stand ich einige Male während der Sendung, in der Live-Situation, wo ich merkte, diese Person hat das alles wirklich klar durchdacht, und ich kam mir dann beinah übergriffig vor, diese Person noch weiter vom Leben überzeugen zu wollen und habe dann, was sehr ungewöhnlich ist und was sicher auch polarisierend ist, gesagt, ja, wenn du das so siehst und du mit dir im Reinen bist, dann ist das dein Weg.
Welty: Sie stellen "Dämonen" live vor, starten damit übermorgen am 1. November, an Allerheiligen in Duisburg am Theater am Marientor. Wie muss ich mir die Präsentation eines solchen Buches mit einem solchen Thema vorstellen?
Domian: Ich bin ganz gespannt und freu mich darauf, weil es ist nicht nur eine normale Lesung, sondern es ist eine inszenierte Lesung, und die Inszenierung nimmt vor, John von Düffel vom Deutschen Theater Berlin – ich bin sehr froh, dass wir zueinander gefunden haben –, wir arbeiten mit Audioeinspielungen, mit Licht, mit Elementen, die ich jetzt noch gar nicht so sehr verraten möchte, und auch mit einem großen Publikumsblock, der jedes Mal, jeden Abend komplett anders sein wird. Ich gehe in das Publikum hinein, die Leute können reden, fragen, agieren, das Publikum ist der Star. Das ist für mich sehr reizvoll, weil jeder Abend wirklich dann eine andere Farbe haben wird.

Buchvorstellungen bis Mai 2018

Welty: Jürgen Domian hat ein neues Buch geschrieben: "Dämonen: Hansens Geschichte" erscheint heute, und ab übermorgen ist Jürgen Domian damit unterwegs, unter anderem in Duisburg, Höxter und Ahlen. Termine sind angesetzt bis Mai 2018. Da sind wir wieder bei dem Punkt vom Anfang: Sie haben durchaus vor, Ihren 60. zu überleben!
Domian: Ja, allerdings!
Welty: Haben Sie dafür Dank und auch für dieses "Studio 9"-Gespräch!
Domian: Ich danke vielmals!
Welty: Erschienen ist "Dämonen" übrigens im Gütersloher Verlagshaus, 192 Seiten kosten knapp 18 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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