Mit Schülern durch die neue Dauerausstellung
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Das Jüdische Museum hat eine neue Dauerausstellung, durch die nun auch wieder Gruppen geführt werden. Unser Reporter hat sich Abiturienten angeschlossen und erkundet, was diese beim Gang durch das Museum beeindruckt.
"Wir hatten mit den Eröffnungen unseres Museums immer etwas Pech. Die erste Eröffnung war 2001 am 11. September, also 9/11, da kamen gerade die Nachrichten aus New York rein. Am 13. September war dann die Eröffnung. Und dies Mal haben wir Corona. Eigentlich wollten wir Mitte Mai eröffnen, mit der neuen Dauerausstellung, an der zweieinhalb Jahre gewerkelt worden war."
Der Historiker Johannes Schwarz wird für die nächsten eineinhalb Stunden unser Guide durch die neue Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Berlin-Kreuzberg sein. Als Radioreporter durfte ich mich einer Gruppe von Abiturienten anschließen. Johannes Schwarz erklärt den Jugendlichen zuerst die Architektur und Geschichte des Hauses:
"Der Altbau war ursprünglich gar kein Museum, sondern ein Gerichtsgebäude: Der Oberste Preußische Gerichtshof – 250 Jahre alt und im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört. Erst nach dem Mauerbau wurde diese Ruine wiederaufgebaut, um ein eigenes Stadtmuseum einzurichten. Von Anfang an gab es in diesem Gebäude eine Unterabteilung zur jüdischen Geschichte. Wenn ihr in die Berliner Geschichte reinschaut, habt ihr seit Anfang der Stadtgeschichte auch eine jüdische Gemeinschaft. Man kann jüdische Geschichte nicht von der Berlin-Geschichte trennen. Jüdische Menschen haben hier fast immer kontinuierlich gelebt, bis heute."
Das größte jüdische Museum Europas
Im geteilten Berlin gab es alles doppelt. So gab es in West-Berlin ein Stadtmuseum und in Ost-Berlin ein Stadtmuseum. Nach dem Mauerfall führte man beide zusammen. In den 1990er-Jahren wurde beschlossen, im alten Westberliner Stadtmuseum das Jüdische Museum Berlin, kurz JMB, einzurichten: als Einrichtung des Bundes für ganz Deutschland. Und dann kam 1999 der spektakuläre Zickzack-Neubau des Stararchitekten Daniel Libeskind dazu. Mit seiner weit sichtbaren silbernen Titan-Zink-Verkleidung machte er das JMB in der Lindenstraße zum größten Jüdischen Museum in Europa.
Hier erleben die Besucher laut Johannes Schwarz "Vergangenheit. So funktioniert es auch in der Religion. Ihr geht immer zurück ins Alte. Alte Geschichten von Moses, von Jesus, von Mohamed und überlegt euch: Okay, was heißt das eigentlich für mich? Und dann geht ihr damit weiter in die Zukunft: Wo komme ich her? Wo stehe ich? Wo gehe ich hin? Das gibt uns Orientierung: zu wissen, wo man herkommt. Das ist ganz wichtig, glaube ich."
Dann fischt Johannes Schwarz aus seinem Sakko einen kleinen siebenarmigen Leuchter: "Kennt ihr vielleicht? Wie viele Arme? Sieben. Die Menora. War der Tempelleuchter in Jerusalem, für die sieben Tage, die schon in der Bibel auftauchen. Sieben Tage für was? Schöpfungsgeschichte. Wobei Gott eigentlich nur sechs Tage gearbeitet hat. Am siebten hat er geruht. Auch die Idee des Ruhetages kommt erstmals im Judentum hinein. Und hier habt ihr acht Stufen. Also sieben plus eins. Es geht über unsere Welt – die Schöpfung – hinaus in die kommende Welt: Olam Haba sagt man."
Wer kommt in die jüdische "Hall of Fame"?
Die kommende Welt, das Paradies, die Zeit nach dem eigenen Tod, verweist auf das spirituelle Jenseits. Es ist eine vollkommene Welt des Friedens und Wohlergehens. Die Jugendlichen hören aufmerksam zu. War der 18-jährige Max aus der Gruppe der Abiturienten schon einmal in einem jüdischen Museum?
"Nein, noch nie. Ich habe Religionsunterricht in der Schule und da haben wir auch schon mal übers Judentum geredet."
Es ist für junge Menschen wichtig zu erfahren, auf welchen religiösen Grundlagen unsere Zivilisation aufbaut. Der Jude Jesus wurde ans Kreuz geschlagen. Für Christen ist er mit Gottvater und dem Heiligen Geist die Dreieinigkeit und damit eine Basis ihrer Religion. Für Juden gehört Jesus zur "Hall of Fame berühmter jüdischer Persönlichkeiten", genauso wie Albert Einstein, Karl Marx oder Marie Curie. Das können die Besucher in einem anderen Teil des Museums sehen. Viele wissen heute gar nicht, wer alles einen jüdischen Hintergrund hatte. Und es gibt nicht wenige Menschen, die noch nie mit jüdischen Gläubigen zu tun hatten.
Der 18-jährige Max kennt immerhin einen: "Ich habe einen jüdischen Kollegen."
Die Tora, der Davidstern oder Synagogen – das alles kennt Max. Nur zu ihren Bedeutungen und Hintergründen weiß er "aber nicht so viel".
Er selbst bezeichnet sich zwar als gläubig: "Aber ich glaube nicht direkt an Gott."
Mit Johannes Schwarz geht es nun weiter. Er bleibt stehen vor einer großen Glasvitrine mit vielen Ausstellungsstücken: "Ist allen die Tora ein Begriff? Was ist das für ein Ding? Ist ja eine Schriftrolle, würde man sagen."
"Steht darauf nicht die Geschichte vom Judentum oder von der Welt insgesamt, einfach die Bibel?" fragt Max.
Eine Tora für 50.000 Euro
Der Beginn der Bibel - und Johannes Schwarz sagt salopp: "Genau das gleiche Ding, das auch die Christen benutzen. Nur dass die Christen dann noch ein anderes Teil dran gehängt haben. Die würden dann von dem Alten und dem Neuen Testament sprechen. Die Juden würden sagen: Nö, es gibt kein Neues Testament, weil das Alte ist auch noch neu und aktuell. Wobei die Tora nur die ersten fünf Bücher der Bibel enthält. Weil man sagt, genau da drin ist das Allerwichtigste, was uns Gott gegeben hat, wenn ihr jetzt religiös denkt. Und zwar alle Gebote. Die fünf Bücher Mose. Nicht als Buch gedruckt, sondern traditionell soll man sie per Hand schreiben auf Pergament. Pergament ist Tierhaut. Mit einer besonderen Tinte dazu. Ihr braucht theoretisch etwa ein Jahr dazu, um so eine Tora fertigzustellen. 25 Meter ist sie etwa lang und zwischen 30.000 und 50.000 Euro kostet so ein Teil."
Dann kommt Joannes Schwarz auf die Religionsmündigkeit im Judentum zu sprechen. Mädchen sind mit 12 und Jungen mit 13 Jahren soweit, und feiern ihre Bat- bzw. Bar Mitzwa, was dem Sinn nach der Firmung bei Katholiken oder der Konfirmation bei evangelischen Christen entspricht. Dann geht es um die Kippa, die Kopfbedeckung der Juden, als Zeichen der Ehrerbietung vor Gott. Er erläutert die Rolle des Gebetsschals oder von Gebetsriemen. Und was bei Juden heilig ist: "Man soll die Heiligkeit einer Sache auch durch Schönheit ausdrücken. Hier mit den Kronen, weil die Tora wie eine Königin behandelt wird."
An weiteren Gegenständen wie einem Chanukka-Leuchter oder einem Pessach-Teller veranschaulicht Johannes Schwarz weitere jüdische Feste, die Speisevorschriften und ihre Bedeutung. Zum Abschluss geht er mit den Schülern zu einer modernen Videoinstallation. Sie veranschaulicht, wie vielfältig das jüdische Leben im 21. Jahrhundert ist. Alte und Junge, Familienväter und Homosexuelle, Orthodoxe und Liberale kommen dort zu Wort. Gespannt lauschen die Jugendlichen den Filmsequenzen. Gerade taucht ein kleines jüdisches Mädchen auf: "Ich bin das Mittelkind. Und deswegen kriege ich auch meistens immer Ärger. Meine Hobbys sind Malen, Schwimmen und meistens zu Hause zu bleiben."
Hebräisch wird in Deutschland vor allem gesungen
Um alle Objekte zu studieren, bräuchte man Tage. Besonders zeitintensiv sind die vielen Texte über die Shoah: "Mein Liebling ist hier an der Seite eine Installation, die nennt sich Visual Prayer: Aufnahmen aus einem orthodoxen Gottesdienst, wo ganz viel gesungen wird. Hebräisch wird eigentlich nicht gelesen, sondern eher gesungen – sehr eindrücklich. Hier geht es dann in Richtung Gebet und weiteres Lernen, auf verschiedene Regeln im Alltag, zum Beispiel Essen, Wohltätigkeit und dann gehen wir ins Erdgeschoss."
Bevor wir uns verbschieden, teilen noch zwei Schüler ihre Eindrücke zum Besuch im JMB mit. Melih Güner ist einer von ihnen. "Ich bin Muslim. Ich finde das generell interessant, etwas über andere Religionen zu lernen. Ich denke, das wird auf jeden Fall im Kopf bleiben."
In der Familie und Schule hat Melih viel über Religion erfahren: "Im Alltag eher weniger. Ich war davor in Philosophie drin, aber ich habe den Kurs gewechselt."
Auch sein Schulkamerad Artur ist im Religionskurs. Er hat viel gelernt im Jüdischen Museum Berlin: "Ich glaube schon an etwas, aber nicht an eine richtige Religion, wie das Christentum. Ist nicht so mein Ding. Vieles war schon aus dem Unterricht, dem Religionskurs, bekannt. War auch schön, Neues zu entdecken, zum Beispiel Hebräisch, dass man das nicht einfach so liest, sondern eher singt. Wusste ich halt nicht."