"Die Empathie geht verloren"

Wenn es um den israelisch-palästinensischen Konflikt geht,ist fast immer nur von Kampf und Verlusten die Rede. Die Autorin Claire Hajaj erzählt in ihrem Debütroman "Ismaels Orangen" von dem unverdrossenen Versuch, einander über kulturelle und religiöse Differenzen hinweg zu lieben und aneinander festzuhalten.
Das Thema hat einen Hauch von "Romeo und Julia": Wenn eine Jüdin einen muslimischen Palästinenser liebt, ihn heiraten und mit ihm eine Familie gründen möchte, dann sind die Konflikte programmiert. Der Debütroman "Ismaels Orangen" der Britin Claire Hajaj, Jahrgang 1973, erzählt von einem solchen jüdisch-muslimischen Paar, dem es viele Jahre gelang, die Politik aus dem Familienleben heraus zu halten. Hajaj, studierte Politikwissenschaftlerin, die heute in Beirut lebt, erzählt darin die Geschichte ihrer eigenen Eltern, die sich während des Studiums in London kennen und lieben lernten.
Die Geschichte des Romans: Jaffa, April 1948. Der siebenjährige Salim Al-Ismaeli, Sohn eines palästinensischen Orangenzüchters, freut sich darauf, die ersten Früchte des Orangenbaums zu ernten, der zu seiner Geburt gepflanzt wurde. Doch der Krieg bricht aus und treibt die ganze Familie in die Flucht. Von nun an hat Salim nur noch einen Traum: Eines Tages zu seinem Baum zurückzukehren und im Land seiner Väter zu leben.
Zur selben Zeit wächst Judith als Tochter von Holocaust-Überlebenden in England auf - und sehnt sich danach, irgendwann ein normales und glückliches Leben führen zu dürfen. Als Salim und Judith sich im London der Sechzigerjahre begegnen und ineinander verlieben, nimmt das Schicksal seinen Lauf und stellt ihre Liebe auf eine harte Probe.
Eine Ehe voller Kämpfe
Damals gab es noch keine Palästinensische Befreiungsorganisation, der Sechs-Tage-Krieg hatte noch nicht stattgefunden, auch nicht der für die Israelis verlustreiche Jom-Kipur-Krieg. Im Deutschlandradio Kultur erzählt Claire Hajaj, wie schwer es für ihre Eltern in den folgenden Jahrzehnten war, ein Ehepaar zu bleiben. "Die Ehe meiner Eltern war letztlich durch viele Kämpfe gekennzeichnet und durch ganz viel Druck, der in den 1960er-Jahren anfing und bis heute andauert."
Wie ist es für sie selbst als Jüdin in Beirut zu leben - konnte sie sich dort als solche zu erkennen geben? Ihr "Outing" beschreibt sie so: "Ich fühlte mich fast wie ein Homosexueller im Bible Belt in Amerika, der ein Coming Out hat. Es war für mich so, dass ich große Angst hatte, nachdem das Buch veröffentlicht worden war, wie die Menschen reagieren würden, wie sie es aufnehmen würden." Jedoch sei es ihr ein starkes Bedürfnis gewesen, ihre eigene Geschichte zu erzählen. Und sie sei angenehm überrascht gewesen, dass niemand in Beirut ihr mit Feindseligkeit begegnet sei.
Jeder sieht nur den eigenen Konflikt
Immer wieder hat Claire Hajaj in konfliktbelasteten Ländern der arabischen Welt gelebt und dort für die Vereinten Nationen gearbeiten - im Libanon, im Irak, in Pakistan und Nigeria. "Die Triebkraft dahinter war für mich, wirklich zu verstehen, wie solche Konflikte zu lösen sind", sagt die Autorin. Sie habe in diesen Ländern gelernt, dass jede Region ihren Konflikt als den einzig existierenden ansehen: "Sie denken nicht an andere, die leiden, sie denken auch nicht an andere Konflikte. Und das gilt auch für den israelisch-arabischen Konflikt." Das Grausamste sei für sie, dass den Menschen in solchen Konflikten "die Empathie für die andere Seite verloren geht".
In ihrem Buch habe sie sich die Freiheit genommen, auch diese andere Seite zu zeigen und sich in sie hinein zu fühlen.
Claire Hajaj: Ismaels Orangen
Roman, Blanvalet, 2015, 448 Seiten, 19,99 Euro
Roman, Blanvalet, 2015, 448 Seiten, 19,99 Euro