Jubiläum

Zuschauer erreichen, die sonst nicht ins Theater gehen

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Das Team des Prime Time Theaters in "Gutes Wedding, schlechtes Wedding". © Prime Time Theater
Moderation: Matthias Hanselmann · 10.01.2014
Er habe schon immer eine Affinität zu Sitcoms gehabt, sagt der Schauspieler und Theater-Direktor Oliver Tautorat. Auch deshalb habe er vor zehn Jahren mit seiner Partnerin Constanze Behrends die Theater-Soap "Gutes Wedding, schlechtes Wedding" gegründet - und, damit sie einfach spielen können wie sie Lust haben.
Matthias Hanselmann: "Gutes Wedding, schlechtes Wedding", so heißt in Anlehnung an die Fernsehserie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" eine Theater-Sitcom. Seit zehn Jahren wird sie in Berlin mit großem Erfolg aufgeführt, am dortigen Prime Time Theater. Und bei uns ist jetzt Oliver Tautorat, Mitbegründer des Theaters Prime Time Theater und Miterfinder von "GWS…"
Oliver Tautorat: "GWSW"!
Hanselmann: Von wegen "Gute Zeiten, schlechte Zeiten"!
Tautorat: Ja.
Kunst und Theater als Teil der Realität
Hanselmann: Mehr als 300.000 Besucher haben die verschiedenen Folgen jetzt gesehen, die Aufführungen der Jubiläumsausgabe, die in den nächsten Wochen gezeigt wird, sind schon wieder fast ausverkauft. Was liebt denn das Publikum so an Ihnen?
Tautorat: In erster Linie die Geschichten, die Figuren, die immer wieder eine Form haben, die man immer wiedererkennt. Es gibt eigentlich niemanden im Publikum, der drinsitzt, der nicht die eine oder andere Figur, den einen oder anderen Charakter aus der eigenen Wirklichkeit wiedererkennt. Das ist das eine. Und das andere ist sicherlich auch die Atmosphäre, die wir haben, wir versuchen … Wir sehen Kunst und Kultur eben nicht als abgehoben, sondern als ein Teil eigentlich der Realität, auch einen Teil des Lebens, des gesellschaftlichen Lebens, auch Theater. Und ich begrüße zum Beispiel alle Gäste auch mit Handschlag an der Abendkasse, also, ich bin richtiger Gastgeber, Theaterdirektor, ich komme mir auch manchmal vor wie so ein Zirkusdirektor.
Hanselmann: Haben Sie einen Zylinder auf oder …
Tautorat: Zylinder nicht, aber gefühlt manchmal. Ich habe eine Vokuhila-Perücke, vielleicht ist das so eine Art moderner Zylinder, kann man sagen! Ja, und ich denke, die Atmosphäre, die Stücke, auch die Offenheit und auch, dass wir jetzt keinen Künstlerausgang haben, wo wir rausgehen, man kann mit uns sprechen … Ich will es halt nicht so abgehoben haben, also nicht so abgehoben, dass man das Gefühl hat, man macht irgendwas falsch, wenn man jetzt lacht oder nicht lacht.
Hanselmann: Sie spielen ja seit dem Anfang vor zehn Jahren mit. Wir haben eben gehört den Murat unter anderem, den Taxifahrer, dann gibt es einen Rapper mit dem schönen Namen Mushido, der sind Sie aber nicht?
Tautorat: Der wird von Philipp Lang gespielt, der bin ich nicht, nein.
Murat zu Gast im Studio
Hanselmann: So eine Murat-Kostprobe, könnten Sie aus dem Stand eine geben?
Tautorat: Na ja, klar, also Murat ist vor allen Dingen, also, ich bin Murat, ich komme jetzt gerade aus dem Wedding her, bin ja auch erste Mal hier, echt krass, ganz schön reiche Gegend und so, muss ich mal sagen! Ja, ich hab damals auch den ersten Satz gesagt bei "Gutes Wedding, schlechtes Wedding", erster Satz war vor zehn Jahren exakt, war: Hallo, ich bin Murat, Murat Ölgür, ich bin Dönertaxifahrer, und jetzt kommt der Witz nämlich, wisst ihr, wo ich vor Kurzem ausgeliefert hab: nach Charlottenburg! In Charlottenburg hab ich zu Wowereit ausgeliefert, einen Döner ausgeliefert damals! Und deswegen, also, ich bin die erste Figur. Das ist wie die Mickey Mouse bei Walt Disney, kann ich sagen!
Hanselmann: Und halten Sie was von … Sie sind ja, man hört es ja, ein Mensch mit Migrationshintergrund …
Tautorat: Ja, genau.
Hanselmann: Halten Sie was von so Menschen, so Rappern wie Mushido?
Tautorat: Na ja, ich sag mal so, also, der kommt ja vor allen Dingen so aus Steglitz, glaube ich, der ist eigentlich Waldorfschüler und tut halt nur so, als ob er böser Gangsterrapper wär, find ich schwierig! Also, ich mein, die können sich versuchen, an uns zu assimilieren, aber ist nicht so einfach für Deutsche!
Hanselmann: Oliver Tautorat als Murat, danke schön für die Kostprobe!
Tautorat: Ja, bitte, gern!
Hanselmann: Alles begann – kann man lesen auf Ihrer Homepage – auf einer kleinen Wohnzimmerbühne mit Folge eins, die hieß "Die Party". Die Legende sagt: vor 35 Zuschauern. Stimmt das?
Tautorat: Tja, 35 Zuschauer, wirklich! Also, wir hatten die erste Folge Premiere am 10. Januar, eben exakt vor zehn Jahren, und ja, "Die Party" war eine ganz einfache Geschichte: Also, Murat will eine Party geben, ist in Nicole verliebt, lädt alle ein, lädt alle aus außer Nicole. Das heißt, Nicole ist die Einzige, die da ist, sie wundert sich, dass niemand kommt, und so versucht er, sie rumzukriegen. Und das war eine super süße schöne erste Geschichte und 35 Zuschauer. Davon waren zehn Presse und der Rest waren Nachbarn.
Hanselmann: Und mit minimaler Besetzung auf der Bühne.
Tautorat: Zu zweit, Constanze und ich.
Hanselmann: Ziemlich praktisch. Wie sind Sie eigentlich auf diese Idee gekommen?
Affinität zu Fernseh-Sitcoms
Tautorat: "Gutes Wedding, schlechtes Wedding", die Idee … Constanze und ich haben beide eher als Schauspieler eine Affinität zu Fernseh-Sitcoms gehabt. Damals waren ja die "Friends" ganz stark, auch mittlerweile gibt es ja "How I met your Mother" und die ganzen anderen Sitcoms, also haben eher einen Zugang zum Fernsehen gehabt als zur klassischen Theaterwelt. Wir haben zwar beide eine klassische Theaterausbildung, aber fanden den Theaterbetrieb an sich, diesen klassischen, sehr, sehr irgendwie nicht so, hat uns nicht so angemacht, war irgendwie nicht so toll.
Und deswegen haben wir gesagt, wir suchen ein Format, wo wir erst mal auf der einen Seite so spielen können, wie wir Lust haben, und auf der anderen Seite auch an das anlehnen, was uns halt sehr gut gefällt. Und haben dann auch geguckt, dass wir damit halt Zuschauer erreichen, die sonst nicht ins Theater gehen. Und wo kann man Gäste eher abholen, sag ich jetzt mal, als übers Fernsehen, also über Fernsehformate?
Hanselmann: Wie kann man über den Zeitraum von zehn Jahren immer wieder neue Stoffe finden? Liegen die auf der Straße rum oder …
Tautorat: Ich kann da nur für Constanze jetzt sprechen, Constanze hat einfach eine unheimliche Kreativität, einen unheimlichen Schatz an Kreativität. Gleichzeitig gibt es sehr viele Figuren und sie fügt im Kopf immer Situationen zusammen, wie sie sich vorstellt, also, eine ältere Figur trifft jetzt auf eine jüngere, und wenn die aufeinandertreffen, so entsteht das halt mit Fantasie, das Schreiben. Und natürlich ist es so, dass Berlin einfach sich nie, also immer wieder verändert und immer wieder Veränderungen da sind. Und das sind natürlich auch die Geschichten, wovon "Gutes Wedding, schlechtes Wedding" lebt.
Hanselmann: Spielt das Publikum auch insofern mit, als ab und zu jemand zu Ihnen kommt und sagt, das und das müssten Sie unbedingt bringen, ich kenne da einen Typen, Gemüsehändler oder was auch immer?
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Oliver Tautorat in seiner Paraderolle als Claudio Fabriccio.© Prime Time Theater
Tautorat: Auf jeden Fall! Also, klar kommen immer wieder die Anregungen, die wir dann aufnehmen, mal nicht aufnehmen, so. Aber es passiert eher umgekehrt, dass jemand sagt, was ihr gerade gemacht habt, das habe ich genauso erlebt! Also, es passiert eher das Umgedrehte. Und das ist halt das Spannende, dass die Gäste dann wirklich in den Figuren den Postboten Kalle, den Postboten wiederfinden oder die künstlichen Künstler, Claudio Fabriccio, der Prenzl-Wichser zum Beispiel, oder Uwe Gammerdimmer, großartig gespielt von Daniel Zimmermann. Also, wunderbare Figuren, die immer wieder wiedererkannt werden.
Hanselmann: Im Moment sind es, glaube ich, sechs Schauspieler, die gefühlte 138 Rollen spielen oder so!
Es ist wie Quatscherzählen miteinander
Tautorat: Ja. Jetzt bei dieser Folge ist es auch fast ein Rekord, über 35 Figuren werden gespielt von sechs Schauspielern. Diese Wandelbarkeit und dieses was spielen und dann sich schnell wieder umziehen in eine andere Figur, das macht halt auch unheimlich Spaß. Das ist wie so ein Quatscherzählen miteinander. Und wenn man plötzlich aufeinandertrifft und man ist eine andere Figur und manchmal passiert dann vielleicht auch, dass man noch in der alten Figur drin ist, das ist ein unheimlicher Spaß!
Hanselmann: Wie funktioniert das, wenn Sie den Murat gespielt haben, gehen hinter die Bühne … Geben Sie ein Beispiel, dann ziehen Sie sich ganz schnell um, schminken sich?
Tautorat: Genau, zum Beispiel, jetzt habe ich diese Folge, Umzug von Murat auf Kalle, glaube ich, genau, Kalle ist natürlich ganz anders, die Jeans bleibt, die Schuhe werden gewechselt, das Oberteil wird gewechselt, die Haare sind noch gegelt, kriegen eine Perücke drauf, ich male mir kurz einen Bart an mit dem Kajalstift, lispel einmal und dann geht's auf die Bühne als Kalle!
Hanselmann: Constanze, Ihre Kollegin, wird sich nach der Jubiläumsfolge, die gerade läuft beziehungsweise ab heute Abend dann läuft, vom aktiven Schauspiel bei dieser Sitcom verabschieden. Warum?
Tautorat: Na ja, auf der einen Seite wird sie sich anderen Projekten auch zuwenden, also, sie hat jetzt zum Beispiel "Gutes Essen, schlechtes Essen", also ein Pendant in Essen, dort im Theater initiiert, und gleichzeitig will sie auch andere Projekte machen. Sie wird auch versuchen, in Richtung Fernsehen "Gutes Wedding, schlechtes Wedding" hinzubringen und hat jetzt auch zehn Jahre gespielt und sie wird mit "Harry and Sally" weiter auf der Bühne stehen, auch sicherlich zur 100. Folge, aber es war, hat sich in den letzten Jahren schon abgezeichnet, dass sie gesagt hat, sie möchte einfach weniger vom Aktiven, also Bühnenpräsenz. Aber wir haben auch ein tolles Ensemble, was einfach super weiterläuft. Also, das ist großartig. Ich bin ja auch noch auf der Bühne!
Hanselmann: Ganz herzlichen Dank, Oliver Tautorat! Zehn Jahre Prime Time Theater mit dem erfolgreichen Dauerbrenner "Gutes Wedding, schlechtes Wedding", ab heute Abend gibt es die Jubiläumsausgabe, das Best Of, die "GWSW Classics". Danke an den Mitbegründer des Theaters und Miterfinder der vermutlich ersten Theater-Sitcom der Welt!
Tautorat: Ist es, ist es! Gerne, danke schön, tschüss!
Hanselmann: Hätten wir beinahe vergessen: Murat war ja auch mit im Studio!
Tautorat: Ja, ich wollt grad sagen, hast mich voll vergessen, Alter! Ja klar, ich wollt auch noch mal sagen, freu mich auf euch als Besucher so, und ich fahr jetzt wieder zurück in den Wedding und ich geh dann auch zu meiner Tochter Hülya Lisa heißt die, und meine Mutter wird auch da sein, wird Spaß für die ganze Familie, haide tschüss!
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