Jubiläum

"Wenn ich das noch erleben dürfte..."

Moderation: Ulrike Timm · 30.01.2014
Jochen Kowalski blickt zurück auf die großen Momente seiner musikalischen Karriere. Und er weiß genau, was ihm zu seinem Glück noch fehlt: dass ein Countertenor den Octavian im "Rosenkavalier" singt.
Ulrike Timm: Mein Gast wollte eigentlich Heldentenor werden, das hat glücklicherweise nicht geklappt. Zu Gast ist der Countertenor Jochen Kowalski, der seit vielen Jahrzehnten auf den Opernbühnen steht, erst in der DDR, dann in der ganzen Welt. Und er steht für ein Stimmfach, das er streng genommen eigentlich auch gar nicht ist, Countertenor, aber darauf kommen wir noch. Wir sprechen uns aus Anlass seines 60. Geburtstages. Herr Kowalski, "Ich lade mir gern Gäste ein" - wie werden Sie denn feiern?
Jochen Kowalski: Ich stehe auf der Bühne, wie es sich für einen Sänger gehört. Weggefährten und enge Freunde und Kollegen habe ich dazu eingeladen, und es ist aber ein öffentliches Konzert, und wir machen da das Programm "Songs of my Life", also Lieder meines Lebens, mit dem Salonorchester der Staatskapelle Berlin Unter den Linden, also alles Solo-Orchestermitglieder der Staatskapelle. Wir ziehen so durch die Lande mit diesem Programm.
Timm: Gibt es eigentlich eine Nachfeier in einem kleinen Dorf in Brandenburg, in Wachow?
Kowalski: Bestimmt, aber erst ...
Timm: Feiert das Dorf mit?
Kowalski: Ach nein, nein, nein. Ich bin ja überhaupt kein Feiertyp und ich finde das furchtbar, dass man mich jetzt so feiert, das ist ja kein Verdienst, 60 zu werden, eigentlich ist es schlimm. Aber man kann die Zeit nicht zurückdrehen, und jeder wird ja, wenn er Glück hat, so alt.
Timm: Ich drehe die Zeit mal ein bisschen zurück. Sie kommen aus Wachow in Brandenburg.
Kowalski: Ja.
Wildschwein am Spieß
Timm: Da, habe ich gehört, geben Sie immer noch jedes Jahr ein Konzert.
Kowalski: Alle zwei Jahre.
Timm: Alle zwei Jahre. Aber dieses Konzert darf immer nur eine Stunde dauern, weil es hinterher Spießbraten gibt. Stimmt das?
Kowalski: Ja, das stimmt, ja, ja, das fängt um 17 Uhr an und das darf maximal bis 18 Uhr gehen, dann duftet die ganze Kirche schon nach Wildschwein oder Hausschwein am Spieß. Und Freibier, das machen die Männer draußen, die Frauen und alle Wachower sitzen in der Kirche drin, und wir machen wirklich ein Familienkonzert. Das ist für mich mit das Schönste. Als ich das zum ersten Mal machte, dachte ich: Ach, es kommt sowieso keiner, die interessieren sich doch gar nicht für das, was du machst, meine Wachower.
Timm: Der Spießbraten kommt auch aus der Familie?
Kowalski: Alles. Mein Bruder hat die Fleischerei von meinen Eltern.
Timm: Sie sind Sohn eines Schlachters.
Kowalski: Ja.
Timm: Und alle dachten, Sie würden das vielleicht auch werden.
Kowalski: Um Gottes Willen, nein!
Timm: Und der kleine Jochen Kowalski hing immer am Radio und hörte "Lohengrin".
Kowalski: Unter anderem.
Timm: Kleiner Junge in Brandenburg hört "Lohengrin", hört die Bayreuther Übertragung am Radio, und draußen spielen die Jungs Fußball und der Vater dreht den Spießbraten.
Kowalski: Ja.
Timm: Da ist was dran?
Kowalski: Ja, ist was dran, und die alten Leute aus unserem Ort haben das mitbekommen, dass ich so ein Grammofon hatte, und die haben mir von ihren Dachböden die ganzen alten Platten alle gebracht, diese Schellackplatten. Die wussten: Der olle Kowalski-Sohn, der hört gerne Opernmusik. Da tauchten dann plötzlich also die Stars um 1910, die schlummerten da als Schallplatten, als Grammofonplatten auf den Böden der Wachower rum. Also man soll die Leute nicht unterschätzen.
Timm: Früh Gesangsausbildung über die Ohren.
Kowalski: Ja, über die Ohren.
Timm: Sie haben mal über Ihr Leben gesagt, "wie aus einem schlechten Gesangsfilm geklaut", so haben Sie mal Ihre Geschichte genannt. Diese Stimme Jochen Kowalski, diese besondere Stimme, die ja lebensbestimmend gewesen ist, denn eigentlich gab es das Fach gar nicht - Sie wollten Tenor werden, ...
Kowalski: Ich wollte Tenor werden.
"Dein Weg ist ein anderer"
Timm: Und Sie haben darum auch sehr gekämpft.
Kowalski: Sehr gekämpft. An der Hochschule abgelehnt immer, ich habe natürlich mit "Lohengrin" vorgesungen als 19- oder 20-Jähriger. Das ist natürlich ganz schön albern aus der Sicht von heute. Ich sehe die Prüfungskommission, diese Professoren bei der Hanns-Eisler-Hochschule noch sitzen, als ich sang "Atmest du nicht mit mir die süßen Düfte", aus der Brautgemach-Szene. Ich glaube, die sind alle gestorben vor Lachen. Die saßen alle so da, mit Hand vor dem Gesicht. Aber ich fand mich ganz toll.
Timm: Die Meinungen über Ihre sehr besondere Stimme lagen also von Beginn an sehr weit auseinander.
Kowalski: Sehr weit auseinander. Aber ich habe mich lieber auf das Urteil von Theo Adam verlassen, weil der durch die Welt kam. Ich war ja Requisiteur an der Staatsoper und habe das ja alles mitbekommen. Und ich habe ihm gesagt: "Wissen Sie, Herr Professor, da ist was bei mir, ich weiß nicht, ob man da was mit anfangen kann, wollen Sie sich das mal anhören?"
Da sind wir in das berühmte Zimmer 14 in der alten Staatsoper, das war das Einsingzimmer, wo sich alle großen Sänger vor der Vorstellung eingesungen haben. Er setzte sich also ans Klavier, ich legte ihm "Julius Cäsar" von Georg Friedrich Händel aufs Pult, und er spielte, und ich sang dazu. Ich brauchte gar nicht so viel singen, der sagte: Das gibt es ja nicht, das gibt es ja nicht. Er hat da noch gar nichts gesagt. Sagt er, und jetzt singe mir ein Stück Tamino vor, also Tenor, "Zauberflöte". "Hm, also: Dein Weg ist ein anderer. Mache das, da machst du Weltkarriere, das andere ist wirklich Nordhausen."
Timm: Heute ist das üblich, das Fach Countertenor.
Kowalski: Ganz normal!
Timm: Andreas Scholl, Philippe Jaroussky sind Ihre jüngeren Kollegen. Da fragt eigentlich niemand mehr: Warum singen Sie eigentlich so hoch? Das ist inzwischen etabliert. Aber als Sie anfingen, noch dazu in der DDR, war das absolut ungewöhnlich.
Kowalski: Da war das noch ziemlich ungewöhnlich, ja.
Timm: Wie haben Sie das erlebt?
Kowalski: Manchmal ganz kurios. Also ich kann mich erinnern, ich hatte dann ... Die erste große Partie war Giustino von Händel, einer komischen Oper, und mein Kostüm war so: Also man konnte meine Beine sehen, die waren geschminkt. Und da ging es durch den Zuschauerraum: Also er singt wie eine Frau, aber er hat Beine wie ein Mann. Mit dem stimmt was nicht. Und solche Fragen, die gingen dann alle in diese Richtung. Also natürlich, die Leute waren einfach auch ein bisschen überfordert, die kannten es nicht, woher sollten sie es auch kennen.
Timm: Das sind natürlich fragen, die gehen, ...
Kowalski: ... bis ins Intime.
Timm: ... die gehen unter die Gürtellinie.
Kowalski: ... unter die Gürtellinie, es kam alles.
Timm: Und das Repertoire, was Sie singen, haben früher Kastraten gesungen.
Kowalski: ... haben Kastraten gesungen. Aber wir haben ja mit Kastraten gar nichts zu tun.
Timm: Müssen Sie immer noch erklären, warum Sie singen, wie Sie singen?
Kowalski: Ja, immer noch. Ja, ja.
Timm: Tatsächlich?
Kowalski: Sogar im hohen Alter noch.
Timm: Haben Sie unter Ihrer Stimme eigentlich auch mal gelitten?
Kowalski: Ach, öfter, ja. Ich war manchmal richtig depressiv, weil ich dachte: Wie schön wäre es jetzt, wenn du einfach als normaler Sänger akzeptiert werden könntest, wenn du dich nicht immer, manchmal richtig unmöglichen Fragen stellen musst und einfach nur, dass die Leute akzeptieren, wie du bist und wie du singst. Es war manchmal schon ganz schön hart.
Timm: Wie er ist und wie er singt, das hören wir jetzt noch mal. Jochen Kowalski in einer Arie aus Händels "Giulio Cesare".
((Musik))
Timm: Ein bisschen hat er hier im Studio gleich mitgesummt: Jochen Kowalski ...
Kowalski: Da fehlt leider der schöne Da-Capo-Teil mit dem hohen F.
Timm: ... - den liefern wir nach - in einer Arie aus "Giulio Cesare" von Georg Friedrich Händel.
Kowalski: Eine geniale Oper, eine geniale Oper, ich liebe die.
Timm: Wegen der Rolle für Sie?
Kowalski: Nicht nur wegen der Rolle, alle Rollen sind da drin toll, jede einzelne. Ich hatte das vor zwei Jahren in Salzburg mit Batoli, die war Kleopatra und die wollte mich unbedingt an ihrer Seite haben. Ich habe mich erst geziert. Sie hat nicht lockergelassen.
Timm: Das war ganz denkwürdig, das ist schön, dass Sie darauf anspielen. Salzburger Festspiele 2012, da gab es einen Countertenor-Auflauf, Andreas Scholl, Philippe Jaroussky und Jochen Kowalski, und Cecilia Bartoli hat mitgespielt. Wie war das?
Kowalski: Ich meine, sie ist ja Intendantin dieser Pfingstfestspiele und sie weiß ja genau Bescheid. Man kann ihr kein X vors U machen, also sie ist nicht nur eine tolle Sängerin, sondern auch eine interessierte Sängerin, eine intelligente Sängerin und eine kluge, und ein toller Mensch. Da kommt bei ihr alles zusammen. Das ist ganz selten. Ich habe in meiner 30-jährigen Laufbahn solch eine Künstlerin kaum erlebt. Und Cecilia sagte dann immer zu mir an der Seite: "Weißt du, ich hatte Angst, dass es jetzt einen Zickenkrieg der Countertenöre in der Produktion geben könnte oder geben wird." Nichts dergleichen ist passiert, sondern wir haben nur ein Ziel gehabt: Georg Friedrich Händels Meisterwerk so gut wie möglich, in der bestmöglichen Interpretation auf die Bühne zu bringen. Das war, wenn ich das jetzt so rekapituliere, das war eine Sternstunde.
Timm: Bei Ihnen lagen ja die ganzen Hochschullehrer jahrelang falsch bezüglich ihrer Stimme.
Kowalski: Alle falsch, ja.
Timm: Sie haben Sie falsch ausgebildet, sie haben Sie nicht erkannt. Aber ich frage mich: Wie erkennt man eigentlich, was für eine Stimme jemand hat? Merkt man das an der Sprechstimme, merkt man das an der At ...
Kowalski: Nein, nein.
Timm: Wie merkt man das?
Kowalski: Ich weiß es ja auch nicht, wie man das merkt, also es bleibt ein Geheimnis und es soll bitte auch immer ein Geheimnis bleiben, finde ich. Das macht es so spannend.
Timm: Dieses Geheimnis hat sich bei Ihnen dann dadurch gelüftet, dass Sie einfach gesungen, geschmettert haben und irgendwann mussten die Leute merken: Das wird nie ein Lohengrin?
Kowalski: Das wird nie ein Lohengrin. Aber ich wusste doch selbst nicht, was mit mir los ist. Das ist doch so ein langer Selbstfindungsprozess gewesen, das war wirklich, um den Hörern, dem Otto Normalverbraucher das mal klarzumachen: Da will einer Gesang studieren, der hat Lust auf das normale Männerrepertoire, und dann kommt der Zufall, dass eine Sängerin mit Altstimme, also mit hoher weiblicher Stimme ihre Töne nicht schafft, und da steht Kowalski durch Zufall hinter dieser Sängerin und singt exakt die Töne, die sie nicht schafft.
Timm: In der Höhe?
Kowalski: In der Höhe. Und da sagte die Pianistin erschrocken am Klavier: Mein Gott, Jochen! Du bist ja ein Countertenor! Und da habe ich gesagt, um Gottes Willen, was ist denn nun das schon wieder?
Timm: Das hat auch wehgetan, nicht, so als Kuriosum behandelt werden?
Kowalski: Das hat sehr wehgetan. Ich war ein Kuriosum, das Stimmwunder, das kaputte Stimmwunder. So kam ich mir vor.
Timm: Wir haben gesprochen über Jochen Kowalski, den verhinderten Heldentenor, den glücklichen Countertenor, den Opernsänger. Es gibt natürlich ein großes Repertoire für einen Sänger: das Lied.
Kowalski: Als ich anfing, Lieder zu singen, gab es natürlich auch einen Aufschrei, ist ganz klar, das wäre die Domäne der Tenöre, der Baritonsänger, der Basssänger. "Nein, sage ich, wieso? Es steht da, 'Die schöne Müllerin', Franz Schubert, es ist meine Stimmlage, warum darf ich das nicht singen?" Ich sehe jetzt überhaupt keinen Grund dafür, dass man mir das verweigert. Also habe ich "Die schöne Müllerin" ...
Timm: Was lieben Sie an diesem Repertoire?
Kowalski: Das kann ich Ihnen sagen: Da habe ich keinen, der mir reinredet, wie die Regisseure das so gerne machen heutzutage. Da kann ich mich total ausleben. Da kann ich ganz mit Schubert, mit der Musik eins werden.
Timm: Und eine dieser kleinen musikalischen Kurzgeschichten, die hören wir jetzt, einen Auszug aus der "schönen Müllerin" von Franz Schubert, gesungen von Jochen Kowalski und begleitet von Markus Hinterhäuser.
((Musik))
Timm: Jochen Kowalski, jahrzehntelang haben Sie Oper gesungen, Sie singen aber auch mit Spaß das, was man so leichte Muse nennt, Operette, Cole Porter. Ist das eigentlich leichter, schwerer, anders?
Kowalski: Man muss alles ernst nehmen. Ob ich jetzt eine Wagner-Partie, eine Händel-Partie oder eine Operettenrolle singe - alles wird gleich schwer und alles wird gleich, genau exakt erarbeitet.
Timm: Sie feiern jetzt Ihren 60. Geburtstag. Es gibt eine ganze Generation von Altussängern, die inzwischen auch gutes Mittelalter sind, Andreas Scholl, es gibt viele junge. Was sehen Sie noch für dieses Stimmfach Altus, männlicher Alt, was sehen Sie für dieses Stimmfach noch an Möglichkeiten, die vielleicht nicht ausgeschöpft sind?
Kowalski: Also ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Ich möchte einmal in der Staatsoper sitzen, in der ersten Reihe, wenn es geht, und möchte einen wunderbaren Countertenor als Octavian im "Rosenkavalier".
Timm: Eine Partie, die eigentlich immer Frauen singen.
Kowalski: ... immer Frauen singen, oder als Komponist in "Ariadne auf Naxos", das möchte ich gerne hören. Dass da noch keiner auf die Idee gekommen ist, den Octavian nun endlich mal mit einem Mann zu besetzen - weiß ich nicht. Oder den Cherubin in "Figaros Hochzeit", Mozart - da würde ich mich wahnsinnig freuen, wenn ich das noch erleben dürfte.
Timm: Da bleibt ja hoffentlich noch viel Zeit. Jochen Kowalski war das, seinen 60. Geburtstag feiert er heute, wenn wir dieses Gespräch senden. Einmal hören wir ihn noch mit leichter Muse, was hören wir denn?
Kowalski: Ich hoffe, wir hören "Bei dir war es immer so schön", und damit meine ich auch das Publikum.
((Musik))
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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