Im Wagnerjahr ist alles erlaubt

Von Grit Lieder · 11.10.2013
Seit sieben Jahren singen Laien und Profis zusammen im Chor "Thuringia cantat". In diesem Jahr widmen sie sich einem ambitionierten Projekt: der anspruchsvollen Literatur Richard Wagners. Die sängerischen Herausforderungen sind groß, die Stimmung gut. Ein Probentag im Theater Erfurt.
Chorleiter: "Noch mal bitte! Thüüüüü ... - drei und!"
Männer: "Thüringens Fürsten Thüringen, Landgraf Hermann, Heil!"
Chorleiter: "Ne ne ne ne. Wir machen´s jetzt noch einmal zusammen und dann machen wir´s einzeln. Und das mein ich ernst!"

Thuringia Cantat - erste Szene, erster Aufzug: Gesamtprobe im Theater Erfurt. Auf dem Notenpult steht der "Chor der Ritter und Edlen" aus Richard Wagners "Tannhäuser". Noch etwas zaghaft stellen sich die Ritter den sängerischen Herausforderungen. Als ihre Stimmen verhallen, sind die Edelfrauen an der Reihe.

Männer: "Thüringens Fürsten Thüringen, Landgraf Hermann, Heil!"
Frauen: "Freudig begrüßen wir die edle Halle, wo Kunst und Frieden immer nur verweil …"
Chorleiter: "Text! ….Text! …"

Es ist ein warmer Vormittag zwischen Spätsommer und Herbst. Die Sänger schwitzen über den Noten – die Klimaanlage funktioniert nicht. Am Dirigentenpult steht Andreas Ketelhut. Er hebt den Kopf, lehnt den Oberköper zurück, streckt den linken Arm nach vorn und dirigiert mit dem Probenbleistift. Heute probt er zum dritten Mal mit dem Chor das Wagner-Programm. Zweiter Akt des Tages: der Brautchor aus dem "Lohengrin".

Chorleiter: "Hochzeit habt ihr schon mal irgendwo gehört, ne?! Es ist kein Trauermarsch, und ihr singt aber ‚Uhuuuuu‘. Obwohl es leise sein soll, muss es auch beschwingt sein. Los kommt, an den Anfang bitte!"

"Der hat immer so Gags auf Lager - das ist herrlich. Das macht totalen Spaß immer mit ihm, weil er einfach so lustig ist. Er ist ernst, er ist streng, er möchte wirklich immer seine Disziplin haben. Aber er regelt das halt immer mit ´nem Witz."

Carina sitzt rechts von Andreas Ketelhut, im Alt. Sie singt schon zum sechsten Mal bei Thuringia Cantat und jedes Jahr ist es anders:

"Wir waren ja in Bremen, wir warn in Hameln, ham schon zweimal in Eisenach auf der Wartburg gesungen im Festsaal. Und wir hatten Ostrock, wir hatten Luther letztes Jahr und dieses Jahr eben Wagner. Es ist immer so ein großes Thema, was sich ausgedacht wird und dann wird das Programm darauf abgestimmt."

Für viele die erste Begegnung mit dieser Musik
Die erste Probe ist traditionell am Jahresanfang. Dieses Jahr trafen sich 175 Sänger in Sondershausen, um sich langsam dem diesjährigen Ziel zu nähern – Wagners berühmten Opernchören. Für viele Sänger war es die erste Begegnung mit dieser Musik.

Heute und drei Proben später sitzen nicht ganz so viele Sänger im Chorsaal des Erfurter Theaters. Andreas Ketelhut wendet sich gerade der sängerischen Minderheit zu: den Bässen.

Männer: "Duftender Raum …"
Chorleiter: "Ne, ne, ne, ihr Lieben. Also dieser duftende Raum, da stell ich mir jetzt ´ne Betriebskantine vor. Hallo! Hochzeitsnacht! Zimmer, mit Rosenblättern … alles ausgestreut. Das ist der duftende Raum. Das Schlafzimmer – Rosenblätter. Lachen. Nicht ne Betriebskantine. So bitte: Bässe!"

Humorvolle und präzise Interpretationsarbeit am Brautchor: Intonation, Aussprache, Absprachen und Text. Es ist ein forderndes Projektjahr für "Thuringia Cantat". Doch der diesjährige Chorleiter ist ein Profi in der Laienarbeit. Ketelhut leitet den Philharmonischen Chor Erfurt, vor zwanzig Jahren hat er ihn gegründet, seine Sänger sitzen mit im Raum. Neben dem Alt steht Professor André Schmidt. Er hat "Thuringia Cantat" 2007 gegründet, damals als neuer Leiter des Thüringer Sängerbundes:

"Die Idee war ein chorpädagogisches Projekt zu entwickeln, wo Chorsänger und Chorleiter gleichmäßig und miteinander sich weiterentwickeln können."

Ketelhut: "Wo ist Martina. Martina du gehst jetzt bitte mit den Herren in die Registerprobe."

Szenenwechsel im Theater Erfurt. Ein Schulmusikstudent der Musikhochschule Weimar legt Noten auf den Flügel, setzt sich auf den Klavierhocker, Ketelhut versammelt die Edelfrauen, die Männer gehen in den Orchesterproberaum. Zwischen Pauken und Harfe probt jetzt ein Matrosenchor im Theater Erfurt. Thüringen singt, Martina probt.

"Nein ich komme nicht aus Thüringen, ich komme aus Nordrhein Westfalen. Ich habe vor ein paar Jahren meine Chorleiter-Ausbildung in Kassel gemacht. Und während dieser Zeit habe ich den Professor Schmidt kennengelernt und es hat musikalisch sofort gefunkt, so dass ich jetzt in seinen Projekten mitwirke als Registerdozentin. Immer freiwillig."

Freiwillig, aber mit anfänglicher Gegenwehr haben sich die Sänger an das anspruchsvolle Repertoire gewagt. Rund 200 Musiker werden bei der Premiere auf der Bühne stehen. Sie haben in einem Jahr und nur wenigen Proben anspruchsvolle Literatur in einem großen Ensemble erarbeitet. Eine Möglichkeit, die ein kleiner Chor nicht bieten kann. Verstecken muss sich "Thuringia Cantat" mit dem diesjährigen Projekt nicht, meint der Berliner Countertenor und Registerdozent Joachim Stegmann. Ihn haben bereits die ersten Proben beeindruckt. Kritikern und Gralshütern hält er entgegen:

"Im Wagnerjahr sollte alles erlaubt sein. Vielleicht gibt es viel schlimmere Sachen, die mit Wagner dieses Jahr gemacht werden, als dass ein Laienchor die Wagnerchöre singt."

Chor: "Thüringens Fürsten Thüringen, Landgraf Hermann, Heil!"


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