Juan S. Guse: „Tausendmal so viel Geld wie jetzt“

Money, Money, Money

Cover des Buchs "Tausendmal so viel Ged wie jetzt" des Schriftstellers Juan S. Guse
© S. Fischer Verlag

Juan S. Guse

Tausendmal so viel Geld wie jetztS. Fischer, Frankfurt am Main 2025

192 Seiten

23,00 Euro

Von Undine Fuchs |
Was würden Sie machen, wenn Sie über Nacht reich wären? In „Tausendmal so viel Geld wie jetzt“ trifft Juan S. Guse vier Männer, denen das passiert ist. Und er legt einen Text vor, der weder wirklich Sachbuch noch Roman ist – dafür aber brillant.
Sie heißen Basti, Arne, Malte und Sebastian. Und so ziemlich alles an den Männern, mit denen sich Juan S. Guse für sein Buch „Tausendmal so viel Geld wie jetzt“ getroffen hat, ist unauffällig. Basti zum Beispiel wohnt mit seinem Mitbewohner Jan in einer eher heruntergekommenen WG und arbeitet als Friedhofsgärtner. Er fährt in seinem „Seat Ibiza“ zu „Hornbach“, um dann mit seiner „Astsäge von Gardena“ Pflanzen zu stutzen.
Diente die Markennennung in der frühen Popliteratur noch zur Herausbildung bestimmter Stilgemeinschaften, zeigt sie hier genau das Gegenteil an: Wer die Gartenschere von „Gardena“ nutzt, ist Durschnitt. Oder?

Dieses Gefühl konnte man in dieser ansonsten sanierungsbedürftigen Wohnung überall wiederfinden, geheime Zeichen der Kaufkraft manifestiert in Objekten […]. Nichts war jedoch ein so deutlicher Hinweis darauf, dass hier etwas nicht ins habituelle Gesamtbild passte, wie die riesige Salatschüssel voller AirPods Pro, die neben der Tür auf einer verschrammelten Kommode stand. Jan wollte nämlich schon seit langem Noise-Cancelling-Kopfhörer haben, wusste aber zugleich über sich selbst, dass er sie zu einhundert Prozent verlieren würde, weshalb er sich […] einfach einen ganzen Sack an AirPods Pro gekauft hatte […].

Aus „Tausendmal so viel Geld wie jetzt“ von Juan S. Guse

Gestört reich

Hier passt wirklich etwas nicht in das „habituelle Gesamtbild“. Denn Basti, Arne, Malte und Sebastian verbindet vor allem eines: Sie sind „gestört reich“ – und sie waren es nicht immer. Alle vier Männer haben ihr Geld mit dem Handeln von Krypto-Währungen gemacht.
Mühselig, sich zu fragen, ob Basti ein prototypischer Krypto-Millionär ist. Er hat keinen Developer-Hintergrund, keinen MBA, er hat nie in Frankfurt gearbeitet, hat nie getradet, er kommt nicht aus dem Online-Poker, ist kein misogynes Schwein, war nie Mitglied einer kriminellen Organisation. Ein Mann ist er, das schon. Ein U40-Mann im Westen. Aber jenseits von Geschlecht und Alter sind Basti und die anderen, von denen dieses Buch handelt, nicht repräsentativ für irgendwas.
Guse nennt diese Männer „Sleeper“. Personen also, denen man ihren Klassensprung auf den ersten Blick nicht ansieht. Denn während Basti für den Mindestlohn mit seiner Astsäge herumwerkelt, verdient er im Hintergrund an einem Tag das Jahresgehalt seines Vorgesetzten. Reich geworden ist er durch OHM:

OHM soll den US-Dollar als international dominierende Währung ablösen. Man wolle, so die Erzählung, eine neue Reserve Currency schaffen, die nicht von den nationalstaatlichen Interessen der Vereinigten Staaten, deren Zentralbank und zwanzig Flugzeugträgern abhänge. [… ] Weg von großen Gebäuden mit dorischen Säulen, […] hin zur Dezentralisierung des Geldwesens.

Aus „Tausendmal so viel Geld wie jetzt“ von Juan S. Guse

Wie schon in seinem Roman „Miami Punk“ arbeitet Guse mit konsequenter terminologischer Überforderung seiner Leser. Doch falls Sie nicht verstanden haben, was OHM ist, braucht Sie das nicht zu sorgen. Denn für Arne wiederum ist OHM ein „offensichtlichen Scam“. Stattdessen rät er Guse in „Quant“ zu investieren. Malte wiederum hält OHM und Quant gleichermaßen für „Shitcoins“. Er investiert in LINK. Und Sebastian plädiert für Bitcoin.
Jeder der vier Männer beansprucht für sich das „große Bild“ zu sehen, die „Longterm Vision“. Was sie aber in ihrer jeweiligen „Vision“ voraussagen, hat keinen gemeinsamen Nenner. Der Handel mit Kryptowährungen ist dem Schreiben offenbar gar nicht so unähnlich: Bei beidem geht es um die Frage, wie geschickt mit Behauptungen der Authentizität und Fiktion umgegangen wird. Letztlich ist es egal, ob das, was ausgesagt wird, stimmt, solange sich genug Personen auf die Möglichkeit einlassen.

Die Möglichkeit der Wahrheit

Guse legt einen Text vor, der weder wirklich Sachbuch noch Roman ist – dafür aber brillant. Im krassen Sich-Einlassen auf diese Welt erinnert das an Formen des New Journalisms, an Personen wie Hunter S. Thompson, der für eine Reportage den Hells Angels beitrat. Auch auf einer weiteren Ebene ähnelt Guses Verfahren dem des New Journalisms. Denn er entscheidet sich nicht, was für eine Textsorte er schreibt. Das Buch stellt seine Faktizität immer wieder aus, wenn der Autor beispielsweise soziologische Exkurse liefert.
Dennoch gibt es Elemente der Literarizität – und Momente klarer Fiktionalität: So hört Guse im Auto angeblich einen Bericht darüber, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bachmannpreises die Gewinnsumme paritär aufgeteilt hätten, „um sich der Wettbewerbslogik zu entziehen“. Wie seine Krypto-Millionäre spielt der Autor rasant mit der Möglichkeit der Wahrheit. Nach der Lektüre weiß man immer noch nicht, was ein OHM-Token ist und was von dem Erzählten stimmt. Aber man ist großartig unterhalten. Und irgendwie auch klüger geworden.
Mehr zu Juan S. Guse