Journalistin Natalie Amiri

„Wer kann, verlässt den Iran“

32:21 Minuten
Die Journalistin Natalie Amiri mit Ihrem Buch "Zwischen den Welten" an einer gelben Hauswand vor dem BR Gelände in München-Freimann. Mit dem Buch, das heute im Aufbau-Verlag erscheint beschreibt Amiri von Macht und Ohnmacht im Iran.
Kennerin der iranischen Verhältnisse: die Journalistin Natalie Amiri. © picture alliance / Felix Hörhager
Moderation: Ulrike Timm · 15.03.2021
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Mullahs, verschleierte Frauen, Atombedrohung: Viele düstere Bilder sind mit dem Iran verbunden. Die deutsch-iranische Journalistin Natalie Amiri will indes die Menschen zeigen, vor allem die mutigen Frauen, die der Unterdrückung trotzen.
"Der Klang, der geht durchs Herz", sagt Natalie Amiri und meint damit Farsi, die Sprache ihres Vaters. Schon als kleines Mädchen war sie davon fasziniert, verstanden hat Natalie Amiri jedoch nur wenig.
"Ich habe erst im Studium diese Sprache gelernt. Ich bin in München geboren und aufgewachsen, mein Vater ist Iraner, meine Mutter Deutsche. Mein Vater hat immer nur Deutsch mit uns gesprochen. Ich habe aber die Iraner, die ich in der Stadt gesehen habe, immer verfolgt, weil ich so gern diese Sprache hörte und auch die Musik"

"Ich erfülle das Klischee"

Das Leben der Familie, Ende der 1970er, Anfang der 80er-Jahre, spielte sich überwiegend im Teppichgeschäft des Vaters ab. In München hatte der ein "Kleiniran aufgebaut und damit auch die Deutschen, die in diesen Teppichladen kamen, verzaubert", erinnert sich Amiri. "Ich erfülle das Klischee", erzählt die Journalistin schmunzelnd, "Iraner sind ja normalerweise Teppichhändler oder Ärzte".
Die Münchnerin wurde beides nicht. Natalie Amiri studierte Orientalistik und Islamwissenschaft in Bamberg, verbrachte Auslandssemester in Teheran und Damaskus.
Seit 2011 vertat sie die Korrespondenten in den ARD-Studios, unter anderem in Istanbul, Athen und Rom. Die Journalistin moderierte den "Weltspiegel" und leitete ab 2015 das ARD-Büro in Teheran.

"Da flogen Bomben"

Ihr erster Iranbesuch fiel ausgerechnet in die Zeit des ersten Golfkrieges: "Da flogen Bomben", erinnert sich Amiri. Nicht der Vater, sondern die deutsche Mutter habe ihr das Land zeigen wollen.
Aber warum in dieser gefährlichen Zeit, Anfang der 1980er-Jahre? Mit dieser Frage beschäftigt sich auch Amiri in ihrem ersten Buch: "Zwischen den Welten: Von Macht und Ohnmacht im Iran".
Die Mutter, so sagt die Journalistin, "hat einfach eine unglaubliche Liebe zu meiner Familie. Der Mann meiner Cousine starb damals im Krieg. Sie hat diese Cousine so sehr geliebt, dass sie gesagt hat, sie muss jetzt hinfahren. Meine Mutter ist eine unerschrockene Mutter, die einfach was macht, wenn ihr Herz es ihr sagt."

"Es gibt eine romantische Nostalgie"

Also Korrespondentin erlebte Amiri den Iran ebenfalls in einer schwierigen Phase. Obwohl die Revolution, der Sturz des Schahs mehr als 40 Jahre her ist, würden manche Taxifahrer sich noch immer mit "Gott schütze den Schah" verabschieden.
Was erzählt das über den Iran? Die Fernsehmoderatorin erklärt es sich so:
"Es gibt eine romantische Nostalgie im Iran über die Schahzeit, die auch nicht gut war. Die Menschen sind damals auf die Straße gegangen, haben revolutioniert gegen den Schah, weil er unterdrückt hat, weil es einen schlimmen Geheimdienst gab, weil keine Opposition erlaubt wurde. Deswegen kamen auch über 90 Prozent der Bevölkerung auf die Straße und wollten einen Regimewechsel, den sie auch bekommen haben, nur zum Schlechten."

"Ein offizielles und ein inoffizielles Leben"

Heute, so Amiri, würden viele Iraner "ein offizielles und ein inoffizielles Leben" führen. Bilder, die aus unserer Sicht eindeutig scheinen, wären es oft nicht. Die Journalistin erinnert sich an eine Demo in Teheran, auf der gegen die USA demonstriert wurde:
"Ich hatte die jungen Menschen - die müssen dort immer erscheinen - gefragt, als der Geheimdienst nicht zugeschaut hat, ob sie Lust hätten, nach Amerika zu fliegen. Plötzlich strahlten sie mich an und sagten ja, auf jeden Fall. Das ist eben dieses Sein und Schein."
Die eigene Meinung verstecken zu müssen, sich in der Öffentlichkeit zu verstellen, das habe Folgen, so Amiri. Viele Menschen würden sich mit Drogen und Alkohol betäuben, die Suizidrate sei stark gestiegen. Andere würden das Land verlassen.
"Es geht jeder, der kann, weil sie keine Hoffnung mehr haben auf eine Verbesserung in ihrem eigenen Land."
2020 hat auch Amiri den Iran verlassen müssen. "Das Auswärtige Amt hat meinem Sender mitgeteilt, dass sie davon ausgehen, dass ich als politische Geisel genommen werden kann, dass ich in Gefahr bin. Ich habe einen iranischen Pass und einen deutschen. Im Iran gilt man aber trotzdem nur als Iraner."

Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden

Trotzdem bedauere die Korrespondentin sehr, nicht mehr aus dem Iran berichten zu können, auch wenn die Arbeit zunehmend schwieriger geworden sei. Immer häufiger habe sie vor der Frage gestanden, was sie noch berichten könne, ohne sich und andere zu gefährden:
"Es ist jedes Mal ein unglaublicher Kraftakt gewesen, ein ständiges Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden, mit den Geheimdiensten und den Milizen. Wenn Demonstrationen waren, durften wir nicht auf die Straße. Wir haben es trotzdem gemacht und mussten uns dann aber verstecken. Die Zivilgesellschaft, die Menschen, die protestiert haben, die haben uns dann beschützt und versteckt."

"Das Regime hat Angst vor diesen Frauen"

Doch abschreiben wolle die Journalistin den Iran auf keinen Fall. Sie setze ihre Hoffnung auf die Frauen:
"Sie schaffen es, eine Kraft und ein Selbstbewusstsein zu entwickeln. Sie protestieren, sie heiraten weniger. Sie gehen auf die Unis. Das ist sichtbar, das ist nicht nur meine Beobachtung, das sieht auch die iranische Gesellschaft. Das iranische Regime hat Angst vor diesen Frauen. Man versucht sie, ständig klein zu halten. Aber die Quote an den Universitäten liegt bei 60 Prozent. Das passt den Männern im Iran nicht, also den Machthabern."
Und weil für Natalie Amiri eine Reise in den Iran aus Sicherheitsgründen derzeit unmöglich ist, erinnert sie sich gern an die Bilder der Kindheit, an den großen Basar in Teheran:
"Da sind die Teppiche, es riecht nach Naphthalin, also nach Mottenkugeln. Mit diesem Geruch bin ich aufgewachsen. Ich liebe ihn."
(ful)
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