Journalistin Brodnig zur ORF-Debatte

"Im Widerspruch zum Verständnis des Journalismus"

Die österreichische Journalistin und Publizistin Ingrid Brodnig blickt nach vorn in die Kamera.
Die Journalistin und Publizistin Ingrid Brodnig ist digitale Botschafterin Österreichs. © Foto: Ingo Pertramer/Brandstaetter Verlag
Ingrid Brodnig im Gespräch mit Gabi Wuttke · 27.06.2018
Journalisten des ORF sollen künftig in sozialen Medien privat keine eigene Meinung mehr zur Politik kundtun dürfen. Das steht im Entwurf einer Dienstanweisung. Ingrid Brodnig sieht darin eine Gefahr für den Journalismus.
Ingrid Brodig ist Journalistin und beschäftigt sich mit Themen der sozialen Netzwerke. Sie hat mehrere Bücher über Anonymität und Hass im Internet veröffentlicht. Darin analysiert sie, wie sich dadurch unsere Gesellschaft verändert. 2017 wurde sie von der österreichischen Bundesregierung zur digitalen Botschafterin Österreichs ernannt.
Sie finde es absolut in Ordnung, wenn Journalisten im Internet keine parteiischen Meinungen ausdrücken oder keine politischen Kandidaten online unterstützen dürften, wie etwa die Angestellten der "New York Times", sagt Ingrid Brodig im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.
"Das Problem am Entwurf des Österreichischen Rundfunks ist, dass er darüber weit hinaus geht". Es werde untersagt, dass Journalisten generell Kritik übten oder eine Wertung gegenüber politischen Aussagen zum Ausdruck bringen:
"Und das ist schon im Widerspruch zum Verständnis des Journalismus. Der soll ja Kritik üben können, wenn eine Partei etwas Problematisches macht."

Schwierige Unterscheidung in private und professionelle Nutzung

Es sei eine journalistische Aufgabe, dies zu benennen und bewerten zu können. So, wie die Richtlinie derzeitig formuliert sei, fiele dies Möglichkeit auf Facebook und Twitter weg.
"Das ist ein Problem, weil in Österreich jeder zweite Bürger soziale Medien auch als Nachrichtenmedien nutzt. Das heißt, sie informieren sich dort. Dementsprechend sollen öffentlich-rechtliche Journalisten dort auch auftreten dürfen".
Die Unterscheidung in private oder professionelle Nutzung sozialer Medien sei schwierig. Dass es klare Vorgaben für Journalisten gebe, sei richtig: "Nur soll es nicht so weit gehen, dass man nichts mehr sagen kann und keine journalistische Kritik üben kann."

Werden ORF-Journalisten zu Robotern?

Sprache bedeute immer auch eine Wertung. Wenn man über Politik rede, sei das immer schon ein Einordnen: "Als Journalist kann ich über 'Meinungsunterschiede' innerhalb einer Koalition reden oder ich kann es als 'Streit' in der Koalition benennen."
Je nach Wortwahl habe man eine Bewertung:
"Die Gefahr ist, dass am Ende ORF-Journalisten nur noch wie Roboter posten können, aber nicht über Hintergründe informieren können und ihr Wissen ausdrücken dürfen."
Parteien könnten die angedachte neue Regelung ausnutzen: "Wenn ein Journalist dann kritisch über etwas berichtet, heißt es sofort: Der hat eine Wertung vorgenommen, der muss abgesetzt werden".
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