Joni Seager: "Der Frauenatlas"

Arm an Rechten und Chancen

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Zu sehen ist das Cover des Buches "Der Frauenatlas" von Joni Seager.
Detailreiche Darstellung von globaler Ungleichheit zwischen den Geschlechtern: "Der Frauenatlas" von Joni Seager © Hanser Verlag / Deutschlandradio
Von Eva Hepper · 02.12.2020
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Der aktuelle Frauenatlas stellt die Lage der Frauen weltweit dar. Er zeigt in 164 Grafiken und Karten, dass Gleichberechtigung bei allem Fortschritt noch lange nicht erreicht ist.
Diese Weltkarte zeigt ungewöhnliche Nachbarschaften. So sind Länder wie Deutschland, die Philippinen, Namibia oder Nicaragua dunkelblau gefärbt. Nordafrika, die Türkei, Iran oder Pakistan leuchten rot und Russland wird wie auch Kenia, Brasilien oder Italien beige dargestellt.
Die Farben, so erklärt die Legende, verweisen auf einen ähnlichen Gendergap, also auf die Größe der Lücke zur Gleichstellung von Frauen und Männern in verschiedenen Lebensbereichen. So zeigt sich auf einen Blick, dass etwa Südafrika näher am große Parität aufweisenden Skandinavien liegt als Griechenland.

Karte zur weltweiten Ungleichheit

Die vielsagende Karte zur weltweiten Ungleichheit findet sich am Anfang des Frauenatlasses von Joni Seager. Die in Boston lehrende Professorin für Geografie versammelt darin 164 Darstellungen, die die globale Benachteiligung von Frauen sichtbar machen.
Gestützt auf die Daten vieler Institutionen – von den Vereinten Nationen, über die Weltbank bis zur OECD – gruppiert Seager ihre visuelle Aufbereitung um die Themen Arbeit, Gesundheit, Bildung, Besitz, Armut, Körperpolitik und Macht. Zudem ordnet sie fast sämtliche Grafiken dieses für einen Atlas eher kleinformatigen Buches durch erläuternde Texte ein. Ergänzt werden sie durch farblich abgesetzte Hingucker wie Vignetten mit den wichtigsten Daten und Fakten.

Häusliche Gewalt

Viele der Abbildungen sind ernüchternd bis erschütternd. Etwa wenn es um häusliche Gewalt geht. In den USA werden 32 Prozent aller Frauen einmal in ihrem Leben vom Partner angegriffen. Das sind mehr als in Deutschland (20 Prozent), aber deutlich weniger als in vielen Ländern Afrikas (bis zu 56 Prozent).
Ein anderes weltumspannendes Problem sind Besitzverhältnisse. Seager stellt dar, dass viele Frauen sowohl beim Erben als auch beim Landbesitz hintenanstehen. In den meisten Entwicklungsländern dürfen sie zwar Grund und Boden besitzen, das Gewohnheitsrecht hebelt diese Regelung jedoch meist aus.

Finsteres Gesamtbild

Auch wenn die Karten unterschiedliche Bereiche zeigen, in ihrer Zusammenschau verweisen sie aufeinander und zeichnen ein finsteres Gesamtbild: Weltweit wird Frauen die meiste unbezahlte Arbeit aufgebürdet und sie tragen – bei schlechtem Schutz und weit verbreiteter Misogynie – die Hauptverantwortung für Familie und Empfängnisverhütung.
Interessant in Sachen Verhütung ist die parallel dargebotene Grafik zu den aktuellen Abtreibungsgesetzen. Sie zeigt, dass die durchschnittliche Abtreibungsrate unabhängig ist von der Legalität des Eingriffes.
Verbote reduzieren also nicht die Zahl, sondern die Sicherheit der jährlich fast 56 Millionen durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche. Immer wieder gelingen Seager solche erhellenden Gegenüberstellungen und Kombinationen.

Aufforderung zum Handeln

Die Autorin, die auch die UN berät, verweist auch auf positive Entwicklungen. So schrumpft der Gendergap im Bildungssektor, das Frauenwahlrecht ist weltweit Standard (Ausnahme: Saudi-Arabien), und die Müttersterblichkeit sinkt (Ausnahme: USA).
Ohne den Kampf von Aktivistinnen allerdings – einige Initiativen werden hier vorgestellt – bewegt sich wenig. Und so versammelt dieser innovative Atlas nicht nur wichtiges Basiswissen, sondern lässt sich auch als Aufforderung zum Handeln lesen.

Joni Seager: "Der Frauenatlas. Ungleichheit verstehen. 164 Infografiken und Karten"
Aus dem Englischen von Renate Weitbrecht und Gabriele Würdinger
Carl Hanser Verlag, München 2020
208 Seiten, 22 Euro

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