John Clare: "Reise aus Essex"

Verzweiflung mit Ambiente

Blick auf das Dorf Abbotsbury mit der Pfarrkirche St. Nicholas in Dorset im ländlichen England
Vier Tage dauerte Clares Gewaltmarsch, der ihn durch das ländliche England führte © imago / Joana Kruse
Von Georg Gruber · 08.08.2016
John Clare ist einer der bedeutendsten britischen Dichter der Romantik. Sein Leben verlief tragisch und endete in einer Nervenheilanstalt. Das Hörbuch "Reise aus Essex" zeigt die Facetten seiner Dichtkunst, eng verwoben mit biografischen Details aus seinem Leben.
John Clare, 1793 geboren, wuchs in einem kleinen Dorf auf, in Südengland. Sein Vater war einfacher Landarbeiter und trotzdem schickte er seinen Sohn, wann immer das Geld reichte, zur Schule. Schon als 13-Jähriger begann John Clare eigene Verse zu schreiben, auf jedem Blatt Papier, das er finden konnte. Seine erste große Liebe hieß Mary, sie wurde zur großen Inspiration für ihn - auch weil sich die Liebe nicht erfüllte:
Mein Leben ist eine Liebe – nein falscher Faden.
Mein Leben ist der Widerspruch in sich,
Narrenhaus, Gefängnis, Hurenladen.
Mein Leben ist der Überzeugung innig,
Dass solches falsch ist – Und ich hätte mich
Gern frommer noch verhalten – doch einen Streich
Spielte mir das Leben, fand es witzig,
Mir die Frau zu stehlen. Ich nahm als Ausgleich
Die Zweite – bin nun an Fehlern doppelreich.
Mit 44 Jahren ließ sich John Clare freiwillig in eine Nervenheilanstalt in Essex einliefern. Er litt unter Depressionen und Wahnvorstellungen. Doch in der Anstalt war ihm der Ton zu rau, und so machte sich der Dichter auf den Weg nach Hause, zu Mary, jener unerreichten Lieben, und zu seiner Frau Patty und den gemeinsamen Kindern. Die Wanderung von Essex in die Heimat ist die Rahmenhandlung dieses Hörspiels. 140 Kilometer in vier Tagen.
Es wurde nun rasch dunkel und komischen Häuser entlang der Straße begannen aufzuleuchten und zeigten das Los der Bewohner drinnen als sehr gemütlich und mein Los draußen als sehr ungemütlich und elend.

Ein genauer Beobachter der Natur

Eingestreut in die Wegbeschreibungen sind Gedanken und Gedichte. 1820 hatte John Clare 27-jährig den Durchbruch geschafft: Als "Tagelöhner-Poet" wurde er damals in die Londoner Gesellschaft eingeführt. Der Dichter aus einfachsten Verhältnissen war ein genauer Beobachter der Natur und des Lebens auf dem Lande:
Der Abend krümmt sich scheinbar über die Wiesen,
In der Ferne wird der Kirchturm fahl.
Wie Wolken, die fallen und immer breiter fließen,
Raucht und gerinnt der Nebel nun im Tal,
Torben Kessler trägt dieses atmosphärische Hörspiel, er spricht die Gedichte sehr präzise, spürt ihnen nach, bringt die Bilder vors innere Auge. Sein John Clare auf Wanderschaft schwankt zwischen Zuversicht und Zweifel:
Ich wünschte ich wäre der kleine Vogel,
mit keiner Angst davor,
zu meiner Liebe hinzufliegen,
zu flüstern ins Engelsohr.

Passender Sound für einen Wanderer

"Reise aus Essex" ist ein poetisches Hörstück und dank des ausführlichen Booklets eine gute Einführung in das Werk dieses Dichters, der auch in England erst im 20. Jahrhundert wieder entdeckt wurde. John Clare war nicht nur Dichter, sondern auch Sammler von Volksliedern und Liedtexten.
David Fischbach, der Regisseur des Hörspiels, hat diese Weisen mit Geige und Theremin einspielen lassen. Der passende Sound für einen Wanderer, der sich irgendwann verirrt hat auf dem Weg zu sich selbst. Angekommen in der Heimat, wurde John Clare nur fünf Monate später wieder in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen - wo er für den Rest seines Lebens blieb. Und weiter dichtete:
Ich bin und lebe – wie die Dämpfe,
Die im Nichts des Hohns und Lärms sich winden,
Im Meer des Lebens, wo Träume versiegen,
Wo weder Freud noch Lebenssinn sind finden,
Nur Lebensziele dort als Schiffswrack liegen.

John Clare: "Reise aus Essex"
erschienen bei Buchfunk
70 Minuten, Preis 14,90 Euro