John Burnside: "Ashland & Vine"

Abgründig und dunkel

John Burnside: "Ashland & Vine"
In "Ashland & Vine" will Kate Lambert eine alte Frau interviewen. Doch zuerst muss sie sich einem Alkoholentzug unterziehen. © dpa / Knaus Verlag
Von Wolfgang Schneider · 06.11.2017
Die Romane und autobiografischen Werke von John Burnside werden oft mit den Filmen von David Lynch verglichen. Und auch in seinem neuen Roman "Ashland & Vine" geht es um Alkoholentzug und familiäre Traumata.
Sucht, Psychose, Verbrechen und andere Albträume – das sind die bisweilen an die Filme von David Lynch erinnernden Grundmotive in den Werken des Schriftstellers John Burnside. Sie kehren wieder im neuen Roman "Ashland & Vine", auch wenn es hier zugleich um die Geschichte einer Genesung geht.
Hauptfigur und Ich-Erzählerin ist die Filmstudentin Kate Lambert. Trauer und exzessives Trinken bestimmen ihre Tage seitdem ihr Vater gestorben ist. Sie lebt zusammen mit dem experimentellen Filmemacher Laurits in der fiktiven amerikanischen Provinzstadt Scarsville. Die beiden verfolgen ein Interviewprojekt, das Laurits nächstem Film dient. Kate klopft bei fremden Menschen an und will sie zum Erzählen ihrer Lebensgeschichte bringen. Zugeschlagene Türen und spöttische Bemerkungen sind meist die Reaktion.

Geschichten im Tausch für nüchterne Tage

Aber dann lernt sie Jean Culver kennen. Die alte Frau lebt allein in einem Haus mit großem Garten, sie hackt Holz und gibt sich auch sonst sehr resolut und lebensphilosophisch. Kurz: die ideale Gesprächspartnerin für Kate. Umgekehrt fühlt sich auch Jean zu der Filmstudentin hingezogen, sie erkennt in ihr sogleich eine verwandte und problembeladene Seele und beginnt eine trickreiche Therapie. Nur wenn Kate völlig auf Alkohol verzichtet, bekommt sie Jeans Lebensgeschichte. Es ist eine Art Scheherazade-Konstellation: "Geschichten im Tausch für nüchterne Tage".
Kate übersteht eine Woche voller Entzugs-Albträume, dann beginnt die alte Frau zu erzählen. Schnell kommt sie auf das familiäre Trauma zu sprechen, für das der Titel "Ashland & Vine" steht. Ihr Vater, ein Anwalt, wurde in einem verrufenen Viertel von Scarsville an der Straßenecke Ashland und Vine erschossen; ihr Bruder Jeremy hat den Mord beobachtet. Auch von persönlichen Enttäuschungen erzählt Jean, etwa von ihrer Freundin Lee, der Liebe ihres Lebens, die schließlich doch einen Mann heiratete und eine Familie gründete.

Parallelen zu Philip Roth

Ausführlich berichtet sie auch von ihrer Nichte Jennifer, die sich in den 60er-Jahren politisch radikalisierte und in den Bannkreis der militanten Untergrundorganisation der Weathermen geriet. Diese Geschichte erinnert an das Tochter-Drama im Roman "Amerikanisches Idyll" von Philip Roth. Der Vergleich mit der sehr viel eindringlicheren Darstellung Roths wirft allerdings die Frage auf, warum der Schotte Burnside dieses Mal auf einen "großen amerikanischen Roman" zielt. Ein reales Schottland hätte dem Buch womöglich besser getan als ein durch Filme, Bücher und Popkultur vermitteltes Amerika.
Auch in "Ashland & Vine" genießt man indes die Beschreibungskunst dieses Autors: Orte und Atmosphären, Natureindrücke und Wetterlagen. Burnside ist ein Meister des metaphysischen Realismus. Das kann aber nicht über die Schwächen des Romans hinwegtäuschen. Die Rahmenhandlung mit dem Filmemacher wirkt konstruiert. Während subtil über das "Narrative" reflektiert wird, erzählt Jean Culver ihre Familiengeschichte konventionell wie zu Großmutters Zeiten. "Ashland & Vine" hat starke Passagen, die Konzeption des Romans überzeugt jedoch nicht.

John Burnside: "Ashland & Vine"
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Knaus Verlag, München 2017
413 Seiten, 24 Euro

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