Jörg-Uwe Albigs Roman "Zornfried"

Wie man rechts dichten lernt

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Eine Montage zeigt das Buchcover von "Zornfried" von Jörg-Uwe Albig neben einem stimmungsvollen Herbstwald
"Der Wald ist Inbegriff der Geborgenheit, aber auch des Gefängnisses", sagt Jörg-Uwe Albig, dessen neuer Roman im Spessart spielt. © Verlag Klett-Cotta / dpa / Helmut Meyer zur Capellen
Jörg-Uwe Albig im Gespräch mit Joachim Scholl · 28.02.2019
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Extrem rechts denkende Menschen hegen markige Träume im Roman "Zornfried". Autor Jörg-Uwe Albig lässt auf einer Burg teutonisch vernebelte Lyrik erklingen. Dafür brachte er sich mit Gedichten von Stefan George in "tragische, kämpferische Stimmung".
Joachim Scholl: Wir reisen jetzt in den Spessart, auf eine Burg namens Zornfried, wo eine illustre Gesellschaft von extrem rechtsdrehenden Menschen markige deutsche Träume hegt, beflügelt und inspiriert von einem entsprechenden Dichterfürsten. Das ist das Setting für den neuen Roman des Berliner Schriftstellers Jörg-Uwe Albig.
Jan Brock heißt der Held und Erzähler dieser Geschichte, ein Journalist, der eine knallige Reportage wittert. Sie sind selber ein Kollege, Herr Albig, gelernter Journalist, schreiben für große Magazine. Wie sind Sie denn auf diese Burg Zornfried gestoßen? Man denkt ja irgendwie sofort an dieses Rittergut Schnellroda, wo ein gewisser Götz Kubitschek, der Verleger und Aktivist der Neuen Rechten, residiert. Sie auch?
Albig: Ja, ich glaube, da sind eine ganze Reihe Figuren durch meine Fantasie gespukt, die im Moment sich so ein bisschen ins Bild drängen oder seit zwei, drei Jahren verstärkt ins Bild drängen. Kubitschek gehört bestimmt auch dazu. Aber die Burg Zornfried liegt ja eben explizit nicht in Sachsen-Anhalt, sondern eben im Spessart, in Niederfranken. Es ist eben auch eine Burg und nicht irgendwie ein zum Rittergut umdeklarierter Gutshof. Und auch aus ziemlich bewussten Gründen, weil eine Burg ist eine Burg mitten im Wald, der Wald Inbegriff der Geborgenheit, aber auch des Gefängnisses. Der kommt aus diesem Gitterwerk nicht so leicht raus, und so was Ähnliches ist eben auch die Burg in Form von Architektur.

"Den Namen habe ich per Geistesblitz empfangen"

Scholl: Hartmut Freiherr von Schierling heißt jedenfalls der Hausherr von Zornfried. Er lebt da mit Frau und Töchtern, die heißen Frigga und Edeltraud, und alles ist ja so auf Teutonisch-Germanisch getrimmt. Und dann gibt es Storm Linné, das ist der Dichter, der auf Zornfried lebt. Chapeau schon mal für diesen Namen, wie sind Sie denn auf den gestoßen? Wenn man ihn so liest, literarhistorisch, würde man ihn so verorten zwischen einer Figur von Stefan George und vielleicht Daniel zur Höhe, das ist der Dichter, den sich Thomas Mann mal für seine Erzählung "Beim Propheten" ausgedacht hat. Wie haben Sie Storm Linné gefunden, Herr Albig?
Albig: Diese Figuren, die Sie da nennen, die sind mir natürlich auch durch den Kopf gegangen. Den Namen habe ich jetzt einfach wirklich per Geistesblitz empfangen, war gar nicht so viel Kalkulation dabei. Ich fand ihn nachher sehr passend. Es gibt ja diesen berühmten Biologen Linné, den Vater der Klassifizierung von Pflanzen. Das passt, finde ich, auch ganz gut so ein bisschen zu diesem rechten Gedankengut, weil da wird ja auch sehr viel klassifiziert, es wird sehr viel in oben und unten unterteilt, und Biologie spielt ja auch eine ganz große Rolle bei denen. Da fand ich das irgendwie ganz passend, weil es ist ja auch ein Künstlername, kein Mensch weiß, wie dieser Mann richtig heißt, das wird im Buch auch nicht erklärt.
Scholl: Wir hören und lesen etliche Gedichte dieses Storm Linné. Jetzt würde ich Sie bitten, Herr Albig, uns das Gedicht "Wundsegen" einmal zu rezitieren. Bitte schön!
Albig: "Seht ihr den Feldmarschall der schmerzen reiten
Der fruchtbar blutend seine Bahnen zieht
Der weiß dass leben heißt: sich staunend opfern
Der heil in narben und in wunden wenden sieht
Den zwingt ihr nicht. Und wenns euch doch gelänge
Den schmerzenshüter feig vom ross zu zerren
dann würde seine heilge last zur euren
Der qualen segen eures raubes kern."
Jörg-Uwe Albig posiert für ein PR-Foto
Jörg-Uwe Albig© © Christina Zück
Scholl: Jörg-Uwe Albig, wo haben Sie denn so schön markig rechts dichten gelernt?
Albig: Ja, das musste ich wirklich "Learning by Doing" mir selber aneignen natürlich, weil es gibt auch wenig Vorbilder. Also gerade aus der Gegenwart gibt es eigentlich so gut wie niemanden, auf den man einfach so stößt. Als ich das Buch schon längst fertig hatte, kamen dann Leute und haben mir gesagt, ja, es gibt doch da diesen und jenen obskuren Knaben, der in einem kleinen Verlag in Reutlingen veröffentlicht, aber als ich angefangen hab, hatte ich da kaum Vorbilder, außer natürlich die klassischen Vorbilder aus den 20er-Jahren. Und dann ist es wirklich so ’ne Sache, man muss sich einfach in Stimmung bringen dafür.

George-Gedichte im Zehnerpack

Scholl: Wie haben Sie sich denn in Stimmung gebracht?
Albig: Na ja, man muss versuchen, sich in so eine tragische, kämpferische Stimmung zu bringen. Man kann dazu Musik hören. Mir hat sehr geholfen, Stefan-George-Gedichte tatsächlich zu lesen, und zwar richtig im Zehnerpack, man kriegt ja als Familienpackung dann richtig so eine kleine Überdosis.
Scholl: Aber es sind auch Verse drunter, und ich lese gerade noch mal selber welche vor. Passen Sie auf!
"Der arge schaum der übers wasser quillt
Aus morschen landen morscher kähne fracht
Der mürbes leben ins gesunde zwingt
Und meeres fläche frech zur walstatt macht"
Das ist natürlich vom Inhalt eklig, rassistisch, das ist sozusagen Herrenlyrik zur Flüchtlingskrise, könnte man sagen, gleichzeitig aber ästhetisch, rein und makellos in Versmaß, Metrik, Metaphorik. Da sagt man sich: Aha, kann es also gute rechte Lyrik geben?
Albig: Also ich finde diese Lyrik nicht gut, aber ich hab mir natürlich extreme Mühe gegeben.
Scholl: Sie stilistisch gut zu machen.
Albig: Dass mir formal da überhaupt nichts, überhaupt kein Fehler unterläuft, möglichst kein Fehler unterläuft. Es wäre natürlich ein Leichtes gewesen, das Gedankengut, das in diesen Gedichten steckt, zu desavouieren, indem man kaputte Reime, holpriges Versmaß, schiefe Metaphorik anwendet. Das wollte ich eben gerade nicht, also ich wollte schon auch so ein bisschen die Faszination nachvollziehbar machen, die jemand mit einer entsprechenden Disposition …
Scholl: Ich hab nur beim Lesen gedacht, dass Sie damit auch was riskieren, nämlich jetzt stellen wir uns mal vor, irgend so eine Rechtsradikalenversammlung auf irgendwo, und jemand holt diese Verse irgendwo aus dem Netz und sagt, hey, das ist ja super. Storm Linné kenne ich zwar nicht, aber die Gedichte sind großartig. Und dann steht da irgend so ein Skinhead und zitiert Ihr Gedicht, und alle sagen: "Oh Wahnsinn". Ich meine, das könnte man sich wirklich vorstellen, oder?
Albig: Das hab ich mir natürlich auch überlegt, ich hab die Gedichte getestet mit verschiedenen Versuchspersonen, und es ist natürlich eigentlich – gut, also besonders extrem Rechte waren da jetzt nicht dabei –, aber eigentlich ist die Reaktion schon halbwegs berechenbar. Es kann natürlich tatsächlich sein. Also in meinem Buch ist es natürlich in eine Romanhandlung eingefasst, die das Ganze ja auch noch mal in einen etwas weniger heroischen Kontext stellt.

"Die Rechten hatten in jeder Talkshow einen Vertreter"

Scholl: Es ist ein wunderbar satirischer Rahmen natürlich. Nur wenn man diese Gedichte sozusagen extrahiert, dann stehen sie eigentlich da als, ja, strahlend schöne rechte Verse von ungeheurer Wucht. An einer Stelle sagt eine andere Journalistin im Roman gegenüber dem Erzähler: "Wir können diese Leute nicht mehr ungeschehen machen, sie sind da, ob es uns passt oder nicht." War das auch Ihre Motivation, dieses Buch überhaupt zu schreiben, dass Sie sagen: Die Rechten sind da, wir müssen uns mit ihnen beschäftigen, und ich mach’s jetzt mal auf diese literarische Weise?
Albig: Eigentlich im Gegenteil. Ich würde sagen, es ist sich viel zu viel beschäftigt worden mit den Rechten. Das ist ja in meinem Buch eine Position einer Frau, die sich tatsächlich so ein bisschen reinlaviert in diese Szene, um die noch bessere Geschichte zu schaffen, und die natürlich ihr eigenes Verhalten auch ein bisschen rechtfertigen will dadurch. Ich finde, sehr viele von den Problemen, die wir mit den Rechten haben, liegen einfach wirklich an dieser völligen Unverhältnismäßigkeit, mit der die Rechten einfach behandelt worden sind, dass sie eben anfangs wirklich in jeder Talkshow einen Vertreter hatten, wo die etablierten Parteien nur von träumen konnten. Die kriegten vielleicht mal einen oder zwei, aber ein Rechter war immer dabei, die Themen waren immer auch auf die Figuren zugeschnitten. Es gab Homestorys, acht Doppelseiten mit heroischen Fotos, einfühlsam beschrieben. Eine offenkundige Inszenierung wurde also dann aber auch wirklich eins zu eins unkritisch übernommen. Es gab ein bisschen zu viel von Beschäftigung, also ist weit über die intellektuelle und politische Bedeutung hinaus.

Jörg-Uwe Albig: Zornfried. Roman
Klett-Cotta, Stuttgart 2019
159 Seiten, 20 Euro

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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