Joe Biden

Der zweite Katholik im US-Präsidentenamt

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Der demokratische Präsidentschaftskandidat und ehemalige Vizepräsident Joe Biden kommt zu einer Gemeindeveranstaltung in der Grace Lutheran Church in Kenosha Wisconsin.
Joe Biden vertritt einen offenen Katholizismus, der auf Verständigung setzt, meint der Historiker Massimo Faggioli. Hier besucht er eine Lutherische Gemeinde in Kenosha. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Carolyn Kaster
Von Kerstin Zilm · 28.02.2021
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Joe Biden ist der 46. Präsident der vereinigten Staaten von Amerika – und nach John F. Kennedy erst der zweite Katholik in diesem Amt. Der Glaube sei fest in ihm verwurzelt, sagt er, doch in der Abtreibungsfrage stellt er sich gegen den Vatikan.
"Haltet fest am Glauben, wie mein Opa mir jedes Mal sagte, wenn ich sein Haus verließ", rief Joe Biden am Ende seiner Rede zum Wahlsieg. Dann bezog er sich auf seine Großmutter. Die sagte: Nicht nur am Glauben festhalten, ihn am besten verbreiten: "And our grandmother when she was still alive said: No, Joey, spread it! Spread the faith."
Der katholische Glaube ist seit Bidens Kindheit fest in ihm verwurzelt. Mit der Mutter ging er jeden Sonntag in die Kirche. Der Vater lehrte ihn christliche Werte, ohne die Bibel oder den Papst zu zitieren. Sein Glaube, so sagt es der US-Präsident, hat Joe Biden nach dem Verlust seiner ersten Frau und zweier Kinder Hoffnung, Trost und Sinn gegeben, hat ihm geholfen, sein Stottern zu besiegen und ihm nach politischen Niederlagen Kraft gegeben.
Bis heute bilden die in der Kindheit gelernten Werte der katholischen Kirche den moralischen Kompass des Demokraten aus der Arbeiterstadt Scranton in Pennsylvania. Biden in einem Interview mit dem Jesuiten-Magazin America: "Am Ende geht es nur um das Wesentliche: Würde. Die Armen. Gleichberechtigung. Auf andere zugehen. Es ist nicht kompliziert. Es ist schwer, aber nicht kompliziert."

Mit christlichen Ansätzen versöhnen

Mit diesem Ansatz hofft Joe Biden, das Land zu versöhnen. Eine schwere Herausforderung. Die USA sind beim Thema Religion genauso gespalten wie bei den Themen Meinungsfreiheit, Waffenkontrollen, Erderwärmung und Maskentragen in Zeiten der Pandemie. Gut 50 Prozent der als Demokraten registrierten Wähler sagen, sie gehören keiner christlichen Glaubensgemeinschaft an. Aber 80 Prozent der Republikaner identifizieren sich als Christen. Das ergab eine Studie des Public Religion Research Centers.
Theoretisch könnte Biden Demokraten und Republikaner mit seinem Glaubensansatz erreichen, sagt der Historiker Massimo Faggioli dem Radiosender NPR. Er hat gerade ein Buch über Biden und Katholizismus in den USA geschrieben:"Bidens Katholizismus ist nicht intellektuell. Er beruht nicht auf abstrakten Lehrsätzen, sondern auf einem sehr konkreten, direkten Verständnis der Realität, darin beinhaltetem Freud und Leid. Er kann viele im Land einbeziehen, auch die, die weniger religiös sind, oder aus anderen Kulturen kommen. Sein Katholizismus ist freizügig und offen."
Doch genau diese Freizügigkeit löst Widerstand aus bei der religiösen Rechten, die Bidens Vorgänger, Donald Trump, so massiv unterstützte und das immer noch tut. Aber auch innerhalb seiner eigenen Glaubensgemeinde gibt es Kritik. Für Skeptiker ist der neue US-Präsident ein CINO – "Christ In Name Only": ein Christ nur dem Namen nach, sagen Kirchgänger in einer Umfrage des Fernsehsenders ABC:
"Er sagt zwar, er sei praktizierender Katholik, aber die katholische Kirche ist gegen Abtreibung. Er nicht. Das ist nicht verhandelbar. Er ist kein katholischer Präsident. Ich kann nur hoffen, dass Biden seine Haltung ändert, was die frühe Kindstötung angeht."

Unterstützung für das Recht auf Abtreibung

Der neue US-Präsident unterstützt das fast uneingeschränkte Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Er bewilligt Geld aus dem Bundeshaushalt für Organisationen, die Abbrüche ausführen. Ein Priester in South Carolina verweigerte ihm deshalb die Kommunion. Die US-Bischofskonferenz begrüßte Bidens Ansätze in der Klima- und Einwanderungspolitik, doch in Sachen Abtreibung gründete sie nach Bidens Wahlsieg eine Arbeitsgruppe. Die soll eine Lösung für die – so wörtlich – "schwierige Situation" finden.
Der Konferenzvorsitzende, Erzbischof José Gomez aus Los Angeles, warnte in einer Erklärung zur Amtseinführung Bidens, dessen Politik werde moralische Übel mit sich bringen, menschliches Leben und Würde bedrohen: "Er wird Maßnahmen unterstützen, die gegen fundamentale Werte unseres Glaubens verstoßen. Dazu gehören Maßnahmen gegen unsere höchste Priorität: die Beseitigung von Schwangerschaftsabbrüchen. Er sorgt unter Gläubigen für Verwirrung darüber, was die Kirche zu dieser Frage lehrt."
Papst Franziskus und der damalige Vizepräsident der USA, Joe Biden, begrüßen sich im Rahmen einer Konferenz.
Bereits in seiner Zeit als Vizepräsident traf Joe Biden mit Papst Franziskus zusammen, wie hier im April 2016. © imago images / Fabio Pignata/CPP/IPA/CatholicPress Photo
Papst Franziskus gratulierte dem neuen Präsidenten dagegen enthusiastisch zum Wahlsieg. Die beiden haben sich mehrfach getroffen. Für Präsident Biden verkörpert der Papst alles, was er in seiner Kindheit über katholische Werte gelernt hat. Ein Foto von ihm mit dem Pontifex steht auf der Kommode hinter seinem Schreibtisch im Oval Office des Weißen Hauses. Ihre Freundschaft sei durch unterschiedliche Ansätze in der Abtreibungsfrage nicht beeinträchtigt, erklärt Biden.
In diesem Fall trenne er seine persönliche Haltung von politischen Entscheidungen, sagte er im Interview mit dem Jesuiten-Magazin America: "Ich bin bereit, als Glaubensgrundlage anzuerkennen, dass Leben bei der Zeugung entsteht. Wozu ich nicht bereit bin ist, eine rigide, präzise Haltung, die ich aus meinem Glauben gewinne, anderen aufzuzwingen, die genauso gottesfürchtig sind oder auch nicht gottesfürchtig und anders denken als ich."
Bidens öffentliches Bekenntnis zu seinem Glauben und dessen Einfluss auf seine Politik sind ein starker Kontrast zum Umgang des ersten katholischen Präsidenten der USA mit dieser Herausforderung. Als John F. Kennedy 1960 für die Demokraten zur Wahl antrat, waren Vorurteile gegen Katholiken noch weit verbreitet. Gegner warnten vor einer Diktatur des Papstes, Doktrinen des Vatikans. Das alles waren Überbleibsel aus einer politischen Kampagne, die es hundert Jahre zuvor gegeben hatte. Die sogenannte Know-Nothing-Partei hatte mit Slogans gegen Einwanderer aus Deutschland und Irland Erfolg. Sie schürte Furcht und Aggression, warnte davor, dass katholische Neuankömmlinge das weiße, protestantische Amerika bedrohen und ultimativ auslöschen würden.

Rassismus und Polizeigewalt überwinden

Um im Wahlkampf überhaupt eine Chance zu haben, musste JFK zu seinem Ärger mehrfach beteuern, dass sein Glaube keinen Einfluss auf seine politischen Entscheidungen haben werde: "Weil ich katholisch bin, ist es scheinbar notwendig, dass ich einmal mehr erkläre: Es ist unwichtig, an welche Kirche ich glaube. Das sollte allein meine Sache sein. Es ist wichtig, an welches Amerika ich glaube."
Für Joe Biden schließt das eine das andere unbedingt mit ein: Sein Glaube informiert seine Vision von Amerika. Dazu gehört für ihn, Rassismus und Polizeigewalt zu überwinden, wie er nach dem Mord an George Floyd in einer Videobotschaft erklärte: "In der katholischen Sozialdoktrin, mit der ich aufgewachsen bin, heißt es, dass Glaube ohne Werke tot ist. Wir müssen eingestehen, dass wir vielen Menschen vorenthalten haben, was dieses Land allen verspricht. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Menschen nicht nur gleich geschaffen sind, sondern auch gleich behandelt werden."
Zu seiner Politik gehört öffentliche Trauer um die in der Pandemie Gestorbenen, gehört die Verpflichtung, sich um Flüchtlinge, Obdachlose und Arme zu kümmern, Arbeitern mit einem höheren Mindestlohn ein Leben in Würde zu ermöglichen und die Erderwärmung zu stoppen. Sein Vorgänger Trump hatte sich noch mit einer Bibel vor einer Kirche ablichten lassen. Ihm wurde eine Inszenierung für Social-Media-Plattformen vorgeworfen. Derartiges ist Joe Biden fremd. Er hofft, dass seine Worte und Taten für sich sprechen, andere inspirieren und christliche Werte verbreiten. Es müssen ja nicht nur katholische sein.
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