Joachim Meyerhoff: "Hamster im hinteren Stromgebiet"

Sich selbst retten mit dem Erzählen von Geschichten

13:46 Minuten
Porträt von Joachim Meyerhoff.
Im fünften Teil seiner autobiografischen Reihe "Alle Toten fliegen hoch" setzt sich Joachim Meyerhoff mit den Folgen seines Schlaganfalls auseinander. © Imago / Leemage / Leonardo Cendamo
Joachim Meyerhoff im Gespräch mit Frank Meyer · 07.09.2020
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Ein Schlaganfall bremste das Leben des Schauspielers und Schriftstellers Joachim Meyerhoff aus. Im Krankenhaus fragte er sich, ob Komik bei der Heilung helfen könnte - so entstand sein Roman "Hamster im hinteren Stromgebiet".
Sein neuer Roman "Hamster im hinteren Stromgebiet" war für den Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff lange Zeit ein Experiment. Für ihn stand nicht fest, ob das Buch jemals erscheinen würde.
Meyerhoff hatte einen Schlaganfall erlitten. In seiner persönlichen Versuchsanordnung stellte er sich die Frage, ob Komik heilen und das Erzählen von Geschichten nach einem Schicksalsschlag zur Rettung beitragen kann.
"Auf der einen Seite müssen Sie so ein Ereignis annehmen. Sie wollen es ja nicht verdrängen", sagt Meyerhoff. "Auf der anderen Seite wollen Sie nicht, dass das Ereignis Macht über Sie bekommt."

Auf der Bühne das Extrem gesucht

Meyerhoff musste nach dem Schlaganfall lernen, das Tempo aus seinem Leben zu nehmen. Zuvor hatte er ein dynamisches Leben mit langen, intensiven Abenden am Theater. Auf der Bühne habe er immer das Extrem gesucht, erzählt er.
In seinen bisherigen Büchern blickte er auf die Vergangenheit zurück. Meyerhoff wollte nie über seine Gegenwart schreiben. Durch den Schlaganfall habe sich das aber geändert. Das Erzählen wurde plötzlich zu einer "Selbstbehauptungsstrategie". Das Buch habe ihm dabei geholfen, sich über Wasser zu halten.
In dem Roman wehrt er sich in seinem Krankenbett gegen das Einschlafen und erzählt sich Geschichten. Er habe regelrecht Angst gehabt einzuschlafen, denn er hatte gehört, dass auf einen ersten, leichteren Schlaganfall ein schwererer folgen könne. Im Schlaf, so seine Sorge, sei er ein leichtes Opfer.

Hamsterkolonie auf dem Krankenhausgelände

"Ich wollte diesem Gehirn Aufgaben stellen", sagt er. "Denn man denkt weiter. Gleichzeitig ist das der versehrte Ort. Der Ort der Beschädigung und der Ort, der sich mit der Beschädigung beschäftigt, sind eins. Sie gucken nicht auf Ihren gebrochenen Fuß, sondern das findet alles da oben statt."
Der Titel "Hamster im hinteren Stromgebiet" beziehe sich, so Meyerhoff, auf eine nächtliche Begegnung. Er sei auf dem Krankenhausgelände in Wien unterwegs gewesen, dort habe er in der Dunkelheit eine Hamsterkolonie entdeckt. Von einer Neurologin habe er gelernt, dass ein Areal im Gehirn "hinteres Stromgebiet" heißt. Da habe der Titel für ihn festgestanden.
(nis)

Joachim Meyerhoff: "Hamster im hinteren Stromgebiet"
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020
320 Seiten, 24 Euro

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