Jill Lepore: „Die geheime Geschichte von Wonder Woman“

Amazone in Ketten

07:23 Minuten
Das Cover des Buchs „Die geheime Geschichte von Wonder Woman“ von Jill Lepore. Darauf steht der Name der Autorin und der Titel des Buches. Zudem ist im bunten Comicstil die Figur von Wonder Woman abgebildet.
© C.H. Beck

Jill Lepore

Übersetzt von Werner Roller

Die geheime Geschichte von Wonder WomanC.H. Beck, München 2022

525 Seiten

29,95 Euro

Von Andrea Roedig · 11.04.2022
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So schön wie Aphrodite, so stark wie Herkules, so schnell wie Merkur: Die Comicfigur Wonder Woman kann alles, kämpft für die Rechte der Frauen und gilt als feministische Ikone. Jill Lepore erzählt nun sehr vergnüglich ihre Geschichte.
Die „geheime Geschichte“, die die Historikerin Jill Lepore aufdecken möchte, handelt zu einem großen Teil vom Erfinder der Comicfigur Wonder Woman und seinen Frauen. Denn William Moulton Marston lebte mit drei Frauen zusammen und hatte mit zweien von ihnen insgesamt vier Kinder, wobei die echte Vaterschaft zum Teil verschwiegen wurde.
Man könnte an einen Harem denken. Aber Marston glaubte ans Matriarchat, die Frauen an seiner Seite waren Feministinnen, trugen wesentlich zur Entstehung von Wonder Woman bei und tauchen – versteckt – in zahlreichen Details und Motiven der Comicgeschichten selbst wieder auf.

Geld kommt von Ehefrau

Lepore beschreibt W. M. Marston als eine durchwegs zwiespältige Figur. 1893 als jüngster Spross einer traditionsreichen Familie geboren, studierte er in Harvard Jura und experimentelle Psychologie; er lehrte an Universitäten, entwickelte einen Lügendetektor, konnte sich mit seiner windigen Erfindung aber nicht durchsetzen.
Eine akademische Karriere schlug fehl, also verkaufte sich Marston als psychologischer Berater für Filme und Werbung, schrieb Fachartikel und Bücher, vertat eine Theorie der Liebesbindung, die eine angeblich physiologisch bedingte menschliche Faszination für Dominanz und Unterwerfung behauptete. Das Geld für den Unterhalt allerdings verdiente meist Marstons Ehefrau Elizabeth Holloway, die Kinder erzog seine Geliebte Olive Byrne, während die dritte Frau im Bunde, Marjorie W. Huntley, mit esoterischen Ratschlägen zur Seite stand.

Frühe Polyamorie

Der Erfinder des Lügendetektors hat selbst viel gelogen und er verkörperte eine Lebensform, die man heute vielleicht als „polyamorös“ und „queer“ bezeichnen könnte – vielleicht aber auch nicht. Die Elemente seines unsteten beruflichen Lebens, seine erotischen Obsessionen, aber auch etliche feministische Motive gingen in die ersten Skripte von Wonder Woman ein, die Marston von 1941 bis zu seinem frühen Tod 1947 verfertigte.
Die Idee zur Comicfigur stammte vermutlich von Elizabeth Holloway; Wonder Woman war enorm erfolgreich, zwischenzeitlich aber auch umstritten und verboten. Denn ambivalent wie Marston mit seiner Faszination für dominante Frauen, so ambivalent bleibt die visuelle Botschaft der leicht bekleideten Amazone, die in fast jeder der von Marston verantworteten Geschichten in Ketten liegt und sich natürlich befreit.

Feminismus als Fetisch

„Die Suffragette als Pin-up“ und „Feminismus als Fetisch“, so umschreibt Lepore das irritierende Wonder-Woman-Konzept. Ihr Buch ist ein Gewusel an Geschichten, Bildern und Namen. Neben den Familienverhältnissen der Marstons handelt es auch von der frühen Suffragettenbewegung und ihrer Bildpolitik, von feministischen Kämpfen um Empfängnisverhütung und der US-amerikanischen Kultur der Prüderie.
Der historische Rundumschlag gerät hin und wieder etwas unübersichtlich, aber er ist, zusammen mit dem reichen Bildmaterial, sehr vergnüglich zu lesen. Jill Lepore gelingt eine Spurensuche, die nicht definitiv entscheiden kann und will, wo in Sachen Feminismus die Trennlinie von gut und schlecht zu ziehen ist.

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