Jenseits der Phantom-Kommunikation
Von Sieglinde Geisel · 12.09.2012
Es gibt es gute Gründe, Hilfsmittel wie Facebook zwar zu benutzen, sich aber trotzdem immer wieder mal für die Enthaltsamkeit zu entscheiden. Schon immer mussten wir uns bewusst entscheiden, was wir mit neuen Technologien anstellen – sonst stellen diese Technologien mit uns etwas an, sagt die Publizistin Sieglinde Geisel.
Der moderne Mensch zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass er sein Alltagsleben mit Hilfe von Medien führt. "Die Wahrscheinlichkeit, etwas Ungewöhnliches durch die Zeitung zu erfahren, ist weit größer als die, es zu erleben." So schrieb Robert Musil vor 80 Jahren in "Der Mann ohne Eigenschaften". Heute sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir nicht nur das Erleben, sondern auch das Kommunizieren immer mehr in ein Medium verlagern. Wie viele verbringen wohl bereits mehr Zeit auf Facebook oder mit Email und SMS als im direkten Gespräch?
In den USA, wo man uns medientechnisch einen Schritt voraus ist, nehmen viele Menschen das Telefon gar nicht mehr ab. Dort hat eine Marktforschungsstudie ergeben, dass Teenager im Monats-Durchschnitt 3417 Textnachrichten verschicken. Das sind sieben bis acht Mitteilungen in der Stunde. "Send me a message!" Texten fällt offenbar leichter als reden, auch wenn manche der Flut der herbeigewünschten Messages dann nicht mehr gewachsen sind.
Doch so laut die Klagen über den Stress der neuen Kommunikation auch sein mögen - ist die Internetverbindung einmal für ein paar Stunden unterbrochen, steigt in uns Panik auf. Wir fühlen uns sitzengelassen und vergessen von aller Welt. Es ist, als sei unser Kommunikationspartner nicht mehr der andere Mensch, sondern die Technologie, an deren Tropf wir hängen.
Apparaturen wie Smartphone und Computer sind klassische "Unterwerfungsgeräte", ein Wort, das wir dem vor 20 Jahren verstorbenen Kulturphilosophen Günther Anders verdanken. Schon in den 50er-Jahren hatte Anders sich bang die Frage gestellt, ob unsere Seele mit dem technischen Fortschritt werde mithalten können. An eine Unschuld der Technik, die der Mensch angeblich zum Guten oder Schlechten verwenden könne, glaubte er nicht. "Geräte sind nicht moralisch neutral", schrieb Anders 1958 im Aufsatzband "Die Antiquiertheit des Menschen". Die Geräte würden etwas mit uns anstellen, bevor wir etwas mit ihnen anstellen könnten. Was sie uns lieferten, sei "Phantomkonsum".
In Anlehnung daran könnte man heute von "Phantom-Kommunikation" sprechen. Das Texten fällt uns so leicht, weil sich die Körper nicht mehr begegnen. Mit dem Finger auf der Tastatur ist jeder Herr über sein Image - dies bedeutet jedoch, dass man sich nicht mehr zu erkennen gibt. Es fehlen: Lächeln, Blickkontakt und Mundgeruch. So unverzichtbar uns Textmessages auch vorkommen - sie genügen nicht, um die Seele zu nähren. Je weniger Zeit wir im echten Gespräch zubringen, desto süchtiger sind wir nach dem nie versiegenden Gesumm der elektronischen Botschaften. So füllen die Geräte die Einsamkeit, die sie erzeugen.
Die amerikanische Psychologin Sherry Turkle, Professorin am berühmten Massachusetts Institute of Technology, konstatiert ein halbes Jahrhundert nach Günther Anders: "Wir erschaffen unsere Technologien, und dann formen sie uns. Deshalb müssen wir uns bei jeder neuen Technologie die Frage stellen: Dient sie unseren menschlichen Zielen?"
Dass ein Abend mit Freunden mehr Erfüllung bringt, als dem Leben der anderen auf Facebook zuzuschauen, spricht sich allmählich herum; es soll tatsächlich Jugendliche geben, die ihren Facebook-Account stilllegen, um wieder Zeit für ihre Freunde zu haben.
Weil Geräte nicht mit einem Sittenkodex geliefert werden, müssen wir lernen, etwas mit ihnen anzustellen, damit sie es nicht mehr nur mit uns tun. Wir müssen eine Moral für den Umgang mit ihnen entwickeln. Diese Moral verlangt von uns das Einfachste, das bekanntlich zugleich das Schwierigste ist: im richtigen Moment den Knopf zum Ausschalten zu betätigen, zum Beispiel während man ein Buch liest oder sich mit jemandem unterhält. Die Erkenntnis, dass die Welt sich ungerührt ohne uns weitergedreht hat, mag im ersten Moment schmerzlich sein - doch damit beginnt die Befreiung.
Sieglinde Geisel, Journalistin, 1965 im schweizerischen Rüti geboren, studierte in Zürich Germanistik und Theologie. Als Journalistin zog sie 1988 nach Berlin-Kreuzberg. Nach dem Mauerfall schrieb sie Porträts über die Metropolen Ostmitteleuropas und lebte vorübergehend in Lublin (Polen). Für die Neue Zürcher Zeitung war sie in New York vier Jahre lang Kulturkorrespondentin und ist es derzeit in Berlin. 2010 erschien in ihr Buch "Nur im Weltall ist es wirklich still. Vom Lärm und der Sehnsucht nach Stille".
In den USA, wo man uns medientechnisch einen Schritt voraus ist, nehmen viele Menschen das Telefon gar nicht mehr ab. Dort hat eine Marktforschungsstudie ergeben, dass Teenager im Monats-Durchschnitt 3417 Textnachrichten verschicken. Das sind sieben bis acht Mitteilungen in der Stunde. "Send me a message!" Texten fällt offenbar leichter als reden, auch wenn manche der Flut der herbeigewünschten Messages dann nicht mehr gewachsen sind.
Doch so laut die Klagen über den Stress der neuen Kommunikation auch sein mögen - ist die Internetverbindung einmal für ein paar Stunden unterbrochen, steigt in uns Panik auf. Wir fühlen uns sitzengelassen und vergessen von aller Welt. Es ist, als sei unser Kommunikationspartner nicht mehr der andere Mensch, sondern die Technologie, an deren Tropf wir hängen.
Apparaturen wie Smartphone und Computer sind klassische "Unterwerfungsgeräte", ein Wort, das wir dem vor 20 Jahren verstorbenen Kulturphilosophen Günther Anders verdanken. Schon in den 50er-Jahren hatte Anders sich bang die Frage gestellt, ob unsere Seele mit dem technischen Fortschritt werde mithalten können. An eine Unschuld der Technik, die der Mensch angeblich zum Guten oder Schlechten verwenden könne, glaubte er nicht. "Geräte sind nicht moralisch neutral", schrieb Anders 1958 im Aufsatzband "Die Antiquiertheit des Menschen". Die Geräte würden etwas mit uns anstellen, bevor wir etwas mit ihnen anstellen könnten. Was sie uns lieferten, sei "Phantomkonsum".
In Anlehnung daran könnte man heute von "Phantom-Kommunikation" sprechen. Das Texten fällt uns so leicht, weil sich die Körper nicht mehr begegnen. Mit dem Finger auf der Tastatur ist jeder Herr über sein Image - dies bedeutet jedoch, dass man sich nicht mehr zu erkennen gibt. Es fehlen: Lächeln, Blickkontakt und Mundgeruch. So unverzichtbar uns Textmessages auch vorkommen - sie genügen nicht, um die Seele zu nähren. Je weniger Zeit wir im echten Gespräch zubringen, desto süchtiger sind wir nach dem nie versiegenden Gesumm der elektronischen Botschaften. So füllen die Geräte die Einsamkeit, die sie erzeugen.
Die amerikanische Psychologin Sherry Turkle, Professorin am berühmten Massachusetts Institute of Technology, konstatiert ein halbes Jahrhundert nach Günther Anders: "Wir erschaffen unsere Technologien, und dann formen sie uns. Deshalb müssen wir uns bei jeder neuen Technologie die Frage stellen: Dient sie unseren menschlichen Zielen?"
Dass ein Abend mit Freunden mehr Erfüllung bringt, als dem Leben der anderen auf Facebook zuzuschauen, spricht sich allmählich herum; es soll tatsächlich Jugendliche geben, die ihren Facebook-Account stilllegen, um wieder Zeit für ihre Freunde zu haben.
Weil Geräte nicht mit einem Sittenkodex geliefert werden, müssen wir lernen, etwas mit ihnen anzustellen, damit sie es nicht mehr nur mit uns tun. Wir müssen eine Moral für den Umgang mit ihnen entwickeln. Diese Moral verlangt von uns das Einfachste, das bekanntlich zugleich das Schwierigste ist: im richtigen Moment den Knopf zum Ausschalten zu betätigen, zum Beispiel während man ein Buch liest oder sich mit jemandem unterhält. Die Erkenntnis, dass die Welt sich ungerührt ohne uns weitergedreht hat, mag im ersten Moment schmerzlich sein - doch damit beginnt die Befreiung.
Sieglinde Geisel, Journalistin, 1965 im schweizerischen Rüti geboren, studierte in Zürich Germanistik und Theologie. Als Journalistin zog sie 1988 nach Berlin-Kreuzberg. Nach dem Mauerfall schrieb sie Porträts über die Metropolen Ostmitteleuropas und lebte vorübergehend in Lublin (Polen). Für die Neue Zürcher Zeitung war sie in New York vier Jahre lang Kulturkorrespondentin und ist es derzeit in Berlin. 2010 erschien in ihr Buch "Nur im Weltall ist es wirklich still. Vom Lärm und der Sehnsucht nach Stille".

Sieglinde Geisel, freie Journalistin© privat