Jens Ullrich verschenkt seine Kunst

Endlich weg vom Geld

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Der Künstler Jens Ullrich steht vor einem großformatigen Foto, das Menschen mit Masken zeigt
Weg vom Denken an Geld: Der Künstler Jens Ullrich will, dass der Gehalt und nicht der Wert eines Kunstwerks im Mittelpunkt steht. © Jens Ullrich
Von Johannes Nichelmann · 29.11.2021
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Der Künstler Jens Ullrich verschenkt seine Kunst als Gemeingut und gibt eine Anleitung als Buch heraus, wie seine Werke nachgedruckt werden können. Auf der Suche nach einer neuen Ästhetik will er sich von den Zwängen des Kunstmarktes freimachen.
Normalerweise werden erst 70 Jahre nach dem Tod eines Künstlers oder einer Künstlerin die Werke zum Gemeingut – dann kann jeder sie nutzen. Jens Ullrich will nicht solange warten, bis „seine Werke so habhaft wie Wasser“ sind, wie er sagt.

Ab jetzt gibt es quasi nichts mehr zu verkaufen! Alles das, was ich bis jetzt gemacht habe, das kann sich jetzt jeder über das Buch nehmen.

Jens Ullrich

Im Walther König Verlag hat er deswegen jetzt einen großformatigen Bildband veröffentlicht: „Bilder ohne Geld“.

Verirrter Kunstmarkt

Der Künstler ist Anfang 50, studierte an der Kunstakademie Düsseldorf. Hat bislang unter anderem in der Frankfurter Schirn, der Hamburger Kunsthalle und der Londoner Tate ausgestellt.

„Ich kapituliere überhaupt nicht vor dem Kunstmarkt, ganz im Gegenteil, ich möchte, dass so, wie der Kunstmarkt jetzt im Moment ist, dass das endlich aufhört.“

Jens Ullrich

Er habe gerade immer so gut verdient, dass seine Familie über die Runden gekommen ist. Geld stand in seinem Schaffen bislang immer im Mittelpunkt – ungewollt. 

„Ich will, wenn ich in Galerien gehe und Ausstellungen im Museum angucke, diesen Kontext Geld dabei nicht mehr sehen. Das tue ich die ganze Zeit, permanent. Erstens natürlich, weil ich mit mir selbst beschäftigt bin und denke, woher kommen die Pilunsen, und dann sehe ich natürlich, wie Macht entsteht.“

Verschenken als Befreiung

Die Frage, ob seine Kunst weniger wert sei, weil sie sich nicht gut verkauft, steht für ihn somit nicht mehr im Raum. Ein Befreiungsschlag.
Er vergibt eine umfassende Lizenz: er stellt seine im Buch abgedruckten Werke „allen privaten und öffentlichen Nutzer*innen kauflos zur Verfügung“
„Und die gibt’s auch noch nicht. Die gibt es vielleicht in der angewandten Fotografie oder in der Musik oder in der Wissenschaft, da gibt es diese open sources. Aber in der Bildenden Kunst gibt es das nicht.“

Von Afrika geprägte Kunst

Jens Ullrich fertigt vor allem Collagen. Sie sind ganzseitig in dem Buch abgedruckt. Über 250 Motive. Darauf zu sehen sind zum Beispiel Schwarz-Weiß-Fotografien von Menschen, auf deren Köpfe traditionelle afrikanische Holzmasken montiert sind. 
„Ich habe mich schon früh mit dem Problem beschäftigt, weil ich in Afrika geboren bin und lange dort gelebt habe, dass die afrikanischen Kunstgegenstände in westlichen Sammlungen aufgehoben werden und einfach nicht nach Afrika zurückkommen können. Deswegen habe ich Fotomontagen gemacht, Fotos von Journalisten benutzt, die in Afrika gemacht wurden, und habe den Personen, die auch nicht gefragt wurden, ob sie fotografiert werden wollen in den meisten Fällen, diese Masken wieder aufgesetzt.“
Der Künstler Jens Ullrich steht in der Kunsthalle in Hamburg vor seiner Arbeit "Refugees In A State Apartment"
Der Künstler Jens Ullrich vor seiner Arbeit "Refugees In A State Apartment"© picture alliance / Christian Charisius/dpa
Außerdem sind da Arbeiten mit Trophäenfotos von Großwildjägern in Afrika. Frisch erlegte und drapierte Zebras. „Diese Trophäenfotos, die habe ich benutzt und habe die Jäger überdeckt mit Tierskulpturen.“

Fotos von Geflüchteten

2015 fotografierte er Geflüchtete vor dem berüchtigten Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin – damals kam es zu dramatischen Szenen von Menschen, die auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf waren.
Jens Ullrich montierte seine Fotografien in Abbildungen aus dem damals teuersten Haus Deutschlands, dass im Internet angeboten wurde – einer alten Bremer Fabrikantenvilla.

Anleitung zum Druck

„Ich glaube, in dem Buch sind viele Sachen drin, die werden schwer auszuhalten sein im Wohnzimmer. Aber es gibt ja nicht nur Wohnzimmer, in denen Kunst gezeigt wird oder das Bedürfnis nach Bildern besteht, sondern es gibt ja auch Ausstellungen. Es kann ja jetzt eine Kuratorin hingehen und sagen, ich mache jetzt mal eine Ausstellung oder bringe was in einen Kontext und muss auch nicht mehr Jens Ullrich kontaktieren, weil das Buch habe ich, hinten drin ist die Anleitung, wie ich damit umgehe, und zwar ganz genau, damit umgehe.“

Ein Großteil der Auflage von „Bilder ohne Geld“ soll in Bibliotheken zu finden sein. So hat jeder Zugang. Die Buchhandlung Walter König verkauft zudem Exemplare für eine Schutzgebühr von zehn Euro.
Im Buch enthalten ist eine Anleitung, wie die Werke an die Wand kommen. Wie sie gescannt werden sollten, welche technischen Einstellungen für den Plakatdruck wichtig sind und wie sie am besten tapeziert werden können. „So kann man auf einen ziemlich einfachen analogen Weg, analog ist mir auch in dem Fall wichtig irgendwie, über einen analogen Weg an die Bilder kommen.“

Suche nach einer neuen Ästhetik

Jens Ullrich ist ein politischer Künstler. Seine Werke stehen nun jedem kostenfrei zur Verfügung. Wirklich jedem. Was aber, wenn der Verband der Großwildjäger, Waffenhändler oder gar Diktaturen mit seinen Werken arbeiten wollen?
„Das ist nicht wirklich in Ordnung so. Ich glaube auch nicht, dass das passiert. Aber tatsächlich, um jetzt das Ding radikal zu verändern, um wirklich ein neues Bild sehen zu können. Es kann jemand kommen und sagen, ich mache Postkarten oder ich verkaufe Poster von den Sachen. Alles ist jetzt eigentlich möglich.“
In seinem Buch bittet Jens Ullrich darum, genau das nicht zu tun. Er ist auf der Suche nach einer neuen Ästhetik, die den Erwerb und Besitz seiner Bilder unnötig macht. 
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