Jens Bisky über "Berlin: Biografie einer großen Stadt"

Sehnsuchtsort und Schreckbild

10:11 Minuten
Das Berliner Stadtschloss im Bau, neben Dom und Fernsehturm bei Dämmerung.
Berliner Wahrzeichen: Dom, Fernsehturm, Schloss. © imago images / Future Image /S. Gabsch
Jens Bisky im Gespräch mit Joachim Scholl · 05.11.2019
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Über Berlin ist schon alles gesagt. Jens Bisky hat es noch einmal zusammengefasst, auf rund 1000 Seiten - in seiner "Biografie einer großen Stadt". Und zwar so gut, dass sich darin auch neue Facetten finden. Was macht den Reiz der Stadt aus?
"Berlin ist ein Sehnsuchtsort, ist aber auch für viele ein Schreckbild", sagt Jens Bisky. Der Journalist lebt seit 1981 in der Stadt, hat den Mauerfall als junger Mann miterlebt und hat jetzt der Stadt ein eigenes Denkmal gesetzt: "Berlin: Biografie einer großen Stadt", heißt es, ist fast 1000 Seiten dick und anderthalb Kilogramm schwer. Die Literaturkritiker von Deutschlandfunk Kultur, ZDF und der "Zeit" haben das Buch direkt auf Platz zwei der Sachbuchbestenliste im November gewählt.
Was aber macht die Faszination für die Stadt aus? "Viele haben das Gefühl, sie könnten hier das Projekt ihres Lebens verwirklichen, ohne dass sie sich besonders anpassen müssten", sagt Bisky. Außerdem könne man nach etwa drei Jahren Berliner werden, während man in anderen Städten wie München oder Hamburg immer ein Zugezogener bleibe.

Meister der Selbstmystifizierung

Das typisch Berlinerische sei für ihn zunächst das, was mit der Herausforderung einhergeht, in einer so großen Stadt zu leben: "Es entwickelt sich eine gewisse Reaktionsschnelligkeit, aber auch eine gewisse Unbeeindruckbarkeit. Es ist ja sehr schwer, Berliner mit irgendwas zu überraschen."
Es gebe unter den Bewohnern auch ein gebrochenes Selbstbewusstsein. "Ich glaube, dass es zu Berlin gehört, dass man denkt: 'Ja klar, in Deutschland sind wir die beste Stadt, hier kann man großartig leben.' Auf der anderen Seite wissen die Berliner, wie viel im Argen liegt und dass es gar nicht so weit her ist mit ihnen."
Jens Bisky hält sein Berlin-Buch in die Kamera
Jens Bisky bei der Präsentation seines Berlin-Buches.© imago images / Gerhard Leber
Wie man damit umgeht? Alles eine Sache des Marketings. Denn die Berliner hätten schon immer eines gut beherrscht: die Technik der Selbstmystifizierung. "1993 hat man denen gesagt, die gerade kamen: 'Ach, ihr habt 1990 nicht erlebt, da war’s großartig!' Und dieselben Leute, die das gehört haben, haben 1996 erzählt: 'Also wer ′93 nicht da war, der weiß überhaupt nicht, was los ist.' Und so haben die Leute auch immer das Gefühl, auch etwas zu verpassen.

Schwierigkeiten mit eigener Geschichte

Für Bisky ist das umstrittene Stadtschloss, das derzeit wieder aufgebaut wird, besonders wichtig für die Stadt. Es sei ein bedeutender Schauplatz deutscher Geschichte gewesen: Um 1700 wurde das Schloss "zur Manifestation des Willens, unter den großen Mächten Europas mitzuspielen. Und dann wird Berlin zur selben Zeit auch ein intellektuelles Zentrum in Norddeutschland." Aber auch 1848, 1918 und 1989, als an der Stelle der Palast der Republik stand, sei es ein wichtiger Ort gewesen.
"Auch das ist typisch Berlin, dass man so viel Geschichte hat, dass es immer schwierig ist, damit intelligent umzugehen."

Jens Bisky: "Berlin - Biografie einer großen Stadt"
Rowohlt Berlin; 976 Seiten, 38 Euro

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