Jelinek-Stück "Wut" am Schauspiel Köln

Überforderung mit Wirkung

06:22 Minuten
Ein Mann in Unterhose und einem Federkopfschmuck steht mit weiß geschminktem Gesicht auf einer Theaterbühne, raucht und sieht dabei nachdenklich in die Ferne. Neben ihm zwei weitere leicht gekleidete Personen, sie stehen zwischen riesigen Krallenfüßen.
Die Aufführung von "Wut" unter der Regie von Ersan Mondtag am Schauspiel Köln hatte durch den Messerangriff in Paris eine traurige Aktualität. © Judith Buss
Von Christoph Ohrem · 25.09.2020
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Schrill und wuchtig inszeniert Ersan Mondtag das Jelinek-Stück "Wut" - entstanden in Reaktion auf den Anschlag auf "Charlie Hebdo" im Jahr 2015. Ein Ereignis, meint unser Kritiker, auch wenn die orgiastische Flut an Bildern auf Kosten des Textes gehe.
Elfriede Jelineks "Wut" ist als Reaktion auf die Anschläge auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" entstanden. In dem Text lässt sie die Verzweiflung und Fassungslosigkeit spürbar werden, die solche Wahnsinnstaten auslösen. Sie erzählt in wechselnden Perspektiven von islamistischem Terror, den Anschlägen auf das Satiremagazin und einen jüdischen Supermarkt. In all das flicht sie noch die Geschichte des Herakles ein, der blind vor Wut seine Kinder erschlägt.

Ersan Mondtag inszeniert das schrill und wuchtig am Schauspiel Köln als eine Art Albtraum, getreu Goyas Werk der "Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer". Zwei Adlerbeine stellen sich schützend um ein Ei. Assoziationen zu einer Moschee werden wach. Das Ei könnte auch ein Atommeiler sein. Im Inneren des Eis, zu sehen, wenn sich die Drehbühne in Bewegung setzt, befindet sich ein Greenscreen-Studio.
Das Ganze wird ergänzt durch zwei Leinwände an den Bühnenseiten, die mit vorproduzierten Film-Sequenzen bespielt werden: da sieht man Bilder eines gefallenen Engels, ein Kämpfer des IS richtet mit einem Messer eine Geisel hin, Terroristinnen mit Gesichtsmaske schmiegen sich im Bikini an ein Maschinengewehr.

Wettstreit zwischen Text und Bühnenbild

Ersan Mondtag antwortet auf Elfriede Jelineks komplexen und bilderreichen Text mit einer orgiastischen Flut an Bildern, um mit dem Text in Kontakt zu treten. Es entsteht eine Art Wettstreit zwischen Text und Bühnenbild.
Das geht bisweilen allein schon wegen der Lautstärke auf Kosten des Textes. Das ist schade, tut der Wirkung aber keinen Abbruch. Es geht Mondtag eh nicht um eine ziselierte Analyse des Textes. Er arbeitet sich daran, ab inwiefern Bilder und die Erzeugung von Bildern mit den Gewalttaten zusammenhängen. Das aufgenommene und im Internet verbreitete Bild ist für die Terroristen wichtiger als die Tat an sich.
Das gesamte Ensemble spielt furios auf. Besonders Benny Claessens bindet die Inszenierung aber mit seiner Bühnenpräsenz und schier unerschöpflichen Energie zusammen.
Ob er sich als Terrorist die Seele aus dem Leib brüllt, bevor er die Erzeuger der Karikaturen niederschießt, auf einem riesigen goldenen Penis reitet oder ganz am Ende in die Ecke gekauert in kaltem Licht die Verbindung zur Realität aller Menschen im Theater herstellt, in dem er nach all dem Spektakel den Wunsch äußert, endlich noch einmal umarmt zu werden.
Ein Abend, der wahrlich ein Ereignis ist.
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