Jeff VanderMeer: "Auslöschung", Teil 1 der "Southern Reach"-Trilogie

Rätsel um Area X

Jeff VanderMeers "Auslöschung" spielt in einer verlassenen Küstengegend, wo sich Bedrohliches abspielt.
Jeff VanderMeers "Auslöschung" spielt in einer verlassenen Küstengegend, wo sich Bedrohliches abspielt. © picture alliance / dpa / Hermann Wöstmann
Von Elena Gorgis · 24.10.2014
In Jeff VanderMeers Buch "Auslöschung" sind vier Wissenschaftlerinnen auf gefährlicher Mission: Sie sollen herausfinden, was in einem abgeschotteten Landstrich - Area X - vor sich geht. Von dort kehren Menschen nur krank oder wahnsinnig zurück. Höchst spannend!
Area X ist ein abgeschotteter Landstrich an der Küste eines nicht näher bestimmten Landes. Niemand weiß, was dort vor sich geht, aber soviel scheint klar: Es geht eine Bedrohung von dieser Region aus. Eine Psychologin, eine Anthropologin, eine Landvermesserin und eine Biologin werden im Auftrag einer geheimen Regierungsorganisation ausgesandt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Es ist bereits die zwölfte Expedition dieser Art, andere Forscher sind entweder gar nicht oder schwer krank und wahnsinnig aus der Area X zurückgekehrt.
Der US-amerikanische Autor Jeff VanderMeer hat in seinem neuen Werk "Auslöschung" – dem ersten Band seiner "Southern Reach"-Trilogie – ein Ausgangsszenario geschaffen, das zunächst an einen typischen Science-Fiction-Thriller erinnert. Aber Jeff VanderMeer wäre kein mehrfach preisgekrönter Autor und erfahrener Lektor, wenn er die Erwartungen abgeklärter Fantasy-Fans nicht zu erschüttern wüsste.
Tagebucheinträge erzählen im Rückblick
VanderMeer verweigert sich den heute bevorzugten Erzähltechniken des Thrillers, die die Leser durch Cliffhanger und schnelle Schnitte sehr nah an der Handlung halten. Stattdessen schildert er das Geschehen im Rückblick: durch die Tagebuch-Einträge der Biologin, einer spröden Naturliebhaberin, die auf jegliche Nennung von Namen – auch der ihres eigenen – verzichtet. Alles Persönliche soll auf dieser Expedition ausgeblendet werden, schreibt sie. Aus Menschen scheint sie sich sowieso nicht viel zu machen.
Sie lässt sich lieber in den Bann der verlassenen Küstenlandschaft ziehen – und in den Bann der unheimlichen Kraft, die dort am Werk zu sein scheint: Jeden Abend hört sie während der Dämmerung eine Art Wehklagen, in den Blicken der Tiere, denen sie begegnet, glaubt sie, menschliche Intelligenz aufblitzen zu sehen, und sie entdeckt pilzartige Organismen, die Buchstaben bilden und Sporen aussondern, die die Wahrnehmung verändern. Scheinbar sind alle Lebewesen von einem "Etwas", einer nicht näher zu bestimmenden "Existenz" kontaminiert. Eine Existenz, die Menschen auslöschen kann?
Spröde Biologin ist Teil des Rätsels
Obwohl die Biologin ihre Entdeckungen detailliert in ihrem Tagebuch festhält und so versucht, das Rätsel von Area X zu lösen, wirkt es so, als komme sie dem Kern dieses Rätsels nicht näher, als könne sie es mit ihren rationalen Sätzen nicht fassen. Ist sie vielleicht selbst schon Teil dieses "Etwas", wird sie von der seltsamen Kraft manipuliert, ist sie wahnsinnig? Ja: Dieses Buch ist spannend. Aber: Man möchte, anders als vielleicht bei anderen Thrillern, nicht vor-, sondern zurückblättern, um den Punkt zu entdecken, an dem die Biologin ihre Objektivität verloren hat. Aber hat sie sie wirklich verloren? Hat sie sie je besessen?
In dem bekannten Science-Fiction-Roman "Das große Spiel" von Orson Scott Card vernichtet die Hauptfigur Ender im Glauben, die Menschheit vor einer Bedrohung zu retten, ungewollt eine ganze Spezies. Jeff VanderMeers Biologin wirkt wie eine Gegenfigur zu diesem Ender. Sie kämpft nicht gegen das Unbekannte. Sie beobachtet einfach nur und gibt sich fasziniert den Metamorphosen hin, die sie selbst und das sie umgebende Ökosystem durchlaufen. Am Ende steht die Erkenntnis, dass aus dem größten Schrecken etwas faszinierend Neues erwächst. Atemberaubend!

Jeff VanderMeer: "Auslöschung", Teil 1 der "Southern Reach"-Trilogie
Aus dem Englischen von Michael Kellner
Verlag Antje Kunstmann, München 2014
240 Seiten, 16,95 Euro

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