Jan Assmann: "Achsenzeit"

Die Vision eines Weltbürgertums

Cover: "Jan Assmann: Achsenzeit. Eine Archäologie der Moderne" und Konfuzius-Statue
Cover: "Jan Assmann: Achsenzeit. Eine Archäologie der Moderne" - Konfuzius lebte im Jahr 500 vor Christus, also für den Philosophen Jaspers in einer Zeitenwende. © C.H. Beck Verlag / dpa / picture alliance / Christoph Mohr
Von Carsten Hueck · 08.11.2018
Konfuzius in China, Buddha in Indien, Zarathustra in Persien: Der Philosoph Karl Jaspers betrachtet die Zeit um das Jahr 500 vor Christus als Geburt des modernen Menschen. Jan Assmann setzt sich in "Achsenzeit" mit dieser Theorie auseinander.
Auf den Trümmern des zerstörten Europas entstanden in dem Jahrzehnt nach Ende des Zweiten Weltkrieges viele Werke, die auf unterschiedliche Weise die Frage nach Sinn und Wesen von Geschichte stellten. Sie dienten einer Ortsbestimmung der Gegenwart. Das Buch des Kultursoziologen Alfred Weber "Abschied von der bisherigen Geschichte" sieht eher geschichtspessimistisch nur Konflikt und Rivalität, Eroberung, Unterwerfung und Zerstörung - eine Abfolge immer neuer Umwälzungen und Kulturinhalte.
Im Zentrum der jüngsten Untersuchung des diesjährigen Friedenspreisträgers des Deutschen Buchhandels Jan Assmann steht allerdings ein anderes Buch. Es trägt den Titel "Vom Ursprung und Ziel der Geschichte". In ihm nimmt der Philosoph Karl Jaspers eine Weber entgegengesetzte Position ein: Er entwirft die durchaus verlockende Vision eines Weltbürgertums, betrachtet Geschichte als etwas Globales und Einheitliches, lenkt den Blick von Europa weg auf universelle historische Erscheinungen, auf das "Reich der Humanitas" (Hannah Arendt).
Besondere Bedeutung für Jaspers‘ Sichtweise erhält das von ihm geprägte Konzept der "Achsenzeit". Dessen Grundlage und Entwicklung prüft nun Jan Assmann mit beeindruckender Akribie in 13 Kapiteln. Eine kulturphilosophische Untersuchung vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, engagiert und souverän im Verknüpfen umfassender Kenntnisse aus unterschiedlichen Disziplinen der Wissenschaft.

Assmann hält Jaspers' Theorie für retrospektive Konstruktion

So wie viele heutzutage die Anschläge vom 11. September 2001 als ein Ereignis begreifen, das den Blick auf die Welt in eine Zeit davor und danach einteilt, so sieht Jaspers eine Zeitenwende um das Jahr 500, plus minus 200 Jahre, vor Christi Geburt. Keine bloß geschichtliche Periode lokalisiert er dort, sondern eine "Achse" der Weltgeschichte, einen Durchbruch von universaler Bedeutung: die Geburt des modernen Menschen. Akteure der Achsenzeit seien "der Mensch" und "die Menschheit", aber nicht einzelne Gesellschaften und Kulturen.
Jaspers greift dabei zurück auf Beobachtungen des französischen Iranisten Anquetil-Duperron. Dieser hatte bereits 1775 jene Zeit, in der in China, Indien, in Persien, Griechenland und dem antiken Israel gleichzeitig geistige Lehrer wie Konfuzius, Buddha, Zarathustra, die jüdischen Propheten und griechischen Philosophen auftraten, als epochemachende Wende ausgemacht. Gedanken, Texte und Werke entstanden, die wir heute noch lesen.
Jan Assmann betont Notwendigkeit und Aktualität einer solchen kulturübergreifenden Idee, betrachtet Jaspers' achsenzeitliches Menschtum jedoch mit guten Gründen als eine retrospektive Konstruktion. Als den Versuch, eine Art "Klassik" einzurichten, um der Nachkriegsgegenwart mit Orientierung zu dienen. Assmann legt in seinem Buch die Vielfalt der Anregungen frei, die in Jaspers’ Achsenzeittheorie stecken, interpretiert diese am Ende aber als Ausdruck der Erschaffung eines menschheitlichen Kulturgedächtnisses. Sein Plädoyer, ihre normativen Impulse zu bewahren und für den Blick auf andere Kulturen fruchtbar zu machen, ist dieser Tage ein dezidiert politischer Appell.

Jan Assmann: Achsenzeit. Eine Archäologie der Moderne
C.H. Beck Verlag, München 2018, 352 Seiten, 26,95 Euro

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