James Suzman: „Sie nannten es Arbeit"

Mit dem Acker kam das Ackern

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Das Buchcover "Sie nannten es Arbeit" von James Suzman ist vor einem grafischen Hintergrund zu sehen.
Viele rufen derzeit nach Lockerungen. James Suzman plädiert dafür, auch den ökonomischen Stress zu lockern. © Deutschlandradio / Verlag C. H. Beck
Von Wolfgang Schneider · 06.05.2021
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Täglich viele Stunden arbeiten müssen - diesen Stress könnten wir uns eigentlich längst sparen. Warum die Überflussgesellschaft aber weiterhin alten Mustern folgt, erklärt der Anthropologe James Suzman in diesem geistreichen Buch.
Ausgiebig hat der britische Sozialanthropologe James Suzman Jäger- und Sammlerkulturen erforscht und dabei überraschende Einsichten gewonnen: Unsere urzeitlichen Vorfahren verfügten demnach über eine erstaunliche Work-Life-Balance. Mit nur fünfzehn Stunden Nahrungssuche pro Woche sicherten sie ihr Auskommen.
Dabei war der Speisezettel in der Steinzeit vielfältig und die Lebenserwartung vergleichsweise hoch. Zudem schätzten die Jäger und Sammler den Müßiggang und die soziale Gleichheit.

Die Plackerei beginnt

Erst mit der Erfindung von Landwirtschaft und Viehzucht vor etwa zehntausend Jahren begann die Schinderei. Nun musste buchstäblich geackert werden. Die Nahrungspalette verkleinerte sich. Krankheiten breiteten sich durch das enge Zusammenleben mit den Nutztieren aus. Die Lebenserwartung sank.
Allerdings war die neue Wirtschaftsform produktiver und konnte mehr Menschen ernähren. Mehr Menschen – darin bestand zugleich das Problem: Die Überschüsse wurden sogleich in Bevölkerungswachstum umgesetzt, wodurch sich die Mangelsituation fortsetzte und noch mehr "geackert" werden musste.
Mit dem Wandel zur Agrarwirtschaft kam zudem eine neue Mentalität auf. Jäger- und Sammler-Gemeinschaften horten keine Nahrung. Sie erleben ihre Umwelt als Fülle, die genug gewährleistet.
Nun aber wurden hohe Arbeitsdisziplin und vorausschauende Planung erforderlich, denn die Ernte ließ als Lohn für die Mühe erst einmal auf sich warten. Der Hoffnung auf volle Kornkammern stand immer die Angst vor Missernten gegenüber.
Auf diese Weise hielt mit der Landwirtschaft eine Ökonomie des "verzögerten Ertrags", der Knappheit und der Vorratshaltung Einzug, die – so eine Kernthese Suzmans – bis heute unser Wirtschafts- und Berufsleben bestimmt.

Ökonomie der Knappheit

Bis zur industriellen Revolution wurden die Produktionszuwächse dank der Innovationen in der Landwirtschaft weitgehend "durch das Bevölkerungswachstum aufgefressen". Wenn aber heute nur noch ein geringer Prozentsatz der Menschen in der Landwirtschaft tätig sein muss, könnte die Gesellschaft mit ihren Überschüssen ein weniger getriebenes, von weniger Ungleichheit und Konkurrenz geprägtes Leben führen.
Stattdessen folge die Überflussgesellschaft, so Suzman, weiterhin der "Ökonomie der Knappheit", auch wenn diese nur noch relativ sei, und im Vergleich mit vermeintlich erfolgreicheren oder wohlhabenderen Nachbarn, Freunden oder Vorbildern aus den Medien bestehe.
Die Werbung schüre künstliche Bedürfnisse und erzeuge das Gefühl von Defiziten. So werde das Hamsterrad der Warenproduktion am Laufen gehalten. Auch bei der zunehmenden Automatisierung und dem Einsatz künstlicher Intelligenz sieht Suzman vor allem die verspielten Potentiale.

Eine unterhaltsame Lockerungsübung

Das Buch streift geist- und anekdotenreich durch die Jahrtausende, greift sich hier eine Handvoll Naturwissenschaft, dort zwei Portionen Wirtschaftstheorie (Adam Smith und John Kenneth Galbraith) und bringt das alles auf die Linie der eigenen, bisweilen doch etwas simplifizierend anmutenden Thesen.
Dass eine Acht-Milliarden-Menschheit nicht zur Existenz der Jäger und Sammler zurückkehren kann, ist auch Suzman klar. Er will mit seinem Buch aber deutlich machen, dass unsere Spezies über die längste Zeit ihres Bestehens andere Prioritäten gesetzt hat als Vollzeit-Arbeit, Ehrgeiz, Karrierestress und Wirtschaftswachstum.
So gesehen ist diese "andere Geschichte der Menschheit" eine unterhaltsame Lockerungsübung.

James Suzman: "Sie nannten es Arbeit. Eine andere Geschichte der Menschheit"
Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber
Verlag C.H. Beck, München 2021
398 Seiten, 26,95 Euro

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