Autorin zu Protesten in Russland

"Wir sind erst am Anfang des Weges"

06:10 Minuten
Polizisten drängen am 23. Januar 2021 in Moskau mit dem Schlagstock in der Hand protestierende Menschen zurück, die die Freilassung des Oppositionsführers Alexej Nawalny fordern.
Die "repressive Maschine" in Russland sei nach wie vor stark, sagt die Historikerin und Germanistin Irina Scherbakowa. Und: "Ich glaube, wir haben schwere Zeiten vor uns". © picture alliance / Anadolu Agency / Sefa Karacan
Irina Scherbakowa im Gespräch mit Frank Meyer · 28.01.2021
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In ganz Russland protestierten am Wochenende Menschen gegen Präsident Putin. Nun gibt es neue Demo-Aufrufe. Die Stimmung im Land habe sich verändert, sagt die Autorin Irina Scherbakowa, doch sie warnt vor der "repressiven Maschine" in Russland.
Nach den Protesten am 23. Januar in zahlreichen Städten in ganz Russland sind für das kommende Wochenende erneut Demonstrationen angekündigt. Die Kundgebungen hingen zusammen mit der Verhaftung des Oppositionsführers Alexej Nawalny eine Woche zuvor und einem Video Nawalnys, in dem er Staatspräsident Wladimir Putin anhand des Beispiels eines Luxuspalastes Korruption vorwirft.
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer, der aus Russland kommt und bereits lange in Deutschland lebt, sprach im Deutschlandfunk Kultur von einer "politischen Wende". Die neue Generation der Protestierenden habe nicht mehr so viel Angst wie ihre Eltern und Großeltern.
Die russische Historikerin und Autorin Irina Scherbakowa sagt, sie teile diese Sicht momentan nicht. Sie glaubt, die Proteste seien erst der Anfang des Weges. Von einer Wende könne man noch nicht sprechen.

Frust über fehlenden Machtwechsel

Aber die Stimmung habe sich verändert, die Menschen in Russland seien frustriert und unzufrieden. Das beziehe sich darauf, "dass es zu keiner Veränderung kommt, zu keinem Machtwechsel kommt". Deutlich werde das anhand der Klickzahlen von Nawalnys Video: Mehr als 90 Millionen Mal wurde es aufgerufen. Das sei eine schier unglaubliche Zahl.
Ein gutes Zeichen sei, dass nach ihren Beobachtungen die meisten Menschen, die am vergangenen Wochenende auf der Straße gewesen seien, zwischen 30 und 40 Jahren alt waren und dass in vielen Regionen des Landes Menschen beteiligt gewesen seien. Es hatte Berichte gegeben, dass etwa auf der Social-Media-Plattform TikTok Videos der Demonstrationen millionenfach geklickt worden seien.

"Mit der heutigen Politik nicht einverstanden"

Ein Indiz für die veränderte Stimmung sei auch, dass die Menschen auf die Straße gingen, obwohl sie damit rechnen müssten, zusammengeschlagen, verhaftet oder zu jeglicher Art von Strafen verurteilt zu werden. "Ich glaube, was die Menschen vereint, ist, dass sie nicht für Nawalny auf die Straße gehen. Sie gehen auf die Straße, weil sie mit der heutigen Politik nicht einverstanden sind."
Aber, sagt Irina Scherbakowa, die "repressive Maschine" in Russland sei nach wie vor stark: "Ich glaube, wir haben schwere Zeiten vor uns." Dabei spiele auch die Demokratiebewegung im benachbarten Belarus eine große Rolle. "Ich glaube, man schaut aus Russland, aus dem Kreml nach Belarus und hat sicherlich Angst, dass die Proteste bei uns genauso aussehen könnten." Denn in Russland seien im Herbst Dumawahlen.
(abr)
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