James Canton: "Biografie einer Eiche"

Grandiose Naturbeobachtung

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Das Buchcover "Biografie einer Eiche" von James Canton ist vor einem grafischen Hintergrund zu sehen.
Mit "Biografie einer Eiche" legt James Canton das gleichermaßen faszinierte wie umfassend recherchierte Porträt eines Baumes vor. © Deutschlandradio / Dumont Verlag
Von Johannes Kaiser · 20.08.2021
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Eichen üben seit jeher eine besondere Faszination auf den Menschen aus. Das Buch des Briten James Canton liest sich wie eine Liebeserklärung. Zugleich ist es wunderbar wissens- und facettenreich.
Jahrelang hat James Canton immer wieder dieselbe 800-jährige Eiche besucht. Sie wächst nicht weit entfernt von seinem Wohnort auf einem Landgut und wurde nach dessen früherem Besitzer Honeywood benannt.
Wortgewandt und detailliert beschreibt Canton, wie sich Blätter und Äste, Rinde und Früchte im Laufe der Jahreszeiten verändern.

Den Baum fühlen

Er klettert in den Baum hinein, schmiegt sich an die Baumrinde, beobachtet die sich mit den Jahreszeiten verändernde Tier- und Pflanzenwelt – und lernt so, dass eine alte Eiche ein eigenes Ökosystem in sich darstellt. Hunderte Pflanzen und Tiere leben von und mit dem Baum.
Dazu kommt das eigene Erleben des Autors: Je länger er sich dem Baum widmet, umso mehr kommt er innerlich zur Ruhe, kann Ärger und Stress ablegen und fühlt sich von allen Sorgen befreit.
Warum aber verzaubert gerade eine Eiche ihn so? Und ist er damit allein?

Eine umfassende Recherche

Der Autor, der an der University of Essex kreatives Schreiben lehrt, beginnt, sich in Literatur und Wissenschaft nach Darstellungen von Eichen umzuschauen. Er besucht und befragt Förster, Waldarbeiter, Schreiner und Möbelbauer.
Tatsächlich wurden Eichen schon immer verehrt. Bei den alten Griechen wohnten Dryaden – Waldnymphen – als weibliche Geister in diesen Bäumen. Für die Römer hatten Eichen magische Kräfte.
Nur wenig ist über die alten Druiden bekannt, deren Name sich, so Canton, aus den indoeuropäischen Begriffen " dru" für Eiche und "wid" für Sehen und Wissen zusammensetzt.
Darüber hinaus haben zahlreiche Schriftstellerinnen und Schriftsteller die Eiche gefeiert. James Canton zitiert immer wieder Passagen aus Gedichten, Romanen und Erzählungen, die den alten Bäumen besondere Bedeutung zuschreiben.

Psychologen empfehlen den Kontakt zu Bäumen

James Canton besucht auch einen Psychologen, der sich mit dem Einfluss der Natur auf unsere Psyche beschäftigt.
Von ihm bekommt er bestätigt, was er an sich selbst erlebt: Bäume können einen Menschen – deutlich messbar – tatsächlich in einen Zustand meditativer Ruhe versetzen.
Dazu muss man nicht, wie nach mancher spirituellen Vorstellung, meditierend selbst zum Baum werden.
Bei seiner Suche nach Erklärungen entdeckt der Brite viele Facetten für die heilsame und beruhigende Wirkung der Eichen, endgültige Antworten gibt er jedoch bis zum Ende des Buches nicht. Die Wirkung der Eiche bleibt ein Mysterium – ebenso faszinierend wie ungelöst.

Grandiose Naturbeobachtung

"Biografie einer Eiche" ist eine grandiose Naturbeobachtung, die auch die Geräusche der Blätter, die Rufe der Tiere, den Gesang der Vögel feiert.
Verwoben mit eigenen Tagebuchnotizen über die Besuche bei "seiner" 800-jährigen Eiche sowie bei zwei weiteren 300 Jahre alten Exemplaren, nimmt er seinen Leserinnen und Leser mit auf die Spurensuche dieser Faszination. Und das äußerst gelungen.

James Canton: "Biografie einer Eiche"
Aus dem Englischen übersetzt von Sofia Blind
Dumont / Köln 2021
155 Seiten, 18 Euro

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