James Baldwin: "Von dieser Welt"

Mit Jazz und Bibel gegen Repression

Der US-Schriftsteller James Baldwin in den 1960er-Jahren
James Baldwin - für junge Autorinnen und Autoren ist er ein Vorbild. © imago stock&people
Von Marko Martin · 08.03.2018
Endlich wieder auf Deutsch, in neuer Übersetzung: James Baldwins Roman „Von dieser Welt“ offenbart, weshalb der 1987 verstorbene afroamerikanische Romancier und Essayist in- und außerhalb der Vereinigten Staaten eine Renaissance erlebt.
James Baldwin, dessen Todestag sich letzten Dezember zum 30. Mal jährte, wird nun endlich wiederentdeckt: Sein Werk erlebt eine ungeahnte Renaissance. Gerade ist in Deutschland sein 1953 publizierter Debütroman "Go Tell It on the Mountain" unter dem nicht weniger biblisch anspielungsreichen Titel "Von dieser Welt" in neuer Übersetzung erschienen, und weitere Baldwin-Bücher sollen folgen.
Die Frage zu stellen, was diesen 1924 in Harlem geborenen afroamerikanischen Romancier und Essayisten so aktuell macht, heißt sie bereits zu beantworten – allerdings nur teilweise. Gewiss, nach acht progressiven Obama-Jahren erleben die Vereinigten Staaten nun unter Donald Trump eine bislang undenkbare Revitalisierung übelsten Rassismus. Gleichzeitig - Stichwort "Black Lives Matter"- formiert sich Gegenwehr. Aber reicht das wirklich zur Erklärung, weshalb James Baldwin in den USA seit jeher eine feste Bezugsgröße ist und nun auch hierzulande wiederentdeckt wird?

Vorbild für junge Autorinnen und Autoren

Baldwin selbst grenzte sich zeitlebens gegen das Label "Protestliteratur" ab und definierte sein Schreiben nicht als defensiv und lediglich anklagend, sondern als offensiv weltschaffend – nicht Weiße sollten den Referenzrahmen bestimmen. Die vibrierende Harlem-Welt seiner Romane ist deshalb konkret und universell zugleich und erzählt von tragisch Scheiternden ebenso wie von couragierten Selbst-Erfindern, welche der weißen Mehrheit nicht länger die Definitionsmacht über ihr Schicksal zugestehen.
Kein Wunder also, dass Baldwin auch afroamerikanischen Autorinnen und Autoren als Vorbild dient: Der 1975 geborene afroamerikanischer Schriftsteller Ta-Nehisi Coates bezieht sich in Büchern wie dem aktuellen "We were eight years in power" und dem zuvor erschienenen "Brief an meinen Sohn" nicht allein politisch auf Baldwins emanzipatorisches Schreiben, sondern auch existentiell-ästhetisch: Coates´ "Brief" ist von gleicher Dringlichkeit, durchsetzt vom gleichen biblischen Gerechtigkeitsduktus wie es einst Baldwins offener "Brief an meinen Neffen" war.

Entgegen manch politisch korrekter, universitärer Aus- und Eingrenzungsbräuche wird hier jedoch keine homogene "schwarze" Identität beschrieben, sondern mit Baldwin allen Zuschreibungs-Manipulateuren zugerufen: "I´m not your negro." Mehr noch: Der schwule Autor, der bereits in seinem im rigiden afroamerikanischen Kirchenmilieu spielenden Debütroman seinen Teenager-Protagonisten John den etwas älteren "Bruder" Elisha bewundern lässt, hatte in den sechziger Jahren zu Protokoll gegeben, dass er selbst doch wohl ungleich komplexer sei als das Wort "homosexuell" suggeriere. Interessanterweise spielt sein berühmtester "schwuler" Roman "Giovannis Zimmer" lediglich unter Weißen und thematisiert nicht allein sexuelle, sondern auch soziale Brüche.
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James Baldwin in Saint-Paul-de-Vence © afp

Ein Jahrhundert-Schriftsteller

Kein Zufall deshalb, dass in "Von dieser Welt" auch inner-afroamerikanische Repressionsmechanismen beschrieben werden, Spiegelbilder weißer Herrschaftstechnik. Für Baldwin ist "Rasse" vor allem eine soziale Konstruktion, zum Kleinhalten der Diskriminierten erfunden und von diesen oft genug lebenslänglich verinnerlicht. Sein Roman-Protagonist versucht sich dem mit der Wucht biblischer Geschichten und Gospels zu entziehen: Der Auszug des Volkes Israel unter Moses als universelle Chiffre eines Aufbruchsgeistes, der Kerker sprengt.
Für heutige afroamerikanische Autoren ist zwar der Bibelbezug inzwischen weniger wichtig, geblieben aber ist die Herausforderung, sich Fremdbildern zu verweigern und sich gleichzeitig nicht ex negativo zu beschreiben.
In Büchern wie Colson Whiteheads "Der letzte Sommer auf Long Island" , Yaa Gyasis von Ghana bis nach Harlem führendem Epos "Heimkehren", Teju Coles nigerianisch-amerikanischem Flaneursroman "Open City" oder Toni Morrisons jüngstem Roman "Gott, hilf dem Kind" zittert deshalb die bei Baldwin zur Ästhetik gewordene Freiheitsethik und die bildlich-konkrete, von Gospel, Jazz und Blues geprägte Sprachenicht nur leise nach, sondern scheint eine ganze Literatur inspiriert und beeinflusst zu haben.
Wie gut, dass dieser Jahrhundert-Autor nun wieder zu entdecken ist.

James Baldwin: "Von dieser Welt"
Aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow
Dtv, München 2018
318 Seiten, 22 Euro

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