Jahrhunderttragödie in Syrien

Zehn Jahre Krieg und kein Ende?

53:41 Minuten
Ein Mann sitzt mit seinen drei Kindern auf einem orienatlischen Teppich auf dem Boden. Mehrere Kissen liegen um sie herum, im Hintergrund sind rote Gardinen und ein gehäkelter roter Stoff über einem Fenster an der grauen Wand zu erkennen.
Der 44-jährige Fausi Schahadat sitzt mit seinen Kindern in seinem Haus in einem Lager am Stadtrand von Sarmada. Fausi wurde 2018 aus dem Gouvernement Daraa vertrieben © dpa / Anas Alkahrboutli
Moderation: Annette Riedel · 19.03.2021
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Syrien liegt in Trümmern, die Menschen hungern und Baschar Al-Assad regiert mithilfe der Geheimdienste und der Protektion Moskaus und Teherans. Die EU und Deutschland leisten humanitäre Hilfe, aber politische Veränderungen bringen sie nicht zustande.
Vor zehn Jahren gingen die Syrer zum ersten Mal gegen Präsident Baschar Al-Assad auf die Straße und forderten die Demokratisierung ihres Landes. Seitdem wurden mehr als eine halbe Million Syrer getötet und 13 Millionen aus ihren Dörfern und Städten vertrieben. Mehr als 700.000 Syrer kamen nach Deutschland.
In der Sendung "Wortwechsel" betont der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Jürgen Hardt, dass er "den Schlüssel zur Lösung des Syrienkonflikts" in Moskau sieht: "Wenn Putin bereit ist, einen neuen Weg für dieses Land einzuschlagen, wird er in Europa einen Partner finden, das zu tun. Solange er über diesen Schlächter Assad seine Hand hält, hat er selbst Blut an den Händen. Punkt. Ende der Durchsage."

Assad kann den Frieden nicht gewinnen

Die Syrienexpertin Kristin Helberg meint, Assad habe zwar dank seiner Schutzmächte Russland und Iran den Krieg militärisch für sich entschieden, den Frieden aber könne er nicht gewinnen. Assad stehe vor einem Ruin und könne seine Verbündeten innerhalb und außerhalb Syriens nun nicht beliefern. Diese aber wollten alle von seinem Sieg profitieren:
"Die stehen da und halten die Hand auf. Russland und Iran halten die Hände auf. Sie haben sich schon per Verträge Rohstoffe gesichert und sonstige Einnahmen aus Syrien. Sie wollen natürlich auch davon profitieren, dass sie schon so viel in diesen Krieg investiert haben."
Dennoch sei Baschar Al-Assad keine "Marionette" seiner Schutzmächte Russland und Iran, betont Helberg. Vor allem für Russland sei Assad ein "doch sehr unbequemer Partner":
"Es ist nicht so, dass Russland bestimmen könnte, was Assad innenpolitisch tut, denn er hat verschiedene Abhängigkeiten. Er ist an der Macht dank der russischen Luftwaffe und der iranisch befehligten Milizen. Er herrscht über ein wirtschaftlich ruiniertes und durch eigenes Verschulden zerstörtes Land. Er braucht zwei Faktoren, um ihn an der Macht zu halten, nämlich Angst - die Angst verbreiten die Geheimdienste - und er hat einen mafiösen Staat geschaffen, also klientelistische Strukturen zwischen der Privatwirtschaft und dem Staat, die ihm dabei helfen, finanziell an der Macht zu bleiben."

Frieden nur ohne Assad möglich

Der syrische Aktivist Qosay Amer ist davon überzeugt, dass Al-Assad nicht Teil einer Friedenslösung sein kann. Er hofft darauf, dass es eines Tages einen friedlichen Übergangsprozess geben kann, der Gerechtigkeit schafft und die Spaltung im Land überwinden hilft:
"Wir brauchen in Syrien einen Transition-and-Justice-Prozess, wo wir mit allen Instrumenten die Entwaffnung, Freilassung der Gefangenen und institutionelle Reformen vorantreiben. Das wollen wir als Syrer, um die Zukunft des Landes zusammen zu bauen. Es geht einfach nicht, während das Assad-Regime an der Macht ist."

Bevorstehende Präsidentschaftswahl "ein Witz"

Von den im Mai bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Syrien erwartet Amer jedoch keinen Fortschritt in dieser Richtung: "Wir wissen schon die Ergebnisse, die da herauskommen werden. Es ist eigentlich ein Witz, was wir gerade von dem syrischen Regime hören, dass überhaupt eine Wahl stattfindet. Auch wenn die Menschen nicht wählen gehen würden, wird Assad 70 oder 80 Prozent erreichen. Das ist klar. Es war auch so seit Jahrzehnten."
Mehrere Menschen haben sich auf Dächern versammelt, zwei halten die zahlen 1 und 0 in den Flaggenfarben der Opposition (grün, weiß, schwarz, drei rote Sterne in der Mitte) hoch.
Idlib am 15. März 2021: eine Großdemonstration zum zehnten Jahrestag der Aufstände.© picture alliance / ZUMA / Imageslive / Juma Mohammed
Die Journalistin Helberg hält es für falsch, überhaupt von Wahlen zu sprechen: "Wir können nicht von einer Wahl sprechen in einem Land, in dem das Regime selbst auch den Prozess der Wahl bestimmt, die Wahlkommission, alles. Das Regime vereinnahmt den gesamten Staat, ob das die Justiz ist, das Parlament, das Militär, die Geheimdienste, die Polizei. Alle diese staatlichen Institutionen dienen in Syrien dem Erhalt des Regimes. Das muss man sich klarmachen, wenn man in Syrien über so einen Prozess wie Wahlen sprechen will. Das trifft es eben nicht."

EU zu Hilfe beim Wiederaufbau bereit

Sobald der Übergang zu demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen gelinge und Assad nicht mehr an der Regierung beteiligt sei, werde die Europäische Union bereit sein, "massiv" beim Wiederaufbau Syriens zu helfen. Das kündigt der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Hardt an:
"Das ist im Grunde auch im russischen Interesse, denn Russland kann kein Interesse daran haben, dass Syrien ein so komplett ruinierter Staat bleibt. Das ist mein letzter Funken Hoffnung, den ich in diesem Prozess habe, dass an dieser Stelle zumindest die russischen Interessen und die EU-europäischen und die Interessen anderer Akteure in der Region vielleicht doch in einem Ziel münden; nämlich: dass es den Wiederaufbau des Landes gibt, der natürlich unsererseits an Bedingungen geknüpft sein muss."

Es diskutieren:
Qosay Amer, syrischer Aktivist, u. a. bei "adopt a revolution"
Jürgen Hardt, MdB, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Kristin Helberg, freie Journalistin

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