Jahre des Protests

Rezensiert von Mandy Schielke · 30.06.2013
Was bedeuten die weltweiten Proteste der letzten Jahre für Demokratie, Freiheit und Kapitalismus, wollte der junge kroatische Philosoph Srecko Horvat wissen und befragte einige seiner älteren Kollegen. Das Ergebnis überzeugt vor allem durch Horvats Fragen weniger durch die Anworten.
Srecko Horvat hat sechzehn Interviews geführt, unter anderem mit Francis Fukuyama, Slavoj Zizek, Michael Hardt, Amos Oz oder Stephane Hessel. Und er tat dies zwischen 2008 und 2011, was für das Buch zum Problem geworden ist. Denn alle Vermutungen, wie nachhaltig damals aktuelle Proteste sein könnten, scheinen fürs Erste überholt.

Aus "Occupy" in New York ist keine relevante, dauerhafte Opposition geworden. Und in Ägypten sind jetzt die Muslimbrüder am Ruder und ziehen mittlerweile den Zorn derer auf sich, mit denen sie gemeinsam gegen Hosni Mubarak und sein Regime demonstriert haben.

Trotzdem ist dieses Buch lesenswert, nicht nur wegen der klugen Fragen des jungen kroatischen Philosophen, sondern um der Antworten willen, die weniger auf Aktuelles als auf Grundsätzliches hinweisen wollen, wie er in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe schreibt.

"Wenn also sogar Menschen, wie Hessel und Fukuyama, die auf verschiedenen Seiten des politischen Spektrums stehen, behaupten, dass die Demokratie heute in der Krise ist, dann müssen wir uns tatsächlich die Frage stellen, ob 2011 nicht ein entscheidendes Jahr war, indem endlich die richtige Frage zum richtigen Problem gestellt wurde."

Das Beispiel Barack Obama
Eigentlich sind es zwei Fragen, die Srecko Horvat miteinander verbindet: Welche Alternativen gibt es zum liberalen Kapitalismus? Und wie lässt sich die Krise der repräsentativen Demokratie überwinden? Was er meint, erläutert er am Beispiel Barack Obamas.

Als dieser sich um das Amt des amerikanischen Präsidenten bewarb, besetzten die Aktivisten von Occupy-Wall-Street gerade den Zucotti Park in New York, während die Tea-Party das konservativ-bürgerliche Milieu eroberte. Horvat zitiert, was Obama im Fernsehen dazu sagte.

Barack Obama: "Ich glaube, dass die Menschen sich von ihrer Regierung allein gelassen fühlen. Sie haben das Gefühl, dass die Institutionen sich nicht um sie kümmern."

Srecko Horvat: "Danach sagte er, das Wichtigste, was er als Präsident tun könne, sei – achten Sie jetzt auf diese politische Akrobatik – Solidarität mit den Demonstranten zu zeigen".

Obama: "Das Wichtigste, was wir jetzt tun können, ist, die Menschen wissen zu lassen, dass wir ihre Kämpfe verstehen und dass wir auf ihrer Seite sind."
Horvat: "Das ist, Sie haben es schon erraten, der Kapitalismus mit menschlichem Antlitz."


Ein zynisches Phänomen unserer Zeit sei dieser Kapitalismus mit menschlichem Antlitz - und noch schlimmer als der Kommunismus mit menschlichem Antlitz. Dem pflichtet der Soziologe Raj Patel bei, 1972 in London geboren und einer der jüngeren Interviewpartner.

"Der Kapitalismus erreicht seine Ziele nicht nur mit Zwang, sondern auch mit Einverständnis. Mit Philanthropie schafft der moderne Kapitalismus eine Zustimmung und es ist kein Wunder, dass die Zustimmung dort am stärksten ist, wo die Sicherheitsnetze am schwächsten sind und der Kapitalismus am stärksten ist."

Vom Arabischen Frühling bis zur Occupy Bewegung
Cover: Nach dem Ende der Geschichte© Laika Verlag Hamburg
Für den Leser nichts Konkretes
Das alles klingt sehr kämpferisch und polarisierend - und ist es bisweilen auch. Die Mehrheit der Intellektuellen, die Srecko Horvat in Paris, Zagreb, London, New York oder Tel Aviv getroffen hat, bezeichnet sich selbst als Linksintellektuelle. So sucht der amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Hardt, mit neuen Ansätzen alte Gegensätze zu überwinden.

"Die Krise zwingt uns – oder vielmehr ermöglicht es uns - herauszufinden, wie eine andere Handhabung mit gesellschaftlichem Gut aussehen könnte. Die meisten Kritiker gehen davon aus, dass die Alternativen Keynesianismus oder staatliche Kontrolle sind. Ich finde, wir sollten diesen Binarismus überwinden."

Und schlägt vor, dass Gemeinschaftliche einer Gesellschaft neu zu definieren. Konkretes darf der Leser da nicht erwarten. Es geht doch um Analysen und Theorien. Dem arabischen Frühling, meint Michael Hardt, und den Protesten in Europa oder den USA sei gemeinsam gewesen, dass sie von jungen Leuten ausgelöst und organisiert wurden.

"Und zwar kann man sagen, dass der Kampf gegen den Diktator in Ägypten in einen Kampf gegen die Diktatur der Finanzen in New York übersetzt wurde. Das sind natürlich zwei unterschiedliche Dinge, aber sie können gerade durch die Arbeit der Aktivisten selbst verbunden werden. Es gibt eine globale und internationale Verbindung hinsichtlich der Taktik, der Ziele und der gegenseitigen Einflüsse."

Tariq Ali, britischer Historiker, Schriftsteller und Vietnamkriegsgegner, nennt das System, auf das sich Europa zubewege, einen autoritären Kapitalismus. Ob er auf Dauer auch ohne Demokratie bestehen kann, hält der amerikanische Politologe Francis Fukuyama dagegen noch nicht für ausgemacht und blickt dabei nach China.

"Die richtige Frage ist, wie die Sache in einigen Jahren aussehen wird. Ob China immer noch erfolgreich sein wird. Wenn China dann mächtiger und erfolgreicher ist als die Vereinigten Staaten, werde ich sagen, dass die These vom 'Ende der Geschichte' revidiert werden muss. Aber ich glaube nicht, dass China dahin gelangen wird."

Noch ist die These vom "Ende der Geschichte" nicht bewiesen, nicht sicher, ob sich Freiheit und Demokratie behaupten werden und wie sich der Kapitalismus entwickelt könnte.

Pointiert und strukturiert jedoch führt der junge Philosoph Srecko Horvat durch die Gedankenwelt seiner meist älteren Kollegen. Schade ist, dass er mit Raj Patal nur einen Vertreter der eigenen Generation befragt hat.

Srecko Horvat: Nach dem Ende der Geschichte. Vom Arabischen Frühling bis zur Occupy Bewegung
Laika Verlag Hamburg, März 2013
275 Seiten, 22 Euro
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