Zum 100. Geburtstag von Jack Kerouac

Ikone der Hippies – und Verächter der Hippies

12:02 Minuten
Porträt von Jack Kerouac, der sich lachend ein Sektglas ans Ohr hält.
Der Schriftsteller Jack Kerouac wurde nur 47 Jahre alt. Ein langer Aufenthalt in der Einsamkeit der Berge stellte sich als verheerend für ihn heraus. © imago / ZUMA Wire / Jerry Yulsman
John Wray im Gespräch mit Frank Meyer · 11.03.2022
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Jack Kerouacs "On The Road" inspirierte zwar die Hippies. Diese blieben ihm aber fremd. "Er war gegen alle Jugendbewegungen", sagt John Wray, Autor des Nachworts zur deutschen Neuausgabe von "Engel der Trübsal".
Jack Kerouac war ein Abenteurer, ein schwerer Trinker und vor allem ein sehr einflussreicher Autor: Sein Tramper-Roman "On the Road" war ein Riesenerfolg und hat die Hippie-Bewegung maßgeblich inspiriert. 1969, dem Jahr, in dem die Hippie-Kultur mit dem Woodstock-Festival einen Höhepunkt feierte, ist Kerouac mit nur 47 Jahren gestorben.
Geboren wurde der Beat-Autor am 12. März vor hundert Jahren, weshalb nun, erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt, der autobiografische Roman "Engel der Trübsal" erscheint. Er erzählt von einer entscheidenden Zeit in Kerouacs Leben – der Zeit kurz vor der Veröffentlichung von "On the Road" im September 1957. 

Der Anti-Hippie

Der amerikanisch-österreichische Schriftsteller John Wray hat ein Nachwort für die deutsche Ausgabe "Engel der Trübsal" verfasst. Er hebt das angespannte Verhältnis von Kerouac mit denen hervor, die sein Buch aufsaugten: "Er war ganz gegen alle möglichen Jugendbewegungen, auch gegen die Hippies", sagt Wray. "Obwohl er selber so ein Held der Hippie-Bewegung wurde, wollte er persönlich gar nichts damit zu tun haben. Er fühlte sich sogar persönlich angegriffen."
In den letzten Jahren seines Lebens, geprägt von Paranoia und seiner Alkoholsucht, sei Kerouac immer reaktionärer geworden. "Ab und zu hat man ihn im Fernsehen sehen können, wie er sich deutlich für den Krieg in Vietnam äußert. Er hat sich ziemlich begeistert gezeigt für diese eher konservative Vorstellung von den Vereinigten Staaten, von Amerika als Weltmacht."
Das widerspricht dem Bild von Kerouac in der Öffentlichkeit, wo er als ewiger Rebell gefeiert wurde, als Vorbild all jener, die aus Konvention ausbrechen.

Selbst gewählte Verletzlichkeit

In seinem Nachwort zu "Engel der Trübsal" führt Wray den Niedergang Kerouac mitsamt Sucht und Paranoia auch auf seine Verletzlichkeit zurück, die sich auch in seinem Werk zeige – Wrays Meinung nach nirgends offener als in diesem Roman.
Einerseits sei Kerouac immer sehr bereit gewesen, sich auch öffentlich zu offenbaren, und damit auch, sich verletzlich zu machen, andererseits zeige sich das auch an dem Veröffentlichungsprozess zumindest eines Teils seiner Bücher. "Er hat ja immer behauptet, dass er seine Texte nie überarbeitet, dass er nichts ausbessert, dass der erste Gedanke immer der Beste sei in seinem Fall", sagt Wray.
Straßenansicht mit dem Café Vesuvio und der Buchhandlung City Lights in San Francisco.
Die Buchhandlung City Lights in San Francisco gilt als Geburtsort der Beat-Literatur. Hier traf Jack Kerouac auf Poeten wie Allen Ginsberg oder Gary Snijder, die sein eigenes Schaffen prägten.© picture alliance / imageBROKER / W. Dieterich
Heute wisse man zwar, dass er Bücher wie "On The Road" sehr wohl überarbeitet habe: "Aber es gibt Bücher, wo man wirklich den Eindruck hat, dass er einfach alles, was ihm in den Sinn gekommen ist, was ihm wichtig erschien, einfach in seinen Texten eingebaut hat, ohne viel Hin und Her."
Das sei aus Sicht eines Autors auf jeden Fall ein Wagnis. "Kerouac hat wirklich mit jedem Satz immer wieder alles riskiert. Natürlich muss man das bewundern", sagt Wray.

Brandwächter im Bergwald

"Engel der Trübsal" handelt in seinem ersten Teil von einem Rückzug aus der Zivilisation. Kerouac zog sich zurück in die Einsamkeit einer Bergwaldlandschaft und verdingte sich über Wochen als Brandwächter. Der Rat dazu kam von Freunden, war nach Meinung von Wray aber verheerend für Kerouac.
Dieser habe sich vor allem als junger Mann immer mehr für Buddhismus interessiert, vor allem für Zen-Buddhismus, erklärt Wray, und er habe Leute mit einem ähnlichen Interesse gekannt, etwa den Dichter Gary Snijder: "Es gab Freunde, die das schon vor ihm versucht gehabt haben und die ihm dann gesagt haben: 'Wenn du dich wirklich für Buddhismus interessierst, brauchst du jetzt die Einsamkeit.'"
Man sitze also ganz oben am Gipfel und könne unglaublich weit in alle Richtungen sehen und sei vollkommen alleine, abgesehen von etwas Funkkontakt mit den anderen Wächtern, beschreibt Wray die Situation: "Das war für Gary Snijder, der wohl ein ziemlich ausgeglichener, souveräner Mensch war, vielleicht was Tolles. Aber für Kerouac, der immer mit Depressionen zu kämpfen hatte, mit Gefühlen der Einsamkeit und Wertlosigkeit, ist es einfach kein gutes Rezept."

Erschütternder Blick ins Nichts

Für Jack Kerouac war es eine erschütternde Zeit, sagt Wray. Allen Ginsberg, einer der anderen Hauptfiguren der Beat-Autoren, habe immer gesagt, Kerouac habe sich davon eigentlich nie erholt.
Keroauc habe in der Einsamkeit in sich hinein gehört, aber auch in die Welt hinaus geschaut: "Er hat feststellen müssen, dass dieses Grundprinzip des Zen-Buddhismus wirklich stimmt, dass hinter dem Vorhang sich ein endloses Nichts verbirgt", glaubt Wray. Ironisch sei, dass die Erfahrung als Brandwächter eine Grundvorstellung des Zen-Buddhismus bestätigt habe, aber: "Das war für ihn das Schlimmste, wirklich ein Albtraum", meint Wray.
Deswegen sei er "sofort nach dieser Erfahrung" zurückgeflüchtet in den Katholizismus seiner Jugend.

Letzte Lebensjahre im Haus der Mutter

Im zweiten Teil von „Engel der Trübsal“ erkenne man den klassischen Kerouac aus "On The Road", sagt Wray, aber es werde auch deutlich, dass er sich nicht wieder in diese Beat-Gesellschaft integrieren konnte. "Nach seiner Erfahrung auf dem Berg gelingt es ihm nicht so ganz. Man merkt ein gewisses Scheitern, das, früher oder später, zu etwas Absolutem werden würde", liest der Schreiber des Nachworts aus dem Kerouac-Buch heraus.
"Kerouac zog sich vollkommen aus der Szene und der Öffentlichkeit zurück und verbrachte die letzten Lebensjahre mit seiner alten, strengstens katholischen und höchst konservativen Mutter in ihrem schäbigen Haus", erzählt John Wray.

Jack Kerouac: "Engel der Trübsal"
Aus dem Englischen von Jan Schönherr
Rowohlt, Hamburg 2022
528 Seiten, 26 Euro

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