Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide

"Ich will junge Menschen befähigen, nicht bevormunden"

33:05 Minuten
Mouhanad Khorchide steht in Anzug vor grünen Büschen.
Für seine Ansichten wurde Mouhanad Khorchide vielfach kritisiert, angefeindet und als "Höfling des Islam" beschimpft. © Peter Grewer
Moderation: Annette Riedel · 16.03.2021
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Gott ist barmherzig – das ist das Credo des Islamwissenschaftlers Mouhanad Khorchide. Der Münsteraner Professor und Religionspädagoge wirbt für einen aufgeklärten, zeitgemäßen Islam. Das bringt ihm viel Anerkennung ein, aber auch Feindschaft.
Fragen stellen, das sollen seine Studenten lernen, sagt Mouhanad Khorchide. Auf keinen Fall wolle er als religiöse Autorität auftreten, die theologische Seminare abhalte, in denen alle Antworten bereits feststehen würden.
Doch viele seiner Studenten seien von diesem Auftreten irritiert, so der Professor für islamische Religionspädagogik. In zahlreichen Moscheen wäre diese Art der Ausbildung völlig unüblich.

Nicht als Autorität auftreten

Noch immer erlebe Khorchide, dass Inhalte "in vielen Moscheen, wie auch früher im christlichen Kontext, nur durch Autoritäten vermittelt werden. Meine Studierenden sind erstaunt, wenn sie hören, sie dürften Fragen stellen. Dann sagen sie: 'Das kennen wir aus der Moschee nicht.'"
Seit 2010 bildet Khorchide am Zentrum für Islamische Theologie in Münster Lehrer aus. Die Ausbildung ist staatlich gefördert. Für den Religionspädagogen gehört der Islamunterricht aus den Moscheen in die Schulen. Khorchide sieht sich als Vertreter eines modernen und aufgeklärten Islam.
Die Erziehung von jungen Muslimen zum Fragen und Hinterfragen, ja sogar zum Hadern, das sei in der Ausbildung zum Religionslehrer ein elementarer Baustein:
"Manche verstehen Religiosität als etwas, was man vermittelt, also fertige Antworten, die wir weitergeben an junge Menschen. Ich verstehe die Religiosität allerdings im Sinne der Mündigkeit, dass man sich selbst seine Religiosität aneignet. Das heißt: Meine Aufgabe hier ist, junge Menschen zu befähigen, selber auf die Suche zu gehen, selber die Argumente abzuwägen, sie nicht zu bevormunden. Das gefällt manchen nicht."

Unter Polizeischutz

Für seine Ansichten wurde Khorchide vielfach kritisiert, angefeindet, als "Höfling des Islam" oder als "Häretiker beschimpft.
"Die sagen, du bist ein Häretiker, weil du den Koran nicht wortwörtlich verstehst. Das ist eine Relativierung des Gotteswortes, somit eine Verfälschung. Das gehört bestraft, das muss sogar mit der Todesstrafe bestraft werden."
Bereits 2012 habe man ihn "zur Reue aufgerufen. Im Islam bedeutet das: Man hat drei Tage Zeit, seine Position zu überdenken. Sonst ist man mit dem Tod bedroht", erklärt der Islamwissenschaftler.
Auch von rechter Seite habe er Anfeindungen erlebt. Alles zusammen "ist das der Grund, warum ich seit 2013 unter Polizeischutz lebe", sagt Khorchide.
Wichtig aber sei ihm zu betonen: "Ich verallgemeinere in der Regel nicht. Ich sage nicht: 'Das ist Deutschland. Das sind menschenfeindliche Ideologien, genauso wie der Salafismus.' Wir müssen aufklären. Wir müssen auch nach vorn schauen, den Islam so darstellen und so leben, wie wir ihn uns das vorstellen."

Im Minirock durch Riad

Geboren wurde Mouhanad Khorchide 1971 in Beirut, die Großeltern kamen als palästinensische Flüchtlinge in den Libanon. Weil der Vater in den 1970er-Jahren in Saudi-Arabien eine Arbeit fand, zog die Familie nach Riad. Khorchide erinnert sich an Bilder dieser Zeit, die Mutter im Minirock, Kinos und Bars.
"Saudi-Arabien wurde strenger, in religiöser Hinsicht, erst gegen Ende der 70er-Jahre, im Zuge der iranischen Revolution. Danach hat die Regierung versucht, die Karte der Religion an sich zu ziehen. Damit fing alles an, strenger zu werden."
Mit 18 musste Khorchide das Land verlassen. Was die Eltern ihm damals sagten, könne er bis heute nicht vergessen: "Wir haben kein Land, wir sind staatenlos. Unser einziges Kapital ist die Bildung. Deshalb müsst ihr alle gut gebildet sein, am besten Medizin studieren."
Ein Medizinstudium, so die Überlegung der Eltern, würde man am besten in Deutschland machen. Doch nur für Österreich habe die Familie ein Visum erhalten. Also kam Mouhanad Khorchide 1989 nach Wien, brach das Medizinstudium aber bald wieder ab.

"Als einziger Muslim war ich der Islamexperte"

Zur Theologie gelangte er mehr aus Zufall. Zwischenzeitlich hatte Khorchide angefangen, Soziologie zu studieren, weil er viele Fragen in seinem "Kopf hatte, wie die Gesellschaft funktioniert": "Ich war der einzige Muslim in meiner Gruppe, somit der Islamexperte."
Dabei habe er selber mehr Fragen als Antworten gehabt, erzählt der Religionspädagoge. So sei ihm klar geworden: "Jetzt muss ich das studieren."
Den Abschluss in Islamischer Theologie macht er 2004. Bis heute beschäftige sich Khorchide mit dem Islam aus wissenschaftlich und historischem Interesse. Selbstverständlich habe er für ihn aber auch eine sehr persönliche Bedeutung:
"Seit meiner Kindheit bin ich religiös. Aber auf einer spirituellen Ebene, nicht auf einer juristischen Ebene. Ich habe schon in meiner Kindheit viel mit Gott gesprochen, das mache ich noch bis heute. Ich habe als Kind sogar Briefe an Gott verfasst. So sehe ich mich schon als religiöser Mensch."
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