Islamkritisches Buch für die türkische Community
Mit dem islamkritischen Buch "Ich klage an", für das die aus Somalien stammende niederländische Politikerin Ayaan Hirsi Ali Morddrohungen erhielt, erscheint zum zweiten Mal ein Buch auf Türkisch in einem deutschen Verlag. Die Migrationsforscherin und Autorin von "Die fremde Braut", Necla Kelec, hofft, dass es von der hiesigen türkischen Community wahrgenommen wird.
Dieter Kassel: Frau Kelek, die deutsche Ausgabe von "Ich klage an" ist ja nun sehr erfolgreich. Glauben Sie, dass die türkische Ausgabe auch sehr viele Leserinnen und Leser finden wird?
Necla Kelek: Also das ist eine große Hoffnung von mir. Dieses Buch beschreibt ein Problem und übt Systemkritik aus, was unbedingt geleistet werden muss, um Probleme auch zu lösen, nicht nur darüber zu sprechen. Ich hoffe sehr, dass dieses Buch auch von türkischen Leserinnen und vor allen Dingen auch von Lesern angenommen wird. Aber dazu bedarf es, dass auch die türkischen Medien etwas dafür tun. Ich weiß nicht, wie es diese Frauen sonst erreichen soll. Innerhalb der türkischen Community wird leider sehr wenig gelesen. Wenn gelesen wird, werden türkische Zeitungen, Boulevardzeitungen gelesen. Ich hoffe sehr, dass dieses Buch besprochen wird in diesen Zeitungen, damit es auch diese Frauen und Männer erreicht.
Kassel: Ist das den vorstellbar? Ich kann es als Deutscher nicht verstehen, aber kenne vom Ruf her zum Beispiel "Hürriyet". Ist es denkbar, dass so eine populäre Zeitschrift erstens überhaupt und zweitens positiv über so ein Buch berichtet?
Kelek: Ich habe bis jetzt leider keinen Satz darüber gelesen. Das ist aber meine große Hoffnung. Ich weiß sonst nicht, wie es die Frauen erreichen soll.
Kassel: Nun ist es so, dass - das wissen wir alle - natürlich die Autorin unter Polizeischutz lebt, unter großen Gefahren solche Bücher - das ist ja nicht ihre einzige Veröffentlichung - schreibt. Wir haben zum Beispiel versucht, mit den Übersetzerinnen zu sprechen. Das Buch ist aus dem Niederländischen ins Türkische übersetzt worden. Zwei Frauen haben das gemacht, die unter Pseudonymen arbeiten und nicht wollen, dass man weiß, wer sie sind. Ist es wirklich auch mitten in Europa so gefährlich, so etwas so offen zu sagen?
Kelek: Also ich sehe das nicht so dramatisch. Ich finde, dass, wenn wir alle zusammen sagen, dass es ein Problem dieser Gesellschaft, und auch jetzt die deutschen Medien, das Fernsehen, alle dazu stehen, dass das Problem offen diskutiert werden muss, dann besteht ja diese Gefahr nicht. Solange man aber dieses so hält, dass diese Frauen - ich gehöre auch dazu -, dass wir etwas Falsches machen, dass wir schlecht über unsere Landsleute sprechen, solange das so diskutiert wird - auch innerhalb dieser türkischen Gesellschaft ist es ja leider so -, hat man diesen Eindruck. Aber wenn ganz offen und ehrlich über Probleme gesprochen wird, dann, denke ich, wird das auch weniger werden. Es darf nicht als etwas Exotisches dargestellt werden. Es muss als ein Problem dieser Gesellschaft dargestellt werden. Es sind nicht die Probleme der Migranten, sondern das Problem dieser Gesellschaft.
Kassel: Wie wird es denn von der türkischen Community, wie man sie immer nennt, in Deutschland empfunden, dass ja doch Überfälle wie Zwangsheirat, über Ehrenmorde unter den Deutschen, in den deutschen Medien, wenn vielleicht auch seit sehr kurzer Zeit, sehr intensiv geredet wird? Empfindet man das eher als Einmischung?
Kelek: Es ist so, dass ich erlebe, dass zwei Drittel der türkischen Community positive Reaktionen geben. Es sind wenige, die sich furchtbar darüber aufregen, warum diese Probleme plötzlich so offen besprochen werden. Es wird mir zum Beispiel vorgeworfen, ich würde nur berühmt werden wollen. Es wird nicht das Problem an sich gesehen, wo man eine Ursachenforschung betreiben muss, um etwas zu verändern und zu verbessern. Es geht auch nicht um soziale Verantwortung. Viele der Amtsträger - die kritisiere ich am stärksten und am meisten - behaupten, so etwas gehört nicht in die Öffentlichkeit. Ich sage, was direkt in den Familien mit Frauen und Kindern passiert, gehört in die Öffentlichkeit. Das ist ja ein Teil der Gesellschaft, genau wie Frau Ali in Ihrem Kommentar das gesagt hat, der Islam wird am strengsten in den Familien ausgeübt, und davon sind Frauen und Kinder betroffen. Dieses muss in die Öffentlihckeit.
Kassel: Frau Ali wird in diesem Buch und in ihren sonstigen Äußerungen sehr deutlich. Sie gehört auch zu den Kritikerinnen des Islam, die da nicht so richtig abwägen und die wirklich sagen, das und das steht wirklich im Koran, das kann man so auslegen, und es wird so ausgelegt. Sie haben das Buch ja gelesen. Ist es für Ihren Geschmack an manchen Stellen so radikal?
Kelek: Nein. Es ist offen ausgesprochen und es ist die Wahrheit. Es gibt natürlich auch die andere Wahrheit, dass diese Religion auch sehr liebevoll und nicht so radikal und rigide gelebt werden muss, aber das darf nicht dem Zufall oder dem Einzelnen überlassen werden. Was sie kritisiert, ist ja, dass an sich bis jetzt keine Aufklärung innerhalb dieser Religion stattgefunden hat. Es muss aber eine Aufklärung stattfinden. Es muss von Bürgerrechten gesprochen werden. Es darf nicht das Gottesgesetz in den Familien herrschen, sondern das Gesetz eines aufgeklärten Landes. Diese Gesetze müssen diese Familien erreichen, und es ist eben nicht so, dass alle Familien sich danach richten, sondern anarchistisch diese Religion für sich selbst interpretieren, und sie sagt ganz klar, dass es bestimmte Stellen im Koran gibt, die dieses legitimieren, und das muss reformiert werden, sonst geht es nicht anders.
Kassel: Wie groß schätzen Sie denn das Problem tatsächlich in Deutschland ein? Man hat ja in den Medien immer diesen Effekt, zuerst wird gar nicht darüber geredet, dann hält man das für Einzelfälle, dann wird wieder jeden Tag darüber geredet, dann denkt man, jeder Türke ist so. Wie viele Menschen, glauben Sie, die in Deutschland leben, haben das Problem, dass Zwangsheiraten stattfinden, dass Frauen in der Wohnung quasi festgehalten werden? Wie groß ist das Problem?
Kelek: Also ich spreche immer von arrangierten Verheiratungen, also arrangierte Ehen. Die setze ich aber gleich mit Zwangsverheiratungen, weil ich sage, es gibt kein selbstbestimmtes Leben. Ich sage, wenn jetzt 2,6 Millionen Migranten in Deutschland sind, dass die Hälfte in der Parallelgesellschaft leben, und innerhalb dieser Parallelgesellschaft gibt es diese Form der arrangierten Ehe, der Zwangsverheiratung, Ehrenmorde und alles, was eben miteinander zusammenhängt. Die andere Hälfte lebt ganz normal wie jeder Bürger auch, nimmt Bürgerrechte in Anspruch. Von diesen Menschen spreche ich nicht, aber von der anderen Hälfte müssen wir sprechen, und so viele sind es. Es ist die Hälfte.
Kassel: Nun haben wir gerade gehört, dieses Buch "Ich klage an" ist das zweite überhaupt, dass in Deutschland für in Deutschland lebende Türken auf Türkisch erscheint. Sie haben selbst das Buch geschrieben "Die fremde Braut", wo es auch um diese arrangierten Ehen geht, auch auf Deutsch sehr erfolgreich. Würden Sie sich wünschen, dass es dieses Buch bald auf Türkisch gibt?
Kelek: Ja, das wünsche ich mir, aber dafür muss ein Fundament geschaffen werden, wo eine konstruktive Auseinandersetzung stattfinden kann. Noch ist alles sehr emotional. Noch sind es gerade die, die in Ämtern sitzen, auch die türkischen Migranten, die in den Ämtern sitzen, die sich wehren. Auch die türkischen Medien wehren sich dagegen, dass eine offene Diskussion darüber stattfindet, um die Menschen aufzuklären. Sie verhindern ja gerade, dass eine Aufklärung stattfindet, weil sie ihre eigene Politik, die sie bis jetzt gemacht haben, dass das Positive nach außen kommen muss, verteidigen muss. Es ist ein falscher Weg, und es ist kein ehrlicher Weg. Wir müssen das Problem als unser gemeinsames Problem ansehen und in der Öffentlichkeit besprechen. Ich bin so froh, dass die Medien endlich Interesse gefunden haben und sehen, dass es auch ein Problem. Wenn Sie in Kreuzberg, Wedding, Neukölln sind, aber auch in kleineren Städten, dort haben sich Parallelgesellschaften gebildet. Das ist doch selbstverständlich, dass jetzt endlich darüber gesprochen wird, weil wir angefangen haben, darüber zu sprechen aus dieser Gesellschaft heraus.
Kassel: Vielen Dank für das Gespräch.
Necla Kelek: Also das ist eine große Hoffnung von mir. Dieses Buch beschreibt ein Problem und übt Systemkritik aus, was unbedingt geleistet werden muss, um Probleme auch zu lösen, nicht nur darüber zu sprechen. Ich hoffe sehr, dass dieses Buch auch von türkischen Leserinnen und vor allen Dingen auch von Lesern angenommen wird. Aber dazu bedarf es, dass auch die türkischen Medien etwas dafür tun. Ich weiß nicht, wie es diese Frauen sonst erreichen soll. Innerhalb der türkischen Community wird leider sehr wenig gelesen. Wenn gelesen wird, werden türkische Zeitungen, Boulevardzeitungen gelesen. Ich hoffe sehr, dass dieses Buch besprochen wird in diesen Zeitungen, damit es auch diese Frauen und Männer erreicht.
Kassel: Ist das den vorstellbar? Ich kann es als Deutscher nicht verstehen, aber kenne vom Ruf her zum Beispiel "Hürriyet". Ist es denkbar, dass so eine populäre Zeitschrift erstens überhaupt und zweitens positiv über so ein Buch berichtet?
Kelek: Ich habe bis jetzt leider keinen Satz darüber gelesen. Das ist aber meine große Hoffnung. Ich weiß sonst nicht, wie es die Frauen erreichen soll.
Kassel: Nun ist es so, dass - das wissen wir alle - natürlich die Autorin unter Polizeischutz lebt, unter großen Gefahren solche Bücher - das ist ja nicht ihre einzige Veröffentlichung - schreibt. Wir haben zum Beispiel versucht, mit den Übersetzerinnen zu sprechen. Das Buch ist aus dem Niederländischen ins Türkische übersetzt worden. Zwei Frauen haben das gemacht, die unter Pseudonymen arbeiten und nicht wollen, dass man weiß, wer sie sind. Ist es wirklich auch mitten in Europa so gefährlich, so etwas so offen zu sagen?
Kelek: Also ich sehe das nicht so dramatisch. Ich finde, dass, wenn wir alle zusammen sagen, dass es ein Problem dieser Gesellschaft, und auch jetzt die deutschen Medien, das Fernsehen, alle dazu stehen, dass das Problem offen diskutiert werden muss, dann besteht ja diese Gefahr nicht. Solange man aber dieses so hält, dass diese Frauen - ich gehöre auch dazu -, dass wir etwas Falsches machen, dass wir schlecht über unsere Landsleute sprechen, solange das so diskutiert wird - auch innerhalb dieser türkischen Gesellschaft ist es ja leider so -, hat man diesen Eindruck. Aber wenn ganz offen und ehrlich über Probleme gesprochen wird, dann, denke ich, wird das auch weniger werden. Es darf nicht als etwas Exotisches dargestellt werden. Es muss als ein Problem dieser Gesellschaft dargestellt werden. Es sind nicht die Probleme der Migranten, sondern das Problem dieser Gesellschaft.
Kassel: Wie wird es denn von der türkischen Community, wie man sie immer nennt, in Deutschland empfunden, dass ja doch Überfälle wie Zwangsheirat, über Ehrenmorde unter den Deutschen, in den deutschen Medien, wenn vielleicht auch seit sehr kurzer Zeit, sehr intensiv geredet wird? Empfindet man das eher als Einmischung?
Kelek: Es ist so, dass ich erlebe, dass zwei Drittel der türkischen Community positive Reaktionen geben. Es sind wenige, die sich furchtbar darüber aufregen, warum diese Probleme plötzlich so offen besprochen werden. Es wird mir zum Beispiel vorgeworfen, ich würde nur berühmt werden wollen. Es wird nicht das Problem an sich gesehen, wo man eine Ursachenforschung betreiben muss, um etwas zu verändern und zu verbessern. Es geht auch nicht um soziale Verantwortung. Viele der Amtsträger - die kritisiere ich am stärksten und am meisten - behaupten, so etwas gehört nicht in die Öffentlichkeit. Ich sage, was direkt in den Familien mit Frauen und Kindern passiert, gehört in die Öffentlichkeit. Das ist ja ein Teil der Gesellschaft, genau wie Frau Ali in Ihrem Kommentar das gesagt hat, der Islam wird am strengsten in den Familien ausgeübt, und davon sind Frauen und Kinder betroffen. Dieses muss in die Öffentlihckeit.
Kassel: Frau Ali wird in diesem Buch und in ihren sonstigen Äußerungen sehr deutlich. Sie gehört auch zu den Kritikerinnen des Islam, die da nicht so richtig abwägen und die wirklich sagen, das und das steht wirklich im Koran, das kann man so auslegen, und es wird so ausgelegt. Sie haben das Buch ja gelesen. Ist es für Ihren Geschmack an manchen Stellen so radikal?
Kelek: Nein. Es ist offen ausgesprochen und es ist die Wahrheit. Es gibt natürlich auch die andere Wahrheit, dass diese Religion auch sehr liebevoll und nicht so radikal und rigide gelebt werden muss, aber das darf nicht dem Zufall oder dem Einzelnen überlassen werden. Was sie kritisiert, ist ja, dass an sich bis jetzt keine Aufklärung innerhalb dieser Religion stattgefunden hat. Es muss aber eine Aufklärung stattfinden. Es muss von Bürgerrechten gesprochen werden. Es darf nicht das Gottesgesetz in den Familien herrschen, sondern das Gesetz eines aufgeklärten Landes. Diese Gesetze müssen diese Familien erreichen, und es ist eben nicht so, dass alle Familien sich danach richten, sondern anarchistisch diese Religion für sich selbst interpretieren, und sie sagt ganz klar, dass es bestimmte Stellen im Koran gibt, die dieses legitimieren, und das muss reformiert werden, sonst geht es nicht anders.
Kassel: Wie groß schätzen Sie denn das Problem tatsächlich in Deutschland ein? Man hat ja in den Medien immer diesen Effekt, zuerst wird gar nicht darüber geredet, dann hält man das für Einzelfälle, dann wird wieder jeden Tag darüber geredet, dann denkt man, jeder Türke ist so. Wie viele Menschen, glauben Sie, die in Deutschland leben, haben das Problem, dass Zwangsheiraten stattfinden, dass Frauen in der Wohnung quasi festgehalten werden? Wie groß ist das Problem?
Kelek: Also ich spreche immer von arrangierten Verheiratungen, also arrangierte Ehen. Die setze ich aber gleich mit Zwangsverheiratungen, weil ich sage, es gibt kein selbstbestimmtes Leben. Ich sage, wenn jetzt 2,6 Millionen Migranten in Deutschland sind, dass die Hälfte in der Parallelgesellschaft leben, und innerhalb dieser Parallelgesellschaft gibt es diese Form der arrangierten Ehe, der Zwangsverheiratung, Ehrenmorde und alles, was eben miteinander zusammenhängt. Die andere Hälfte lebt ganz normal wie jeder Bürger auch, nimmt Bürgerrechte in Anspruch. Von diesen Menschen spreche ich nicht, aber von der anderen Hälfte müssen wir sprechen, und so viele sind es. Es ist die Hälfte.
Kassel: Nun haben wir gerade gehört, dieses Buch "Ich klage an" ist das zweite überhaupt, dass in Deutschland für in Deutschland lebende Türken auf Türkisch erscheint. Sie haben selbst das Buch geschrieben "Die fremde Braut", wo es auch um diese arrangierten Ehen geht, auch auf Deutsch sehr erfolgreich. Würden Sie sich wünschen, dass es dieses Buch bald auf Türkisch gibt?
Kelek: Ja, das wünsche ich mir, aber dafür muss ein Fundament geschaffen werden, wo eine konstruktive Auseinandersetzung stattfinden kann. Noch ist alles sehr emotional. Noch sind es gerade die, die in Ämtern sitzen, auch die türkischen Migranten, die in den Ämtern sitzen, die sich wehren. Auch die türkischen Medien wehren sich dagegen, dass eine offene Diskussion darüber stattfindet, um die Menschen aufzuklären. Sie verhindern ja gerade, dass eine Aufklärung stattfindet, weil sie ihre eigene Politik, die sie bis jetzt gemacht haben, dass das Positive nach außen kommen muss, verteidigen muss. Es ist ein falscher Weg, und es ist kein ehrlicher Weg. Wir müssen das Problem als unser gemeinsames Problem ansehen und in der Öffentlichkeit besprechen. Ich bin so froh, dass die Medien endlich Interesse gefunden haben und sehen, dass es auch ein Problem. Wenn Sie in Kreuzberg, Wedding, Neukölln sind, aber auch in kleineren Städten, dort haben sich Parallelgesellschaften gebildet. Das ist doch selbstverständlich, dass jetzt endlich darüber gesprochen wird, weil wir angefangen haben, darüber zu sprechen aus dieser Gesellschaft heraus.
Kassel: Vielen Dank für das Gespräch.