Islam

Religiöse Bildung stärkt säkulare Gesellschaft

Ein Islamlehrer mit Schülern der ersten Klasse beim islamischen Religionsunterricht.
Welche Rolle spielt die religiöse Bildung an Schulen? © dpa / picture alliance / Roland Holschneider
Von Ahmad Milad Karimi · 22.03.2016
Religiöse Bildung an Schulen und Universitäten unterläuft nicht die säkulare Gesellschaft. Das meint Ahmad Milad Karimi. Der Islamwissenschaftler sieht die Zivilgesellschaft so eher gestärkt - und zwar durch Pluralität und Orientierungshilfe.
Eine Gesellschaft wird nicht allein von Institutionen, Parteien und Gesetzen zusammengehalten, vielmehr auch von der Gesamtheit jener Erfahrungen, mit der sich eine Gesellschaft identifiziert: von Werten und Kultur, mithin von Religionen.
Dabei bildet die Freiheit das konstitutive Moment einer gelingenden Gegenwart, die ihr nicht einfach additiv hinzukommt, sondern das bewegende Moment für den innersten Zusammenhalt einer Gesellschaft, einer demokratischen Mehrheitsgesellschaft darstellt. Zu dieser Freiheit gehört auch das religiöse Moment.
Wie sehr auch heute Religionen als Massenveranstaltungen Konjunktur feiern, so ist es kein Geheimnis, dass sie allesamt um ihre je eigene Krise ringen. Aber hier geht es um eine doppelte Krise. Auch das Selbstverständnis des Staates ist mit herausfordernden Fragen verstrickt, wie es sich zu Weltanschauungen verhält.
Laizismus scheitert an Religion
Religion aus der Öffentlichkeit und dem Bildungsgefüge zu verbannen, wie es laizistische Staaten praktizieren, scheint gescheitert zu sein. In Frankreich beispielsweise verfremdet der Laizismus auf zweifache Weise sich selbst und die Religion. Erstens, indem das Religiöse sich eben nicht als Privatsache erweist und zweitens, indem religiöse Bildung mangelhaft wird.
Warum aber sollte auf Ressourcen verzichtet werden, die Sinn stiften, zum Guten anleiten, individuelle Orientierung schaffen und inneren Frieden sichern? Gerade eine säkulare Gesellschaft ist ein Erfolgsmodell, wenn sie die Trennung zwischen Staat und Religion nicht als Scheidung und gegenseitige Verbannung begreift.
Religionen werden vernachlässigt oder völlig abgelehnt, weil ihre aggressiven, intoleranten Ausprägungen abschrecken. Dabei sind sie – und insbesondere der Islam – unerschöpfliche, spirituelle und ethische Quellen für eine nachhaltige Entwicklung.
Spirituelle Quellen ermöglichen Nachhaltigkeit
Sie inspirieren jenseits wirtschaftlicher Produktivität zu Verzicht und Rückzug, verleihen dem scheinbar Sinnlosen einen Sinn: dem Leid, dem Scheitern, dem Altern. Und geben den Verletzten, Ausgegrenzten und Geflüchteten eine Stimme.
Bei der Vermittlung von Werten sind nicht nur genuin religiöse Einrichtungen, sondern allen voran der Religionsunterricht und die theologische Bildung Schlüsselfiguren. Denn Religionen können missbraucht werden, weil sie selbst keine Subjekte sind.
Sich vom Missbrauch zu distanzieren und ihn zu verurteilen, setzt durchaus Zeichen, bleibt aber oberflächlich. Unwissenheit und Traditionsbruch lassen sich nicht durch Einträge auf Wikipedia und Selbststudium ausgleichen. Denn religiöses Verständnis will gelernt und religiöses Wissen professionell vermittelt sein.
Religiöse Bildung vermittelt Meinungspluralität
Der islamische Religionsunterricht an Schulen und die Akademisierung der islamischen Selbstauslegung an deutschen Universitäten sind nämlich weitblickende Projekte, weil sie aus der eigenen Tradition heraus Sinn und Verständnis für Meinungspluralität vermitteln.
Sie mobilisieren Potenziale, die mehr denn je benötigt werden, um nachbarschaftlichen Frieden zu stiften. Dabei wird weder der Staat religiös eingefärbt, noch Religion verstaatlicht. Vielmehr gibt religiöse Bildung der säkularen Gesellschaft die besondere Note.
Marginalisierung hemmt Religion, sich für gesamtgesellschaftliche Fragen fruchtbar einzubringen. Muslime, die aus der Mitte dieser säkularen Gesellschaft heranwachsen, sind meistens eingebunden in Gesten der Verteidigung, in Klarstellungen und Distanzierungen oder als Partner für Sicherheit und Integration.
Kaum hörbar ist die islamische Stimme als Ideengeber für politische, gesellschaftliche, ethische und intellektuelle Debatten. Damit bleibt der Islam Thema, aber nicht als Quelle für Nachhaltigkeit, sondern als Objekt der Anschauung.
Islamische Theologie an den deutschen Universitäten will nicht brave Stimmen hervorbringen, die ausschließlich praxisorientiert mit allen gegenwärtigen Zuständen Schritt halten. Vielmehr bildet sie vor allem authentische, provokante und herausfordernde Akteure aus.
Ahmad Milad Karimi, geboren 1979 in Kabul; Studium der Philosophie und Islamwissenschaft an der Universität Freiburg; seit dem Wintersemester 2012/2013 Professor für Kalām, islamische Philosophie und Mystik an der Universität Münster. Zuletzt erschienen von ihm "Die Blumen des Koran oder: Gottes Poesie".
Der Islamwissenschaftler und Philosoph Milad Karimi
Der Islamwissenschaftler und Philosoph Milad Karimi© Peter Grewer
Mehr zum Thema