Religionsunterricht

Wie Schule religiöser Konfrontation vorbeugt

Ein Islamlehrer mit Schülern der ersten Klasse beim islamischen Religionsunterricht.
Der Lehrer Timur Kumlu unterrichtet an der Henri-Dunant-Schule in Frankfurt am Main (Hessen) © dpa / picture alliance / Roland Holschneider
Von Boris Kalbheim · 13.01.2016
Der Pädagoge Boris Kalbheim lobt den Religionsunterricht in deutschen Schulen. Er benennt die Vorzüge gegenüber dem laizistischen und dem multikulturellen Unterricht in Frankreich und Großbritannien.
Es geht eine Angst um, den Deutschen könnte es wie den Franzosen und Briten ergehen. Paris und London erlebten terroristische Anschläge. Versucht worden sind sie ja hierzulande bereits.
Auch Deutschland hat eine militant-islamistische Szene. Auch von hier sind junge Leute ins irakisch-syrische Krisengebiet gereist und als trainierte Kämpfer zurückgekehrt. Und nunmehr fliegt auch die Bundeswehr im alliierten Geschwader gegen die Truppen des "IS". So gesehen würde die Gleichung logisch erscheinen: wer gegen religiös gefärbte Gewalt kämpft, holt sich erst recht den Terror ins eigene Land.
Sollte Deutschland demnach innenpolitisch reagieren wie seine Nachbarn? Frankreich hat scharfe Sicherheitsgesetze, Vorratsdatenspeicherung und eine Polizei, die recht handfest vorgeht; England bewacht seine Küsten und den Kanaltunnel mit neuester Technik.
Laizismus hat Frankreich nichts gebracht
Doch so einfach ist es nicht: Die Täter von Paris und London waren keine Ausländer, sondern Bürger mit französischem oder britischem Pass. Trotz britischer Erziehung, trotz französischer Muttersprache haben sie sich gegen die Gesellschaft gestellt, in der sie aufgewachsen sind, bis hin zum Tod.
Vielleicht ist ja die Schule das eigentliche Problem, vielleicht wurden dort ja soziale Ideologien weitergegeben, die radikalen, gewaltbereiten Gruppen in die Hände gespielt haben. Deutschland hat es anders gemacht: es bietet Religionsunterricht, es prüft Curricula, es bildet an Hochschulen evangelische, katholische und muslimische Lehrer aus. Es bietet religiöse Bildung an und folgt doch dem Gebot staatlicher Neutralität.
Die französische Schule ist, entgegen aller Beteuerungen, ideologisch ausgerichtet - geprägt von einem Laizismus, der nicht nur Religion vom Staat trennt, sondern aus dem sozialen Miteinander verbannt. Der Schüler wird gegen Religion unterrichtet.
Britische Schulpädagogik geht weniger konfrontativ vor, folgt einem multikulturellen und multireligiösen Ansatz. Doch fördert sie ebenso wenig ein Miteinander. Stattdessen übersieht sie die Unterschiede zwischen den Religionen.
In Deutschland hat der konfessionelle Religionsunterricht eine lange Tradition. Und bis heute ist dieses Privileg, aber auch Form und Inhalt des Unterrichts umstritten. Wesentlich aber scheint mir, an eine Kehrtwende zu erinnern, welche die katholischen Bischöfe bereits vor 40 Jahren gemacht haben.
Deutschland hat Religionsunterricht reformiert
Sie gaben dem Religionsunterricht ein neues Fundament. Seither soll er nicht mehr eine religiöse Richtung in die Schule bringen, sondern zur Allgemeinbildung beitragen; nicht einen Glauben unterweisen, sondern Begegnung ermöglichen. Schüler lernen etwas über Weltanschauungen, nicht als Wahrheit, sondern als Teil der Wirklichkeit. So wird Meinungsaustausch zum Programm.
Dieser Einstellung wegen konnte Religionsunterricht seinen Platz in der Schule behaupten. Und die Saat trägt heute gesellschaftliche Früchte: Während der Islam in Frankreich offiziell kaum wahrgenommen und eingebunden wird, entwickelt der deutsche Staat auch Beziehungen zum Islam – nach dem Vorbild der Zusammenarbeit mit christlichen Kirchen und jüdischen Körperschaften.
Diese Tradition entstand nicht ohne Brüche und Fehler. Und doch half sie, ein besseres Gefühl für Religion zu lehren, auch dem, der nicht religiös ist. Diesen Erfolg sollten wir Deutsche gerade jetzt wertschätzen.
Ja, es ist dringend Zeit, das schulische Angebot weiterzuentwickeln – den christlichen wie den islamischen Religionsunterricht, aber auch allgemeine Lehreinheiten, um nicht konfessionell gebundene Schüler einzubeziehen. Niemand muss religiös leben, aber jedermann sollte um Religionen wissen – und sich mit eigener, fremder und gemeinsamer Ethik auseinandersetzen.
Boris Kalbheim, 48, hat in Deutschland und Frankreich Theologie studiert, war wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Niederlanden und ist gegenwärtig akademischer Rat für die Lehrerausbildung an der Universität Würzburg.
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