Isamu-Noguchi-Retrospektive in Köln

Politisch, polarisierend und humorvoll

Ein Wandrelief von Isamu Noguchi.
Zwischen 1933 und 1937 entwickelte Noguchi Entwürfe für öffentliche Plätze, wie hier für den Abelardo L. Rodríguez Markt in Mexico-City. © The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum/VG Bild-Kunst, Bonn 2022 / Foto: Rafael Gamo
Von Susanne Luerweg |
In Europa galten Isamu Noguchis Arbeiten lange Zeit als zu kommerziell und zu wenig künstlerisch, dabei hat er sich zeit seines Lebens mit sozialen und gesellschaftlichen Fragen beschäftigt. Jetzt zeigt das Museum Ludwig eine umfassende Retrospektive.
Köpfe, Büsten, Porträts stehen aufgereiht auf einem Brett. Es sind Partnerinnen und Partner, Weggefährtinnen und -gefährten von Isamu Noguchi. Geformt sind sie aus Terrakotta, Marmor, Bronze – mittendrin ein schwarzes Wesen.
„Dann ist da auch eine Radionurse, also eine Art Krankenschwester, die als Babyfon dient und die er aus Bakelit gefertigt hat. Er hat an technologischen Fortschritt geglaubt, hat immer wieder neue Materialien ausprobiert, und diese Radionurse von 1929 steht eben auch in dieser Reihe der Porträts und schaut den Betrachter an“, sagt Rita Kersting, Kuratorin der Kölner Ausstellung.

In Noguchis Augen war alles Skulptur

Sie versteckt die kommerziellen Arbeiten des Künstlers nicht, sondern stellt sie ganz selbstverständlich neben die Skulpturen aus Holz und Stein. Das dürfte ganz im Sinne Noguchis sein, in dessen Augen alles Skulptur war, der seine gesamte Kunst in Beziehung zur Gesellschaft sah.
Kinder der Gemeinschaftsgrundschule Diesterweg auf der "Play Sculpture 1965/2021" von Isamu Noguchi
Kinder der Gemeinschaftsgrundschule Diesterweg auf der "Play Sculpture 1965/2021" von Isamu Noguchi© The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum / VG Bild-Kunst, Bonn 2022 / Foto: Rheinisches Bildarchiv, Köln, Marleen Scholten
„Sein Werk ist politisch, ist innovativ, ist wunderschön", sagt Kersting, "und es ist nicht akademisch in dem Sinne, dass man sehr viel Kenntnisse und intellektuelles Wissen benötigt, um diesen Werken zu begegnen.“ Ein kulturhistorischer Hintergrund ist nicht nötig. Die Besucherinnen und Besucher können die Skulpturen ohne Vorwissen genießen.
„Wir präsentieren sie hier fast wie drei Säulen, die das Universum Noguchi mitgeformt haben", erklärt die Kuratorin. "Das ist Constantin Brâncuși, der rumänische Bildhauer in Paris. Das ist Martha Graham, die Choreografin und es ist Buckminster Fuller, der Erfinder und Ingenieur.“

Die Ausstellung über den Künstler Isamu Noguchi im Museum Ludwig in Köln ist noch bis zum 31. Juli 2022 zu sehen. 

Tisch und Skulptur in einem

Viele der Arbeiten sind von großer Schönheit, man will sie berühren, mit ihnen in Kontakt treten. Viele wirken spielerisch und schmerzhaft zugleich, wie die im Zentrum stehenden "Interlocking Sculptures" – ineinander verschränkte Gebilde, die an Knochen erinnern, an Glieder, die leidvoll und lustvoll miteinander verwoben sind.
Isamu Noguchis Akari-Leuchten.
Isamu Noguchis Akari-Leuchten.© The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum/VG Bild-Kunst, Bonn 2022 / Foto: Courtesy of the Kagawa Museum
„Die stehen hier auf weißen Plateaus, wunderschöne, fragile, aber auch lustige Skulpturen. Der Tisch ‚Coffee Table‘, den man von Noguchi kennt. Die Füße, auf denen die Glasplatte aufliegt, sind auch interlocking. Und deshalb haben die einfach unheimlich viel miteinander zu tun. Man sieht, wie selbstverständlich so ein Tisch auch eine Skulptur ist, auch wenn man keine Kaffeetasse drauf abstellen kann.“

Wandeln zwischen zwei Welten

Isamu Noguchi wurde als Sohn einer US-amerikanischen Mutter und eines japanischen Vaters 1904 in Los Angeles geboren. Der Vater verließ die Familie schon vor der Geburt des Kindes. Seine Mutter zog mit ihm dennoch nach Japan, damit er die Tradition, die Kunst des von ihr so verehrten Landes kennenlernt. Dieses Leben zwischen zwei Welten habe seine Arbeiten geprägt, glaubt Yilmaz Dziewior, Direktor des Kölner Museum Ludwig:
Dieses Wandeln zwischen den Welten findet sich auch in seinem Werk wieder. Trotzdem ist es dieser Versuch oder dieser Wunsch bei ihm, ein ganz menschlicher Wunsch, sich selber zu verorten. Und wenn wir uns die heutige Zeit anschauen mit dem Erstarken von Nationalstaatlichkeit, da wird noch mal bewusst, wie wichtig es eigentlich ist, gerade diese ambivalenten Positionen wie Isamu Noguchis, der zwischen den Welten wandelt, der sich nicht festschreiben lässt, zu präsentieren.“

Noguchi ließ sich freiwillig internieren

Nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor wurden mehr als 100.000 in Amerika lebende Japanerinnen und Japaner in Camps gesteckt. Noguchi hat sich selbst interniert, obwohl er als New Yorker nicht betroffen war.
„Wie Gesellschaft, wie Politik, wie in seinem konkreten Fall auch Krieg oder die Möglichkeit von Krieg verhandelt wird, macht diese Ausstellung natürlich auch sehr aktuell“, sagt Yilmaz Dziewior. Wie aktuell, das zeigt vor allem die Arbeit „Memorial to Men“, mit der die Ausstellung endet: Eine Projektion. Ein Gesicht aus Punkt, Punkt, Komma, Strich. Es zeigt die Erde, nachdem sich die Menschheit durch die Atombombe selbst zerstört hat.
Schwarzweißfoto von Isamu Noguchi, eine leuchende Skulptur haltend.
Isamu Noguchi mit seiner "Study for Luminous Plastic Sculpture", 1943.© The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum/VG Bild-Kunst, Bonn 2022 / Foto: Eliot Elisofon
„Und es ist fast erschreckend zu sehen, gerade im Hinblick auf die Bedrohung durch Atomwaffen, wie aktuell das Werk ist. Die Erfahrung von Hiroshima und die Bilder, die es von Noguchi und seine Zitate, die es zu diesem städtischen Friedhof gibt, die erinnern an Mariupol“, meint Rita Kersting.

Späte Würdigung eines großen Künstlers

Und es wird klar: Isamu Noguchi war an vielen Stellen seiner Zeit voraus, passte in keine Schublade und war wegen seiner kommerziell erfolgreichen Designarbeiten zu Unrecht so lange verpönt. Er arbeitete interkulturell und interdisziplinär, war politisch und dennoch humorvoll. Der Vorwurf, seine Arbeiten hätten nicht die Tiefe eines Picasso oder Giacometti, widerlegt die Kölner Ausstellung mit großer Verve. Auch wenn ein nach Noguchis Vorstellungen gestalteter Garten fehlt, zeigt die Schau doch ein umfassendes Bild des Künstlers.
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