ISAF-Einsatz

Was es bedeutet, Soldat zu sein

Bundeswehrsoldaten in Kundus
Bundeswehrsoldaten in Kundus © dpa / picture-alliance / Michael Kappeler
Von Nana Brink  · 20.09.2014
Er fährt Patrouille, reinigt Waffen, schwitzt: Als Reservist begleitete Gregor Weber die deutschen ISAF-Truppen in Kundus – und schrieb darüber ein Buch. Ein anderer Band porträtiert deutsche Kriegsveteranen nach ihrem Afghanistan-Einsatz.
Eigentlich hat Gregor Weber ein bequemes Leben, wie er freimütig bekennt. Er ist "Autor, Schauspieler (viele kennen ihn als Tatort-Kommissar aus dem Saarland), Koch, Ehemann, Vater, Deutscher Wohlstandsbürger, Winkelbewohner, Wiesenspazierer". Und diesen sticht plötzlich der Hafer und er spaziert aus seinem Winkel heraus, - nach Afghanistan.
Vier Monate lang begleitet der Reservist Gregor Weber 2013 als Presse-Feldwebel die deutschen ISAF-Truppen in Kundus, fährt mit ihnen auf Patrouille, reinigt seine Waffen, schwitzt bei 45 Grad auf den staubigen Straßen, schreibt Briefe an die Familie, hat Angst, Heimweh und Hoffnung.
Warum tut man das? Freiwillig? Weil der Autor Weber weiß, dass ihm jeder diese Frage stellen würde – nicht nur zuhause – liefert er die Antwort gleich zu Beginn: "Weil ich nicht muss". Und nimmt sich ein paar Seiten Zeit, eine sehr moralische Begründung zu geben: Die Kriege auf dem Balkon, der Völkermord in Ruanda und schließlich der Einsatz in Afghanistan haben den Wohlstandsbürger Weber zu der Erkenntnis gebracht, "dass man sich als Deutscher nicht heraushalten kann". Und auch auf diese Frage ist er natürlich vorbereitet: Hat der Einsatz denn was gebracht in Afghanistan?
Gregor Weber: Krieg ist nur vor Scheiße, hinten geht's!
Gregor Weber: Krieg ist nur vor Scheiße, hinten geht's! © Droemer Verlag
Darauf gibt es keine einfache Antwort, bekennt Weber. Wenn die ISAF-Truppen Ende dieses Jahres abgezogen sein werden, könne man nur hoffen, dass das Land nicht wieder in die Hände von religiösen Extremisten oder vom Drogenhandel lebenden Warlords falle.
Also warum dann Afghanistan? "Ich wollte am eigenen Leib spüren, was es heute heißt, Soldat dieser Bundeswehr zu sein". Wenn Weber eine Mission hat, dann diese: Vorurteile abbauen, Klischees enttarnen. Was ihm dabei hilft, ist seine humorvolle, bisweilen sarkastische, aber immer auch selbstironische Haltung: "Ich habe zwar eine Uniform an, aber eigentlich bin ich wie Du". Mittlerweile blickt keiner mehr erstaunt, wenn ein Mann in Uniform über die Straße läuft. Und in den Feuilletons und Talkshows wird immer häufiger über deutsche Soldaten und ihre Einsätze berichtet. Auch über die tragischen Seiten, über Tod und Verwundung. All das spart Weber in seinem Buch nicht aus. Aber auch nicht, dass er Glück gehabt hat: "Ich war im Krieg, und doch habe ich ihn nicht gesehen. Ich habe keine Kameraden sterben sehen, und ich habe niemanden getötet".
Der Titel des Buches "Krieg ist nur vorne Scheiße, hinten geht’s" ist der Text auf einem Flecktarn-Aufnäher, den sich ein Soldat bei einem Schneider in Kundus hatte nähen lassen und der ein Renner war unter den deutschen ISAF-Soldaten.
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Das Wort "Veteran" hat in unserer bundesdeutschen Friedensgesellschaft immer noch einen eigenartigen Klang, an den wir uns noch nicht gewöhnt haben. Was passiert mit den zigtausenden Soldaten und Soldatinnen, die von einem Einsatz zurückkehren? Wie leben sie eigentlich? "Für uns hat sich alles verändert, die Distanz zum Leben hier in Deutschland war riesig". Sagt einer, der es wissen muss. Andreas Lison leitete 2009 das deutsche Bundeswehrkrankenhaus in Masar-i-Scharif in Afghanistan. Nach seiner Heimkehr hat er eine Therapie für einsatzgeschädigte Soldaten entwickelt.
Von ihrem Leben nach dem Einsatz erzählen 74 Soldaten in dem aufwändig gestalteten Bildband "Operation Heimkehr". Warum man nicht so leicht in sein altes Leben zurückkehren kann und – warum es oftmals auch gar nicht gelingt. Auf einer Doppelseite erzählt der Bundeswehrarzt Lison, wie seine Freundin ihm mit Trennung drohte, weil er nichts erzählte.
Nachdenklich berichtet der Hauptfeldwebel Markus Herweg von dem mangelnden Interesse zuhause: "Ich will nicht als Held gefeiert werden. Ich würde mich aber freuen, wenn die Leute sagen würden: Ich finde es gut, dass du unser Land vertrittst. Die Bevölkerung ist ja mein Arbeitgeber". Und die junge Unteroffizierin bekennt, wie sie nach ihrer Heimkehr die hiesige Konsumgesellschaft kritisch erlebt und Dankbarkeit für den Frieden empfindet.
Das Buch bietet jenseits der Porträtierten ein paar Denkanstöße, wie unsere Gesellschaft mit diesen Heimkehrern umgehen könnte, – sie sind behutsam zwischen den Selbstaussagen verteilt als so genannte "Zwischenrufe", zum Beispiel von einem Wehrmachts-Deserteur oder verschiedenen Wissenschaftler und Experten wie Alfred Grosser und Berthold Graf von Stauffenberg.
Das Angenehme an dieses Bildband: Er lässt die Männer und Frauen zu Wort kommen. Während man ihre Berichte liest, blickt man ihnen in die Augen. Was der Bildband nicht tut: Er kommentiert die Aussagen der Heimkehrer nicht. Und schafft darüber hinaus noch eine Erkenntnis: In jeder Uniform steckt ein Individuum. Jeder reagiert anders auf die Bedrohung oder die Herausforderung. Und auf die Heimkehr.
Neben den schlichten, schönen Schwarz-Weiß-Portraitfotos der Heimkehrer ist den Autorinnen des Bildbandes ein ästhetisch eindrucksvoller Coup gelungen: Auf der grell orangefarbenen Innenseite des Buchumschlags – erst sichtbar, wenn man ihn aufschlägt – sind die Talismane der Soldaten abgedruckt: Ein Kreuz, ein Schnuller, ein Feuerzeug oder ein Liebesbrief.

Gregor Weber: Krieg ist nur vorne Scheiße, hinten geht’s!
Droemer Verlag, 254 Seiten, 18,00 Euro

Sabine Würich (Fotos) und Ulrike Scheffer (Text): Operation Heimkehr. Bundeswehrsoldaten über ihr Leben nach dem Auslandseinsatz
Ch. Links Verlag, 192 Seiten, 24,90