"Irgendwann muss Assange da ja rauskommen"

Kai Ambos im Gespräch mit Katrin Heise · 27.08.2012
Wikileaks-Gründer Julian Assange ist in der Londoner Botschaft Ecuadors. Er will verhindern, dass er an Schweden ausgeliefert wird. Vor allem aber will er nicht an die USA ausgeliefert werden. Nach Einschätzung des Strafrechtlers Kai Ambos würde allen Seiten hier die Anrufung eines internationalen Gerichts helfen.
Katrin Heise: Als Wikileaks-Gründer Julian Assange vor einigen Tagen aus der Botschaft Ecuadors in London heraus eine Rede hielt, blieb er im Zimmer stehen, trat nicht auf den Balkon hinaus, um auf keinen Fall ecuadorianisches Hoheitsgebiet zu verlassen. Zumal Großbritannien selbst die Stürmung der Botschaft nicht ganz ausgeschlossen hatte, um dem europäischen Haftbefehl Schwedens gegen Assange Genüge zu leisten. Ecuador hatte Assange dagegen diplomatisches Asyl gewährt, da ihm eine Weiterlieferung in die USA und dortige politische Verfolgung drohe. Kai Ambos, Professor für internationales Strafrecht an der Universität in Göttingen sagt, Ecuadors Asylgewährung für Julian Assange verstößt gegen das Völkerrecht. Ich grüße Sie, Herr Ambos, schönen guten Tag!

Kai Ambos: Ja, guten Morgen!

Heise: Können Sie mir anfangs mal erklären, was eigentlich unter diplomatischem Asyl zu verstehen ist? Ist das einfach nur ein anderer Begriff für politisches Asyl?

Ambos: Ja, es ist eine Art von Asylgewährung über die Botschaft, also Sie kennen ja die Fälle, die öfter passieren, dass Flüchtlinge in Botschaften fliehen. Zuletzt auch dieser blinde chinesische Dissident …

Heise: Chen Guangcheng …

Ambos: Genau, und da hat man eben den Begriff des diplomatischen Asyls gewählt, um auszudrücken, dass die Besonderheit darin besteht, dass dann der Botschaftsstaat, also der sogenannte Entsendestaat dieser Person eventuell Asyl gewährt, praktisch Asyl gewährt. Es ist nur völkerrechtlich sehr problematisch. Es gibt, es ist eigentlich nicht anerkannt, diese Art der Asylgewährung.

Heise: Aber wird halt immer wieder, erfolgreich durchaus auch, genutzt.

Ambos: Ja. Das Problem ist ganz einfach, wenn man es jetzt mal aus der Sicht des Heimatstaates, des Territorialstaates sieht, diplomatenrechtlich gesprochen des Empfangsstaats, der zum Beispiel ein Gerichtsverfahren hat, das muss ja nicht unbedingt ein Strafverfahren sein, auch ein anderes Verfahren. Da entzieht sich ja diese Person diesem Verfahren. Und der Staat, der Asyl gewährt, der die Botschaft hält, ist ja sozusagen nur Gast in dem Land, ja, da gibt es ja auch gewisse Regeln, dass er überhaupt akzeptiert wird. Er muss sich akkreditieren lassen und so weiter. Und er greift dann natürlich in die inneren Angelegenheiten des Territorialstaats ein. Und das ist eben der Unterschied zu dem klassischen Asyl, wo ich als Territorialstaat, zum Beispiel Deutschland, Personen, die auf meinem Territorium sind, eventuell Asyl gewähre, ja, das kann ich ja tun, denn es findet alles auf meinem Territorium statt.

Heise: Deswegen ist Ihrer Meinung nach die Gewährung Ecuadors völkerrechtswidrig?

Ambos: Sie ist völkerrechtswidrig, weil der Internationale Gerichtshof schon in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts in einem ganz berühmten Fall, der Kolumbien und Peru betroffen hat, also auch lateinamerikanische Staaten, erklärt hat, dass es für diese "Gewährung diplomatischen Asyls" keine Grundlage im Völkerrecht gibt. Die muss speziell festgelegt sein in einem völkerrechtlichen Vertrag. Wenn man eine solche Rechtsgrundlage nicht hat, also hier zwischen England und Ecuador, dann ist das nicht anzuerkennen. Und es ist in der völkerrechtlichen Praxis eben nur in Lateinamerika anerkannt. Da gibt es auch eine eigene Konvention dafür. Aber hier findet das Verhalten ja in Europa statt. Also man kann keineswegs aus der Praxis in Lateinamerika und der Konvention irgendwas für den Rest der Welt ableiten.

Heise: Sind das jetzt nicht aber juristische Feinheiten, mit denen man da irgendwie nur ganz schwer agieren kann?

Ambos: Na ja, ich möchte nur mal sagen, man muss es ja sehen aus der – sehen Sie es jetzt mal ganz konkret aus der - Sicht der Staaten, die beteiligt sind. Also einmal Schweden, die den Haftbefehl ausgestellt haben, die Engländer, die den in unserem europäischen System eigentlich vollstrecken müssen. Das ist ja der sogenannte europäische Haftbefehl. Und der Tatsache, dass Herr Assange ja alle Instanzen in England hatte. Der hat ja – eineinhalb Jahre ist der ja durch die Instanzen gegangen. Und man kann wirklich nicht sagen, dass in England kein rechtsstaatliches Verfahren gewährt wird. Übrigens auch nicht in Schweden. Dort hätte er auch noch mal die Möglichkeit, sich zu äußern zu den Vorwürfen. Es geht ja da auch um ein rechtsstaatliches Verfahren. Und aus Sicht dieser beiden Staaten – sprechen Sie mal die Opfer an, die potenziellen Opfer, die jetzt diese Anzeige in Schweden erstattet haben gegen Assange, ist das eine Einmischung in ein normales rechtsstaatliches Verfahren. Also wenn man davon ausgeht, dass das ein ganz normales Verfahren ist – stellen Sie sich mal vor, ich gehe nach Schweden und hab Kontakt mit zwei Frauen und es kommt vielleicht zu einer Anzeige, dass ich die vergewaltigt hätte, da würde ja keiner mir Asyl gewähren. Keiner: Ecuador, Peru oder irgendeiner, sondern es würde eben ganz normal das Verfahren im deutschen Recht laufen. Ich hätte die Möglichkeit, zum Oberlandesgericht zu gehen, und irgendwann würde ich dann nach Schweden ausgeliefert werden. Und warum soll jetzt eine Person wie Assange, der jetzt eben auf einer ganz anderen Ebene bekannt ist und der dieses andere Problem, nämlich Wikileaks, da in die Problematik hineinbringt, warum soll der privilegiert werden gegenüber dem normalen, dem europäischen Haftbefehl unterworfenen, europäischen Bürger.

Heise: Da schneiden Sie das jetzt auf die Person zu und sagen, da würde eine Person bevorzugt. Ecuador beruft sich aber darauf, dass Assange ja eine Auslieferung und politische Verfolgung in den USA drohen würde, weil man annehmen könnte, dass Schweden ihn weiterführt.

Ambos: Ja. Aber auch das ist – das sind natürlich Spekulationen, ja. Ich möchte jetzt nicht ausschließen, dass er weitergeliefert wird. Das würde voraussetzen, dass die USA ein entsprechendes Ausführungsersuchen stellen. Das hätten sie übrigens auch schon machen können gegenüber England. Also wenn die These stimmt der Assange-Freunde, dass es sicher ist, dass er weitergeliefert wird, es also hier nur um eine Fassade geht bei dem schwedischen Haftbefehl, dann hätten die Amerikaner ja auch von den Engländern die Auslieferung erbitten können. Die sind ja viel befreundeter, bekanntlich, England und USA als Schweden. Und auch da hätte es, das normale Auslieferungsrecht, hätte gegolten. Und da haben wir eben ganz klare Hindernisse, zum Beispiel eben bei drohender Todesstrafe, bei politischer Verfolgung nicht auszuliefern. Das wäre dann alles zu prüfen. Letztendlich, wenn man daran glaubt, dass Schweden ein Rechtsstaat ist und das dort rechtsstaatliche Verfahren laufen, dann muss man das eben so laufen lassen. Wenn ich natürlich mich auf die Position stelle, dass es hier um eine weltweite Konspiration der USA geht und die Schweden nur Handlanger der USA sind, ich also an dieses ganze Verfahren nicht glaube, dann habe ich eben eine andere Position, aber ich kann natürlich jetzt juristische Verfahren, die so vereinbart worden sind auch im europäischen Bereich, nicht einfach dadurch außer Kraft setzen, dass jemand behauptet, zunächst mal nur behauptet, er werde politisch verfolgt. Von Schweden wird Assange nicht politisch verfolgt, das muss man einfach klar sagen.

Heise: Über das politische Asyl von Julian Assange spreche ich mit dem internationalen Strafrechtler Kai Ambos. Herr Ambos, kommen wir mal auf die andere Seite zu sprechen, nämlich auf die britische. Auf die britische Ankündigung genauer gesagt, auf der Grundlage eines Gesetzes aus den 80er-Jahren könnte man in die Botschaft eindringen und Assange rausholen. Ist das tatsächlich möglich?

Ambos: Das ist nicht möglich. Grundsätzlich ist die Unverletzlichkeit der Botschaft absolut. Das muss man auch ganz klar trennen von der Frage, ob ein Staat diplomatisches Asyl gewähren kann. Das ist rechtswidrig meines Erachtens, aber die andere Frage, die Reaktion des betroffenen Staates kann nicht sein, die Botschaft zu stürmen, die Unverletzlichkeit zu brechen. Das kann nur in ganz, ganz schweren Ausnahmefällen, wenn zum Beispiel ein Angriffskrieg aus der Botschaft geplant wird gegen den Territorialstaat. In solchen Ausnahmefällen wäre das nur möglich. Ansonsten haben wir eben die normalen diplomatenrechtlichen Möglichkeiten, also Erklärung zur Persona non grata oder Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit den entsprechenden Konsequenzen. Dann würde die Botschaft verlassen werden müssen, dann würde da Assange als letzter übrigbleiben und der hätte natürlich dann keine Möglichkeit, sich der Verhaftung zu entziehen. Und da wäre ja auch die Unverletzlichkeit aufgehoben.

Heise: Denn wenn wir uns mal vorstellen, was ein solches Eindringen für Folgen hätte, wenn man sich vorstellen würde, dass also quasi … Tyrannen wären dann doch eigentlich Tor und Tür geöffnet.

Ambos: Absolut. Und deswegen gab es ja auch in England selbst von dem ehemaligen englischen Botschafter in Russland enormen Protest. Also das wurde sehr schnell zurückgezogen, Haig hat ja auch, der Außenminister hat das ja auch ganz schnell zurückgezogen. Das wäre ein Präzedenzfall, und der würde natürlich die Engländer und andere westliche Staaten enorm gefährden. Insofern ist das auch wieder vom Tisch. Also sind wir auf der Situation, dass es die normalen diplomatischen Möglichkeiten gäbe. Es ist natürlich in gewisser Weise ein Dilemma und eine Pattsituation.

Heise: Und wie würden Sie sagen, wie sieht die Lösung aus?

Ambos: Also, ich habe ja gesagt, England sollte einfach warten, weil irgendwann muss Assange da ja rauskommen. Wir hatten natürlich Fälle, wo Personen da jahrelang in so einer Botschaft blieben, aber das ist ja auch nicht für Assange so erschwinglich und erstrebenswert. Oder, was ich gesagt habe, um Druck auf Ecuador auszuüben: Ecuador brüstet sich ja damit, hier jetzt das Völkerrecht zu verteidigen, was ja auch in gewisser Weise Doppelmoral ist, da könnte man auch noch mal drüber sprechen über die Praxis in Ecuador selbst. Dann einfach zu sagen: "Kass uns das doch ein unabhängiges Gericht entscheiden." Das können ja die Engländer vorschlagen, und dann gehen wir zum Internationalen Gerichtshof, Staaten können da was vorlegen, konsensual immer, und lasst die doch entscheiden. Und dann machen wir es so, wie der internationale Gerichtshof das macht. Das wäre eine objektive Instanz.

Heise: Überlegungen sind das von Kai Ambos, Professor für Internationales Strafrecht in Göttingen. Herr Ambos, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!

Ambos: Bitte schön!

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