Irene Dische: "Schwarz und Weiß"

Eine Schreckensfahrt durch die Abgründe der Liebe

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Der Abgrund hinter der Liebe: Irene Disches "Schwarz und Weiß" erzählt eine gescheiterte Liebesgeschichte aus dem New York der 1970er und -80er. © Cover: Verlag Hoffmann und Campe, Foto: imago/Ikon Images
Von Elke Schlinsog · 14.10.2017
New York in den 1970ern: Ein armer junger Schwarzer heiratet eine weiße Intellektuellentochter. Sie modelt, er wird gefeierter Weinexperte. Doch hinter der Fassade des Hochglanzpaares lauert eine mörderische Wut. Subtil, temporeich und voller bissigem Humor.
Alles beginnt in einem Augenblick der "Juniseligkeit", als Duke Buttler das erste Mal New Yorks Straßen betritt: seidiger Sonnenschein, blauer Himmel und dazu das verheißungsvolle Läuten des Eisverkäufers. Mit diesem Weichzeichner beginnt Irene Dische ihren zunächst märchenhaft anmutenden Stoff, um ihn dann auf den folgenden 500 Seiten mit Lust und Laune wieder zu zerschlagen.
Auch in ihrem neuen Roman "Schwarz und Weiß" jagt die deutsch-amerikanische Autorin durch Lebens- und Familiengeschichten, und das nicht, ohne sämtliche Untiefen und Abgründe der menschlichen Seele auszuloten – in einem atemberaubenden Tempo, mit dem ihr eigenen Witz und bissigen Humor.

Heimliche Hochzeit im Secondhand-Polyesterkleid

Im New York der 1970er-Jahre werden Lili und Duke ein Paar: Sie, die gebildete Tochter einer weißen Intellektuellenfamilie der New Yorker Upper West Side, er, der schwarze junge Mann aus dem Süden, naiv und weltfremd, der buchstäblich in ihr Leben stolpert. Für einen kurzen Moment scheint es, dass sie ihr Glück greifen können, als Lili kurzerhand in ein Second-Hand-Polyester-Brautkleid schlüpft und sie sich heimlich "Ich will" sagen.
Es folgt eine Aufsteigergeschichte: Duke wird in den 1980er-Jahren gefeierter Weinexperte und Lili, die wie gemacht scheint für das oberflächliche Spiel der Upper Class, eine "Spezialistin für Süßholz und Small-Talk", tauscht ihr Summa-Cum-Laude-Diplom für die Modewelt. Sie mimen das Hochglanzpaar, Geld und Champagner fließen, Lili spritzt sich maßlos Hormonspritzen, Duke besorgt das Kokain. In erzählerischem Furor lässt Irene Dische weder Kitsch noch Klischee aus, jede Überzeichnung ist ihr recht, um die Verführungen und Verletzungen der Liebe nachzuzeichnen; eine Liebe, die alles in Kauf nimmt und doch viel zu viel zu verzeihen scheint.

Nur scheinbar kultiviertes Haifischbecken

"Schwarz und Weiß" ist ein Roman mit vielen kleinen und großen Geschichten, die buchstäblich aufeinander prasseln. Geschichten mit ungeahnten Wendungen, brutalen und schockierendes Aufs und Abs. Nach 200 Seiten tritt bei der ebenso liebreizenden wie bösen Lili eine mörderische Wut zutage, die immer zerstörerischer wird: sie foltert ihre Katze, belügt und betrügt ihren Mann – und wie sie im maßlosen Überschwang beim Hummeressen mit der Gabel ihrem Ehemann das Auge aussticht, lässt die aufgeladenen Gegensatzwelten von Schwarz und Weiß aufs Böseste und Skurrilste aufeinander prasseln. Mit ihrer Schreckensfahrt durch die Liebe greift Irene Dische auch beherzt und gekonnt ins Kriminalfach.
In ihrem Roman "Schwarz und Weiß" erzählt Irene Disches nicht nur subtil, genau und ungeheuer witzig vom scheinbar kultivierten Haifischbecken New York, sondern lotet auch die Höhen und Tiefen der amerikanischen Gesellschaft aus. Eine atemberaubende Geisterbahnfahrt samt der Erkenntnis, dass manche wahre Ungeheuerlichkeit viel so groß für einen Menschen ist.

Irene Dische: "Schwarz und Weiß"
Verlag Hoffmann und Campe 2017
496 Seiten, 26 Euro

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