Irene Dische: „Prinzessin Alice“
© Claassen Verlag
Vereint mit Gott im Orgasmus
04:59 Minuten

Irene Dische
Aus dem Englischen von Tanja Handels
Prinzessin AliceClaassen, Berlin 2025158 Seiten
20,00 Euro
Willkommen im englischen Königshaus: Irene Dische schreibt über die Großmutter von Charles III. „Prinzessin Alice“ ist ein einfühlsames Porträt, in dem Dische gegen Legenden und Vorurteile angeht, ordentlich dazuerfindet und einiges geradestellt.
Fulminanter kann ein Romananfang kaum sein: Irene Dische beginnt mit einem Orgasmus. In der ersten Zeile lässt sie ihre Heldin Prinzessin Alice ihren Höhepunkt erleben, und das im Gebet. Dabei geht es laut zu, gut hörbar und zum Entsetzen ihrer hochadligen Familienmitglieder. Denn Prinzessin Alice ist Mitglied des Königshauses, Urenkelin Queen Victorias und Prinzessin von Griechenland. Eine Prinzessin ohne Befugnisse, die Dische aber frank und frei als eine schillernde Frau beschreibt, die das Dasein liebte, die man gemeinhin glücklich nennen müsste – und die ihrem Glück einen Namen gab: Gott.
Bester Stoff für eine humorgeschliffene Autorin wie Irene Dische, die sich gern eigenwillige und liebenswerte Figuren aus der Vergangenheit schnappt, um deren Geschichte ein bisschen geradezurücken. Und rieb man sich noch die Augen und googelte, ob es Disches Romanfigur „Die militante Madonna“ wirklich gab, die im erstaunlichen Rollenspektakel zwischen den Geschlechtern tanzen und fechten konnte, ist es auch hier so: Prinzessin Alice von Battenberg, 1885 auf Windsor Castle geboren und 1969 im Buckingham Palace gestorben, durchlebte nicht nur ein durch Revolutionen und Kriege ereignisreiches Leben, um sie spinnen sich auch unzählige Legenden um ihre religiöse Ekstase, ihre lautstarken Sexeskapaden mit Gott, über die die königliche Familie lieber schwieg.
Bildschön und klug
Bekannt ist, dass bei dieser bildschönen und klugen Frau, die gehörlos geboren, aber in mehreren Sprachen von den Lippen lesen konnte, Schizophrenie diagnostiziert und sie für zwei Jahre in ein Schweizer Sanatorium eingesperrt wurde, abgesegnet durch Sigmund Freuds Diagnose, um ihren Sexualtrieb auszumerzen.
All die Fakten scheint Irene Dische buchstäblich aufgesogen zu haben, um sie dann auf neue Weise aufzutischen – in ihrer Variante; sie lässt Alice endlich selbst erzählen! In einem langen Monolog, in gewitzter Plauderlaune: „Von jetzt an geht es hier um mich, die Gott liebte, auch um meine Schwägerin Marie Bonaparte, die Freud liebte ... und die lebenslustige Edwina Mountbatten, die den Sex liebte und das in rauen Mengen und mit Männern und Frauen aus jedem Erdteil.“
Fidel und selbstbewusst
Das ist der Ton, fidel und selbstbewusst, der aus der bewegenden Lebensgeschichte ein (vergnügliches) Abenteuer macht. Im Galopp führt sie durch ihre Lebensstationen: Wie sie nach der Flucht aus Griechenland als junge Mutter im Dienstbotenhaus im Schatten der Villa der Bonapartes unterkommt, auf Almosen angewiesen. Später eingesperrt und sediert hinter Anstaltsmauern des „Gockel Freud“, ihre gewagte Flucht aus dem Sanatorium - und schließlich ihr einsames und aufopferungsvolles Leben im leerstehenden griechischen Palast, wo sie nach dem Krieg eine Suppenküche unterhielt. Wie sich diese für verrückt gehaltene Monarchin durchbeißt, vor allem gegenüber ihrer Familie, abgelehnt und auf Abstand gehalten von ihren Kindern, nur in Nonnentracht versteckt als Beobachterin eine Rolle im Familienleben spielt, all das liest sich erschütternd und anrührend - und sucht ihresgleichen in Familiengeschichten.
Eine stille und starke Heldin
„Prinzessin Alice“ ist ein einfühlsames Portrait, in dem Irene Dische, mal sanft, mal deftig gegen Legenden und Vorurteile anhält, ordentlich dazuerfindet und nach ihrem Gusto geradestellt. Ihre stille, starke Heldin Prinzessin Alice, die allzu lange im Schatten ihrer Familie vor sich hinlebte, lässt sie schließlich selbstbestimmt heraustreten: „Ich bin ein gekröntes Haupt“ - und kratzt ordentlich an der Goldgravur hochadliger Familienalben.